Aktiv im Ruhestand

von eva brunner

Im Eifer des Wahlkampfs tun Politiker sich und ihren Parteien nicht immer nur Gefallen. Doch die meisten von ihnen versuchen es wenigstens.

Karl-Klaus Sieloff (Die Linke), Kandidat im nordhessischen Lahn-Dill-Kreis, hat sich vorige Woche als ganz außergewöhnliches Exemplar seiner Art erwiesen – er riet davon ab, seine Partei zu wählen. Dem Focus erklärte er, in seinem Kreisverband hätten unverbesserliche »Altkommunisten« das Sagen. »Wir haben in Hessen jetzt eine Kaderorganisation, die jede unliebsame Diskussion abwürgt.« Hinter dem Parteiprogramm stünden »Sektierer«, die von der untergegangenen DDR träumten. Da wolle er sich »nicht länger vor den Karren spannen lassen«.

Etwas verwunderlich ist der Wahlkampfboykott des 58jährigen insofern, als ihn diese Erkenntnis keineswegs ganz plötzlich ereilt hat. Bereits vor der Fusion der Wasg und der PDS hatte das ehemalige Mitglied der Wasg erhebliche Bedenken gegen die Genossen geäußert und von einem schnellen Zusammenschluss abgeraten. In einem offenen Brief, den einige seiner Parteikollegen verfassten, war von den üblen Erfahrungen mit den PDSlern im Wahlkreis die Rede.

Obwohl alles so kam, wie es kommen musste und Sieloff es nicht wollte, ließ er sich als Kandidat für »Die Linke« aufstellen. Einmal auf der Liste, überwogen plötzlich wieder die alten Bedenken, und er wollte zurücktreten, weil ja die Partei von »Möchtergernkommunisten und Anhängern des Anarchismus dominiert« sei. Doch da war die Frist bereits abgelaufen. Weil er weder zurücktreten konnte noch eine Veranlassung sah, Wahlkampf zu machen, bezeichnete er sich forthin als »Kandidat im Ruhestand«.

Die Mitgliederversammlung seiner Partei im Lahn-Dill-Kreis leitete ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn ein. Vermutlich war Sieloff deswegen der Ruhestand nicht mehr Protest genug, und er entschloss sich zu aktiveren Formen des Boykotts.

Gratulation, »Linke«, wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr!