Frühe Filme der Sowjetunion

Misslungene Eroberung

Zur Geschichte und Ästhetik der frühen sowjetischen Filmproduktion.

Von der Kunst heißt es, dass sie sowohl einem Bedürfnis nach formvollendeter Schönheit als auch ­einem Bewusstsein von Nöten entspringe. Selbst unbegreifbarem Grauen soll sie einen sinnlich greifbaren Ausdruck geben können. Das Kino, das in der sogenannten Epoche der Dekadenz auf den Rummelplätzen zum Leben erwachte und noch längst nicht im Ruf einer Kunst stand, brachte aber zunächst eher ungehemmte Lust und Neugierde als ein Bewusstsein von Nöten zum Ausdruck. Erst der Erste Weltkrieg, der wenn nicht den Untergang der Menschheit, so doch den eines Zeitalters bedeutete, als dessen letzter Zeuge das »schießbudenhafte Kino« (Adorno) aufgetreten war, änderte die gesellschaftliche Funktion des Films von Grund auf. Parallel zur Entwicklung des gediegenen abendfüllenden Spielfilms, der ebenfalls während des Krieges seine maßgebliche Gestalt annahm, wurde der Film nun als ein der Presse mindestens ebenbürtiges Mittel sowohl der Aufklärung wie der Propaganda entdeckt und entsprechend zugerüstet. Was hierfür vonnöten war, erklärte auf deutscher Seite im Juli 1917 General Erich von Ludendorff, der den Vorsprung Frankreichs, Großbritanniens und vor allem der USA auf diesem Gebiet mit Sorge verfolgt hatte. Nicht zuletzt dank seiner Initiative wurde bald die Universum Film AG (UFA) gegründet. In Russland, wo im Oktober desselben Jahres – mit deutscher Unterstützung – die bolschewistische Partei die Staatsmacht an sich gerissen hatte, hatte die neue Regierung keine Bedenken, den propagandistischen Auftrag des Films offen zu proklamieren. Es sollte aber noch einige Jahre dauern, ehe der Film die ihm von Anatoli Lunatscharski, dem Volkskommissar für Bildung, zugedachte Rolle spielen konnte.

