Die Wahrheit um viele Ecken

platte buch

Die Kanalinseln waren der einzige Teil Großbritanniens, der von den Deutschen im Zweiten Weltkrieg besetzt wur­de. Museen, Gedenkstätten und die steinernen Überreste des so genannten Atlantikwalls erinnern an die kurzzeitige Übermacht der »Krauts«. Elizabeth Georges Krimi »Wer die Wahrheit sucht« aus ihrer Inspek­tor-Lynley-Reihe spielt 50 Jahre später auf einer dieser Inseln, auf Guernsey. Die Geschichte spinnt ein Geflecht aus Erinnerung an die Naziherrschaft, an den Widerstand und die Kollaboration, und den vielen privaten Traumata.

Der jüdische Millionär Guy Brouard ist ermordet worden. Der Mäzen wollte ein Museum zur Erinnerung an den Widerstand gegen die deutsche Besatzung errichten. Verhaftetet wird eine junge Amerikanerin, China River, eine Freundin von Deborah Cotter. Sie ist von der Unschuld ihrer Freundin überzeugt und beginnt mit ihrem Mann, dem engsten Vertrauten von Inspektor Lynley, auf der Insel eigene Untersuchungen anzustellen. Brouard galt zwar vielen als Wohltäter, gleichzeitig jedoch war er ein Mann, der sich auf der Insel viele Feinde gemacht hat.

Das Buch ist mit fast 800 Seiten ein mächtiger Schmöker, aber bis zur letzten Seite aufregend. Die dramatischen Wendungen sind überraschend, aber überzeugend, es ist kein geradliniger Krimi, sondern eine detailreiche Darstellung zahlreicher unterschiedlicher Menschen mit ihren Verletzungen. Diese Vorgehens­weise ist ein Markenzeichen der Amerikanerin George, deren Kriminalromane immer in Großbritannien spielen.

Seit 1988 erscheint annähernd jedes Jahr ein neuer Krimi von ihr. Die Ermittlungen führen zumeist der aparte adlige Inspektor Thomas Lynley und seine prollige Assistentin, Sergeant Barbara Havers. Derzeit laufen jeweils am Sonntag im ZDF neue Elizabeth-George-Verfilmungen; sie sind nicht schlecht realisiert und im Vergleich zu vielen anderen Fernsehkrimis durchaus sehenswert, an die atmosphärische Dichte der Bücher kommen sie jedoch nicht heran.

kerstin eschrich

Elizabeth George: Wer die Wahrheit sucht. Goldmann, München 2007, 736 Seiten, 9,95 Euro