Über die Band Fleet Foxes

Treffen sich die Beach Boys, Van Morrison, die Byrds, Crosby, Stills and Nash und Simon & Garfunkel

Über den butterblümchenzarten Hippie-Charme der Fleet Foxes.

Es geht um Geld und Erfolg: Man muss einer Popband daher keinen Strick draus drehen, wenn sie Gratis-Songs zum Download für die Fans ins Netz stellt, bevor das Album erschienen ist. Obwohl klar sein dürfte, dass Vorab-Gratis-Songs genau das nicht sind: Geschenke für die Fans. Es sind zusätzliche Verkaufsargumente, digitale Lockstoffe, Schmier- und Bindemittel für einen möglichst fetten Hype.
Der Hype? Ist gerade wieder dort, wo er schon einmal war, bei den Fleet Foxes nämlich, deren zweiter Longplayer »Helplessness Blues« vor kurzem erschienen ist. Vor drei Jahren hatte ihr Debüt »Fleet Foxes« für Aufmerksamkeit im Popzirkuszelt gesorgt.
Man könnte sich darauf einigen, dass der Hype um das erste Album unserer garfunkelnden Sixties-Wiedergänger aus Seattle noch gerechtfertigt war. Typisch für solche Hypes ist es, dass sich Presse und Publikum einig sind und nach akribisch-musikologischen Untersuchungen des Produkts zu demselben Ergebnis kommen. So geschehen auch bei den Fleet Foxes: Beach Boys? Jaja, aber welcher Teil welchen Songs auf welcher ihrer Platten? Und wie war das genau mit dem Einfluss Neil Youngs?
War’s also vielleicht gar kein Hype, sondern etwas anderes, Echteres? Leider nein, lieber Fleet-Foxes-Fan – insofern sich ein Hype in erster Linie über einen signifikant gesteigerten Aufmerksamkeitswert definiert, der einerseits jenes Konsumenteninteresse verstärkt und verstärken soll, dem sich seine Entstehung andererseits überhaupt erst verdankt. So ist es immer, so war’s auch hier.
Zurück in die gegenwärtige Vergangenheit. Das Sextett um den früheren Außenseiter, Hobbyschrat, introvertierten Texter und Sänger Robin Pecknold hat derzeit nur allerbeste »Freunde«. Fast möchte man sich die Betten der Musiker randvoll mit fanatisch-verzückten Liebhabern vorstellen, die ihnen leidenschaftlich die Bärte kraulen. Die Süddeutsche Zeitung nennt die jungen Männer mit den glockenhellen Stimmen und den interessanten Instrumenten – zu hören sind: allerlei Flöten, Klangschalen aus Tibet, Kontrabass, Moog-Synthesizer, Bassklarinette, Lap-Steel-Gitarre, Pauke, Zither etc. – »Amerikas beste Band«. Holla!
Wären die Fleet Foxes weniger berühmt, wenn sie keine Bärte hätten? Vielleicht. Denn der Vollbart, der semiotisch selbstverständlich etwas anderes ist als der Schnurrbart, generiert derzeit den schwer angesagten hybriden Typus des weichen, harten, wilden, coolen Mannes, in dem topmodischer Hipster und feinsinniger Naturbursche perfekt verschmolzen sind. Der richtig coole Neo-Hippie-Folk-Hipster trägt indessen nicht mehr nur Vollbart, sondern auch eine formschöne Designer-Axt zum karierten Flanellhemd. Soll aber bislang eher so ein New-York-Ding sein.
Den Titelsong von »Helplessness Blues« gab es bereits vor dem offiziellen Release für lau. Klar, und wenn man drauf steht, auf butterblümchenzarte Hippie-Choräle aus Mönchsknabenkehlen, und Texte schätzt, in denen empfindsame Seelen quasi barfuß durch einen Dornenhain der Sehnsucht wandeln und von dort weiter nach oben, Richtung Erlösung, allumfassender Erkenntnis und wahrer Liebe geschickt werden, dann hat man seine Wahl im Grunde schon getroffen. Und wird Robin Pecknold doch kaum bei seiner Suche weiterhelfen können: »Sunlight over me/No matter what I do«.
Es ist kein Zufall, dass ältere Semester auf die wohlgestalteten, kompositorisch dann und wann durchaus raffiniert dahin mäandernden Songs der Fleet Foxes eine Menge geben. Wenngleich die Güte ihrer Songs ein bisschen überschätzt wird, insbesondere der Harmoniegesang, den The Association, Harmony Grass oder The Four Freshmen weit überzeugender beherrschten. Wie auch immer: Menschen, die schon mal frech behaupten, seit den Beatles und Bob Dylan sei im Grunde keine ordentliche Musik mehr gemacht worden, haben in aller Regel auch ein Faible für die Beach Boys, Van Morrison, die Byrds, Crosby, Stills and Nash und Simon & Garfunkel. Und ja doch – das sind selbstredend alles ganz hervorragende Bands und Musiker, deren Können und Einfluss auf den Fortgang der Musikgeschichte kein halbwegs musikalischer Verstand je leichtfertig in Zweifel ziehen könnte.
Jedoch, was soll so furchtbar spannend daran sein, ausgerechnet Musik zu machen, die im Grunde klingt wie die Schnittmenge dieser fünf Protagonisten? Nein, nicht ganz: Sie ist stellenweise noch ein wenig ausgreifender, ornamentaler, opulenter, süffiger geraten als die mancher Originale. »Retro total« wäre ein passender Begriff für den Sound der Fleet Foxes. Woher aber rührt diese alles erschöpfende Vergangenheitssehnsucht, deren bestes Beispiel die Fleet Foxes sind und die von Woodstock in die frühen Siebziger reicht? Darüber könnte man lang und breit spekulieren, sich etwa zu der schwer zu beweisenden These von der »virtuellen Zivilisationsflucht durch Musik« hinreißen lassen, oder den Retro-Trend als Wunsch nach Sicherheit in Zeiten angeblicher Orientierungsnot deuten. Alles denkbar, alles schon geschehen. Und wahrscheinlich doch: alles Quatsch.
Thomas Pynchon entwirft in seinem jüngsten Roman »Natürliche Mängel« ein historisch präzises Bild vom Ende des schönen Hippie-Traums: Obwohl Woodstock erst ein Jahr zurückliegt, hat die Manson-Family bereits gemordet. Der Vietnam-Krieg drückt allen schwer auf das Gemüt, die Polizeistuben sind geschmückt mit Bildern von J. Edgar Hoover, Richard Nixon und Ronald Reagan.
Utopie, Dystopie oder etwas dazwischen? Nicht doch. Der Weg der Fleet Foxes zurück in die Vergangenheit erscheint als etwas anderes. Er entspricht und entspringt einem Zitatmusik-Zeitgefühl allerartigster Nostalgie, deren Gehalt allenfalls ein bisschen utopisch ist. Darin erschöpft sich der Sinn sämtlicher Songs. Darin, und im perfektionistischen, nachgerade kantenlosen Schönklang einer kunsthandwerklichen Anstrengung, die gleichwohl, könnte sie denn sprechen, sagen würde: Sehet her und höret hin, ich bin das, was man Werk nennt! Der Aussagewert dieses absolut wertkonservativen, epigonal rückbezüglichen Werkes entspricht etwa dem eines warmen, nach Kornblumen duftenden Hippie-Wohlfühlbads, dessen waberndem Dampf eine Stimme entsteigt, die flüsternd fragt: »War früher nicht vielleicht doch alles besser?« Nein, war’s nicht.

Fleet Foxes: »Helplessness Blues« (Cooperative Music/Universal)