Ästhetik des Hungers

Anders als die westlichen Industrieländer, die nach dem Ende des Weltkriegs mit ihrer Spielfilmproduktion ein stetig wachsendes, zahlungskräftiges Publikum unterhielten, befand sich Russland sogleich wieder im Krieg, und zwar in einem Bürgerkrieg, in dem die eben gegründete Rote Armee die vor allem in den großen Städten vollzogene Revolution in den entlegeneren Gegenden des Landes zu behaupten suchte; ihre Gegner wurden von Japan, Frankreich, Großbritannien, Deutschland und Österreich unterstützt. Der Ausdruck »Kriegskommunismus«, mit dem man die durch gewaltsame Aneignung und Umverteilung gekennzeichnete Mangelwirtschaft jener Jahre benennt, trifft in gewissem Maße auch auf die russische Filmindustrie zu. Etliche Produzenten, Regisseure, Techniker und Schauspieler hatten das Land nach der Revolution verlassen. Diejenigen, die sich der verbliebenen filmischen Produktionsmittel nun bemächtigten, waren auf diesem Gebiet zumeist noch Dilettanten. Nur wenige, die schon in der Filmproduktion des zaristischen Russland gearbeitet hatten, blieben der sowjetrussischen Filmindustrie erhalten. Jewgeni Bauer hatte dem alten russischen Film mit »Der sterbende Schwan« (1917) einen Abschiedsgruß entboten; er starb im gleichen Jahr. Sein einstiger Assistent Lew Kuleschow lieferte mit »An der roten Front« (1920, verschollen) die Parole für den revolutionären russischen Film.
Mit Blick auf die frühen Filme des brasilianischen Cinema Novo aus den fünfziger Jahren sprach Glauber Rocha von einer »Ästhetik des Hungers«. Nicht so sehr die Ästhetik als den wirtschaftlichen Aufbau der sowjetischen Filmproduktion betraf der Hunger unmittelbar. An ihrem Beginn – oder Neubeginn nach dem Bürgerkrieg – standen Filme wie »Hunger in Russland« und »Die Wolga hinunter«, beide 1922 produziert von der Internationalen Arbeiterhilfe (IAH). Der Filmgeschichte wurde diese Organisation bald bekannt unter dem russischen Akronym Meschrabpom (Meždunarodnaja rabočaja pomošč). Am Ende des Bürgerkriegs litten Milli­onen von Menschen in Sowjetrussland Hunger. Anders als bei der Katastrophe, die sich infolge der kriegerischen Kollektivierung der Landwirtschaft zehn Jahre später ereignen sollte, wurde die Hungersnot damals nicht von Staats wegen geleugnet, im Gegenteil rief die Regierung die Welt um Hilfe. Den größten Teil der benötigten Hilfe leistete die American Relief Administration unter dem Vorsitz des späteren republikanischen Präsidenten Herbert Hoover. Von größerer politischer Bedeutung aber als die Lieferungen aus den USA, die man in der Sowjetunion lieber kleinredete, waren die Unternehmungen der Internationalen Arbeiterhilfe (IAH). Sie wurde von den Kommunisten selbst geschaffen mit dem Ziel, die verschiedenen Hilfsaktionen zu koordinieren und die Politik der Kommunistischen Internationale (Komintern) im Ausland zu unterstützen. Gegründet wurde sie auf Initiative Lenins von Willi Münzenberg 1921 in Berlin, und auch über das Ende der akuten Hungersnot hinaus blieb sie als eine Frontorganisation der Komintern bestehen. Münzenberg, der bereits die von ihm selbst aufgebaute Kommunistische Jugendinternationale leitete, hatte Lenin 1915 in der Schweiz kennengelernt. Lenin seinerseits war auf Münzenbergs Begabung schnell aufmerksam geworden: nicht nur als Organisator, sondern als Multiplikator, wie man es im Vokabular der PR-Agenturen heutzutage nennen würde. Münzenberg gelang es, auch jene reichen oder zumindest einflussreichen Leute für sich zu gewinnen, die dem Kommunismus skeptisch bis feindselig gegenüberstanden.
Die IAH warb nicht allein um Geld und Getreide, sondern um Sympathien für Sowjetrussland, was damals gleichbedeutend war mit der Weltrevolution, als deren Vorbote sich dieses unglückliche Provisorium eines auf sein Absterben gefassten Staates offiziell noch verstand. Selbst die Getreidetransporte durch Russland waren stets auch Propagandaveranstaltungen für die Revolution, die nach dem Frieden nun endlich das im Oktober 1917 versprochene Brot brachte. Um Leute in Westeuropa und Amerika, keineswegs nur Arbeiter und Mitglieder kommunistischer oder sozialistischer Parteien, für die Hilferufe empfänglich zu machen, wurden bald auch Filme produziert, zunächst kleine Dokumentarfilme, die die Hungersnot selbst darstellten. Mit der 1922 gegründeten Aufbau Industrie und Handels AG, die ihrerseits der IAH unterstand, organisierte Münzenberg von Berlin aus den Vertrieb sowjetischer Filme im Westen. Unterdessen war aus seiner publizistischen Tätigkeit für die IAH und die Komintern ein gewaltiger Verlag hervorgegangen, in dem populäre Zeitungen wie die Welt am Abend, Berlin am Morgen und die Arbeiter Illustrierte Zeitung erschienen. Kritiker nannten ihn spöttisch den »Münzenberg-Konzern«: die bürgerlichen wohl aus Furcht und Ehrfurcht vor einem erfolgreichen Geschäftsmann, dessen Geschäft ausgerechnet der Kommunismus war; die in der kommunistischen Partei aus Sorge um einen ihrer mächtigsten Funktionäre, der allzu geschickt mit der Bourgeoisie anbändelte und die geforderte Disziplin womöglich einmal vermissen lassen würde. Was Münzenberg zu einem Medienkonzern noch fehlte, war eine Filmproduktionsgesellschaft, die über die Ausstattung und das Personal verfügte, um Filme nicht nur vertreiben, sondern selbst herstellen zu können. Eine solche fand er 1923 in Moskau. Aus einer Beteiligung der IAH an dem Filmstudio Rus ging ein Jahr später die Filmproduktionsgesellschaft Meschrabpom-Rus hervor.

Lob der Unterhaltung

Willi Münzenberg war selbst weder Filmemacher noch Kunstkritiker. Doch die Bedeutung des Films für die Arbeit der Komintern erfasste er genau. Und er beschränkte sich nicht auf die schon damals zur Allerweltsweisheit gewordene Erkenntis, dass der Film kraft seiner massenweisen Verbreitung und seiner über Sprachgrenzen hinweg verständlichen Bilder das zurzeit mächtigste Mittel der Aufklärung und Propaganda darstelle. In der Prawda vom 12. Juli 1923 hatte sich Leo Trotzki unter der Überschrift »Der Wodka, die Kirche und das Kino« darüber beklagt, dass seine Partei es noch nicht verstanden habe, den Film, der ihr doch so nützlich seine könnte, in Besitz zu nehmen. Das legitime Bedürfnis der Menschen nach Vergnügen und Zerstreuung sei nicht zu bestreiten, und gerade die kommunistische Partei, die mit der Durchsetzung des Achtstundentags auch die Freizeit der Arbeiter vermehrt habe, müsse sich diese weithin beliebte Art der Unterhaltung zunutze machen. Nur so könne sie dem Einfluss des Alkohols und der Kirche wirksam entgegentreten. In eine ähnliche Richtung zielte Münzenberg mit seiner Broschüre »Erobert den Film!«, die 1925 in Berlin erschien. Anders als der Titel vermuten lässt, ging es darin auch um ästhetische Fragen. Münzenberg kritisierte die Themen des kommerziellen Films, nicht jedoch die Form des psychologisierenden Spielfilms, dessen Handlung und Figuren den Zuschauer emotional zu ergreifen imstande seien. Daran, unter anderem, solle sich die kommunistische Filmarbeit mit ihren proletarischen Themen orientieren. Im Unterschied sowohl zu den Avantgardisten wie zu den Verfechtern einer »proletarischen Kultur«, die in der Sowjetunion über eine Revolutionierung der Kunst stritten, stand Münzenberg den als bürgerlich erachteten Formen pragmatisch gegenüber.
Das seit 1915 bestehende Filmstudio Rus war das einzige aus vorrevolutionärer Zeit, das sich in die Sowjetunion hinüberretten konnte. Mit der im Jahr 1921 erlassenen Neuen Ökonomischen Politik (NÖP), die den Kriegskommunismus beendete und privatwirtschaftliche Unternehmungen in beschränktem Umfang wieder zuließ, konnte auch das vorübergehend verstaatlichte Filmstudio nun als Aktiengesellschaft weiterbetrieben werden. An materieller Ausstattung fehlte es jedoch, und so konnten zunächst nur wenige Filme produziert werden. Das Angebot der IAH, sich am Betrieb zu beteiligen, muss in ökonomischer Hinsicht verlockend gewesen sein. Darüber hinaus aber erhofften sich die Gesellschafter des Studios auch eine politische Verbesserung der Lage. Ihr Unternehmen galt in der Sowjetunion als bürgerlich und konservativ, mit öffentlicher Unterstützung konnte es kaum rechnen. Für die kommunistische Partei, die den Film in den Dienst der pro­letarischen Revolution stellen wollte, repräsentierte das Studio Rus mit seinen renommierten Darstellern des Moskauer Künstlertheaters das untergegangene Russland. Beispielhaft dafür war die international erfolgreiche Tolstoi-Adaption »Polikuschka« von Alexander Sanin, die schon 1919 produziert worden war, wegen des Bürgerkriegs jedoch erst 1922 erscheinen konnte. Ein Zusammenschluss mit der IAH, so hoffte man, werde dem Studio außer Geld auch eine neue Identität bescheren und die prekäre Position der Aktiengesellschaft in der Konkurrenz mit den staatlich kontrollierten Filmstudios verbessern. Man war dazu bereit, den Preis dafür zu zahlen, neben künstlerisch ehrgeizigen Filmen künftig auch solche produzieren zu müssen, die die Revolution in die Welt hinaustragen sollten. Zumal sich an der Leitung der Filmgesellschaft zunächst nicht viel änderte: Geschäftsführer blieb, nunmehr an der Seite des in Moskau residierenden IAH-Funktionärs Francesco Misiano, der erfahrene Filmmanager Moisej Alejnikow.
Für das Studio Rus bedeutete dieser trügerisch vielversprechende Neuanfang das nahe Ende. Ohnehin sollten mit der abermaligen Reorganisation der Filmwirtschaft im Zuge des ersten Fünfjahrplans (1928–1932) solche verhältnismäßig freien Unternehmungen bald sehr erschwert werden. Dennoch erwies sich die Gründung von Meschrabpom-Rus als ein filmgeschichtlicher Glücksfall. Das Studio verfügte nicht nur über erfahrene Filmkünstler, Kameraleute, Techniker und Darsteller, zu denen sich junge, politisch wie ästhetisch revolutionäre Künstler gesellten, sondern dank der Verbindungen nach Deutschland auch über die beste materielle Ausstattung aller sowjetischen Filmstudios jener Zeit. Eindrucksvoll zur Geltung kam das erstmals in »Aëlita« (1924), einem frühen Science-Fiction-Film, in dem neben bizarr kostümierten Außerirdischen Momente des sowjetischen Alltagslebens ins Bild gesetzt wurden. Regie führte Jakow Protasanow, einer der Pioniere des russischen Films, der nach kurzzei­tiger Emigration in die Sowjetunion zurückgekehrt war. Einer der bis heute berühmtesten jungen Regisseure, die für Meschrabpom-Rus arbeiteten, war Wsewolod Pudowkin. Seine ­Filme »Die Mutter« (1926, nach dem Roman von Maxim Gorki), »Das Ende von St. Petersburg« (1927) und »Sturm über Asien« (1928) zählen neben den Werken Sergej Eisensteins, Alexander Dowschenkos, Dsiga Wertows und Lew Kuleschows zu den Klassikern des sowjetischen Revolutionskinos.

Deutsch-sowjetische Kooperationen

Mit der künstlerischen Arbeit des Studios hatte Willi Münzenberg selbst nicht viel zu schaffen, er vertraute seinen Mitarbeitern, vor allem dem italienischen IAH-Funktionär Francesco Misiano, der mit Moisej Alejnikow den Betrieb der Meschrabpom-Rus vor Ort leitete, und beschränkte sich auf den finanziellen und politischen Teil des Geschäfts. Dazu gehörte auch der weitere Ausbau der Vertriebswege, über die Filme aus der Sowjetunion, nicht nur von Meschrabpom, in die Kinos im westlichen Ausland gelangen sollten. Die wichtigste Rolle übernahm dabei die im Dezember 1925 in Berlin gegründete Prometheus Film-Verleih und Vertriebs GmbH. Sergej Eisensteins »Panzerkreuzer Potemkin« (selbst keine Meschrabpom-, sondern eine Goskino-Produktion), dessen deutsche Erstaufführung im April 1926 in Berlin stattfand, wurde durch den Vertrieb der Prometheus erst berühmt. War der Film bei seiner Premiere in Moskau, die Münzenberg besucht hatte, noch verhalten aufgenommen worden, geriet die Vorführung in Deutschland zu einem Spektakel, und das nicht nur unter organisierten Arbeitern und Kommunisten. Der starke Eindruck, den dieser Film auf die Intellektuellen der Weimarer Republik gemacht hat, findet sich in der Literatur vielfach dokumentiert. Walter Benjamin etwa nahm eine Kritik des »Potemkin« von Oscar Schmitz zum Anlass seines ersten filmtheoretischen ­Essays, erschienen 1927 in der Literarischen Welt.
In den folgenden Jahren betätigte sich Prometheus – offiziell eine selbständige Firma, die sich jedoch wenig Mühe gab, ihre Verbindung zur IAH zu verheimlichen – auch als Filmproduktionsgesellschaft in Deutschland. Mitverantwortlich dafür war ausgerechnet der deutsche Staat. Ein neues Gesetz schrieb vor, dass zum Vertrieb ausländischer Filme nur berechtigt sei, wer in einem bestimmten Umfang auch in Deutschland selbst produzierte Filme vertreibe. Was die von Meschrabpom betraf, so konnte sich Prometheus darauf nur bei Co-Produktionen berufen, die offiziell als deutsche Produktionen deklariert werden konnten. Die Künstler in Deutschland aber fanden in Prometheus bald eine Produktionsgesellschaft, die erklärtermaßen proletarische Filme herstellte. Zu den bekanntesten gehören »Mutter Krausens Fahrt ins Glück« (1929) von Phil Jutzi, der später für die Nazis arbeitete, und »Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt« (1932) von Slatan Dudow und Bertolt Brecht, während dessen Produk­tion die Prometheus bereits Konkurs anmelden musste. Für die Fertigstellung sorgte die Schweizer Praesens-Film.
Von Restriktionen anderer Art war die Filmproduktion in der Sowjetunion betroffen. Ungeachtet der Erfolge, die Meschrabpom-Rus selbst mit offensichtlich revolutionären Filmen gelangen, blieb das Studio unter besonderer Beobachtung. Die Ausnahmestellung, die es dank seiner internationalen Ausrichtung und insbesondere dank seiner engen Beziehungen zu Berlin innehatte, machte die sowjetischen Behörden misstrauisch. Der Zusammenschluss mit der IAH änderte nichts daran, dass das Filmstudio in vielerlei Hinsicht weiterhin benachteiligt wurde. Es konnte als Privatunternehmen zum Beispiel nicht auf staatliche Subventionen rechnen und musste den Kopierwerken höhere Preise als die staatlichen Filmunternehmen entrichten.
Das Misstrauen gegen Meschrabpom-Rus wuchs umso mehr, je weiter in der Sowjetunion die Angst vor einer ausländischen Intervention um sich griff, und Stalin, der sich als Führer der Partei mittlerweile behauptet hatte, schürte diese Angst zu seinem eigenen Nutzen. Im Jahr 1928, als der erste Fünfjahresplan zum Aufbau einer Schwerindustrie beschlossen wurde, gab die Partei auch für den kulturellen Überbau neue Parolen aus. Kampagnen gegen bürgerliche Spezialisten und Intellektuelle, nicht zuletzt solche aus dem Ausland, boten einen Vorgeschmack auf den Antikosmopolitismus, der nach dem Weltkrieg zur Staatsraison erhoben werden sollte. Im selben Jahr fanden die ersten Schauprozesse gegen angebliche Saboteure statt. Die Revolution von oben, wie Stalin die mit Gewalt vorangetriebene Industrialisierung und Kollektivierung später genannt hat, umfasste auch eine von oben angeleitete Reform der Filmproduktion. Auf der Allunions-Parteikonferenz zum Film, die im März 1928 stattfand, wurde eine strengere Zentralisierung der sowjetischen Filmindustrie beschlossen, von der man sich eine effektivere Steuerung der Produktion auch in ideologischer Hinsicht versprach. Die Richtung, in die sich der sozialistische Filmbetrieb entwickeln sollte, war damit vorgegeben, wenngleich die Gründung der staatlichen Filmbehörde Sojuskino erst zwei Jahre später erfolgte.

Der Weg ins Verderben

Infolge der 1928 ausgegebenen Direktiven zum Film wurde Meschrabpom-Rus zum Gegenstand polizeilicher Ermittlungen. Führenden Mitarbeitern des Studios warf man Unterschlagung vor, was nie bewiesen wurde, und es folgten Entlassungen und Verurteilungen. Alejnikow erhielt eine Bewährungsstrafe, er durfte später für die Filmbehörde Sojuskino und danach für das neugegründete Studio Mosfilm arbeiten. Die Aktienanteile gehörten nun allesamt der IAH. Die Geschäftsführung von Meschrabpom-Film, wie das Studio fortan hieß, übernahm Misiano, die Leitung der Studioarbeit der sowjetische Kulturfunktionär Boris Babitzki, der 1938 verhaftet und hingerichtet wurde. Die Herstellung erstklassiger Filme ging dennoch voran. 1929 erschien die in Deutschland gedrehte Co-Produktion »Der lebende Leichnam« unter der Regie von Fjodor Ozep, einem früheren Assistenten Jakow Protasanows. Bei Meschrabpom-Film enstand 1931 auch der erste sowjetische Tonfilm, »Der Weg ins Leben« von Nikolai Ekk. Die Geschichte handelt von der Resozialisierung vagabundierender Jugendlicher, deren Eltern ums Leben gekommen waren; die freiwillige Arbeit auf einem Kolchos soll sie in ein anständiges Leben führen. Dass die erzwungene Kollektivierung der Landwirtschaft das Leben zahlloser Menschen erst zerstört hatte, wurde nicht erzählt. In der Jury, die diesen Film – ästhetisch ganz zu Recht – beim ersten Filmfestival in Venedig 1932 auszeichnete, war sicherlich niemand darüber im Bilde, dass die gepriesene Resozialisierung für die meisten Jugendlichen nichts anderes als die Inhaftierung in einem Lager bedeutete. Die Verklärung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die man der europäischen und erst recht der amerikanischen Spielfilmproduktion seit jeher vorwarf, sollte in der Sowjetunion bald zur Maxime erhoben werden. Genannt wurde sie »sozialistischer Realismus«. Nur wenige Produkte gelangen noch so überzeugend wie »Der Weg ins Leben«, der den ins Verderben virtuos überspielte.
Ungeachtet des polizeilich herbeigeführten Umbaus konnte die Meschrabpom-Film ihre internationale Ausrichtung beibehalten. Das galt auch für die Wahl der Themen. Pudowkins Film »Der Deserteur« (1933) erzählt von einem Hamburger Dockarbeiter, der am Kampf der Arbeiterklasse zu zweifeln beginnt und erst nach einem Besuch der Sowjetunion die nötige Entschlossenheit gewinnt, um den Kampf wieder aufzunehmen; er kehrt nach Hamburg zurück und nimmt den Platz eines auf seinem Streikposten getöteten Genossen ein. Bemerkenswert an diesem ästhetisch außergewöhnlichen Film ist auch, dass der in Deutschland spielende Teil – Pudowkin selbst kannte das Land noch aus seiner Kriegsgefangenschaft – weitaus besser gelungen ist als der, in dem man bereits das verlogene Pathos zu schmecken bekommt, das viele spätere sowjetische Filme so unappetitlich macht. In den Worten Jean Renoirs könnte man sagen, dass jener Teil etwas von der Wirklichkeit in den Film einlässt, die der andere selbstgefällig aussperrt.
