Viva Hamas!

Reaktionen der Solidaritätsszene von carlos kunze

Mehr als 100 Tote, Genickschüsse auf offener Straße, Plünderungen von Villen hoher Fatah-Mitglieder: Zunächst erfolgreich hat die Hamas mit ihrem Mini-Jihad in Gaza die Macht übernommen. Hunderte, wenn nicht gar Tausende Bewohner des Gaza-Streifens versuchen, aus diesem zu fliehen, sei es, um den Racheaktionen der Islamisten gegen Fatah-Anhänger zu entkommen, sei es, weil sie nicht unter der Herrschaft der Hamas leben wollen. Seit Jahren sind im Gaza-Streifen das Alkoholverbot und die Zwangsverschleierung für Frauen durchgesetzt, hie und da soll die Hamas bereits Sharia-Gerichte eingesetzt haben.

Dass die Islamisten sich zumindest vorläufig in Gaza durchsetzen konnten, ist wenig überraschend. Die so genannte al-Aqsa-Intifada hat vorrangig zwei Ergebnisse mit sich gebracht: die Warlordisierung in den palästinensischen Gebieten, die aus der sofortigen Militarisierung der Intifada resultierte, und die Zunahme des religiösen Wahns. Innerhalb der PLO wurde der nationalreligiöse Flügel immer stärker, einige ihrer auch untereinander rivalisierenden bewaffneten Gruppen wie die »al-Aqsa-Märtyrer-Brigaden« benannten sich in religiöser Terminologie, und auch die pseudo-linke PFLP, die bereits seit den neunziger Jahren mit der Hamas zusammen gegen die Oslo-Verträge agierte, schickte Selbstmordbomber los, die sie als »Märtyrer« feierte. Was die Solidaritätsbewegung als Aufstand gegen die israelische Besatzung begriff, wurde ganz offensichtlich ein Aufstand gegen Juden mit immer größeren antisemitischen Anteilen.

Politisch bedeutet die Machtübernahme der Hamas, dass im Gaza-Streifen eine rechtsextreme Organisation herrscht. Und es ist gerade die Organisation, die den Kampf gegen Israel am vehementesten vertritt. Angesichts dieser peinlichen Entwicklung, die alle optimistischen Analysen über die sich entfaltenden Kämpfe im Nahen Osten ein wenig lächerlich aussehen lässt, herrschen innerhalb der Solidaritätsbewegung zunächst zwei Reaktionsformen vor.

Die eine tut einfach so, als gebe es gar kein politisches Problem mit den Islamisten, sondern nur einen einheitlichen palästinensischen »Widerstand«, und wiederholt gebetsmühlenhaft das alte Mantra: »Israel ist schuld, und der Westen ist ebenfalls schuld.« Ein Beispiel dafür ist ein gespenstisch anmutendes Kommuniqué der französischen, trotzkistisch geprägten LCR vom 15. Juni, in dem es heißt: »Die Zusammenstöße unter Palästinensern sind die direkte Konsequenz der israelischen Besatzung. (…) Die westlichen Regierungen haben die Bedingungen für diese Katastrophe geschaffen (…) Die LCR lehnt den Vorschlag zur Entsendung einer internationalen militärischen Interventionskraft nach Gaza ab. Sie würde nur dazu dienen, den palästinensischen Widerstand zu zerschlagen.«

Die andere Reaktionsform besteht darin, sich offen auf die Seite der Islamisten zu schlagen, und zwar direkt gegen die Fatah gerichtet. So lässt sich auf der Website Palestine-info bereits ein Artikel lesen mit der Überschrift: »Fatah leader: Hamas action in Gaza Strip a step in the right direction«. Bei diesem »Fatah leader« handelt es sich um Khaled Abu Helal, dem britischen Observer zufolge ein »ehemaliges hochrangiges Fatah-Mitglied«, der vorige Woche in einem Fernsehsender der Hamas präsentiert wurde und erklärte, er begrüße es, dass in Gaza die Hamas die Fatah von ihren »Kollaborateuren und Verrätern säubere«. Ein Projekt mit Zukunft: der Stalino-Jihad.