Die internationale Orientierung der Meschrabpom-Film wurde, gerade was die Zusammenarbeit mit deutschen Künstlern anbelangt, in den folgenden Jahren verstärkt. Auf Anregung Münzenbergs berief man 1932 den Schauspieler und Regisseur Hans Rodenberg zum stellvertretenden Direktor des Studios. Zuvor schon hatte das Zentralkomitee der IAH in Absprache mit der sowjetischen Partei beschlossen, künftig mehr Künstler aus Deutschland zur Filmarbeit in die Sowjetunion einzuladen. Einer der ersten, die diesem Ruf folgten, war Erwin Piscator. Einen Film hatte er noch nicht gedreht, als der bedeutendste Regisseur eines politischen Theaters in Deutschland aber genoss er eine Reputation weit über Berlin hinaus. Mit Piscators Engagement bei Meschrabpom-Film begann – was man damals noch nicht ahnte – das Exil deutscher Filmkünstler in der Sowjetunion. Piscator selbst erfuhr von der Machtübernahme der Nazis in einem Moskauer Hotel; an eine Rückkehr war nicht mehr zu denken. Weitere Künstler sollten ihm ab 1933 folgen.
Geplant war zunächst eine Verfilmung des Romans »Des Kaisers Kulis« (1929) von Theodor Plivier, der das Leben der Matrosen der deutschen Kriegsmarine im Ersten Weltkrieg schildert. Piscator hatte bereits eine dramatische Bearbeitung des Romans im Berliner Lessingtheater inszeniert, woraufhin ihm Willi Münzenberg diesen Stoff für einen Spielfilm vorschlug. Was ihm auf der Bühne noch nicht ge­lingen wollte, hoffte Piscator im Film realisieren zu können. Wenn man ihm die russische Kriegsflotte zur Verfügung stellte, meinte er, werde er der Einladung der Meschrabpom-Film gerne folgen. Die Kriegsflotte bekam er freilich nicht, und auch sein Filmvorhaben erwies sich als undurchführbar. Schließlich einigte man sich auf einen neuen Film, dem die Erzählung »Der Aufstand der Fischer von St. Barbara« (1928) von Anna Seghers zugrundegelegt wurde. Für das Szenarium bestellte man den sowjetischen Drehbuchautor Georgi Grebner, mit dessen Vorstellungen jedoch Piscator selten übereinkam. Die Dreharbeiten gestalteten sich ebenso schwierig wie die Vorbereitungen. Gedreht wurde im hohen Norden in Murmansk, nach Unterbrechungen später in Odessa am Schwarzen Meer. Den Plan, zusätzlich zur russischen Fassung auch eine in deutscher Sprache zu drehen, gab man bald auf. Piscator erwog mehrmals, das Projekt abzubrechen.
Der eitle und maßlos anspruchsvolle, doch in der Filmproduktion unerfahrene Regisseur, als den man ihn in der Sowjetunion wahrnahm, konnte die an ihn gestellten Erwartungen kaum erfüllen. Die Regeln der dortigen Filmproduk­tion blieben ihm so fremd wie die stets widrigen Bedingungen, unter denen gearbeitet werden musste. »Der Aufstand der Fischer«, der im Oktober 1934 in Moskau endlich vorgeführt wurde, blieb der einzige Film, den er jemals fertigstellen konnte. Von der ursprünglichen Idee war nur das Bild eines Aufstands übriggeblieben, mit allerdings neuen Konturen. Aus dem vormals geplanten Film über einen Matrosenaufstand war nun ein dezidiert antifaschistischer Film geworden. Als Aufruf, das Furchtbarste abzuwenden, kam er jedoch längst zu spät. In Deutschland konnte der Film nicht mehr vorgeführt werden. Piscator selbst entschied sich, in der Sowjetunion zu bleiben. Gleichwohl teilte er damals noch die Einschätzung der Komintern, dass die Machtübernahme der Nazis einen revolutionären Aufstand um so wahrscheinlicher mache.

Sozialistischer Antimodernismus

In der Sowjetunion hinterließ »Der Aufstand der Fischer« einen ziemlich schlechten Eindruck. Dass Piscator aus der ohnedies recht trübsinnigen Erzählung von Anna Seghers einen zwar optisch dunklen, dennoch äußerst kämpferischen Film gemacht hat, reichte im Jahr 1934 nicht mehr aus, um die Parteiführung und ihre Gefolgschaft zu beeindrucken. Nach einer privaten Vorführung fragte Stalin den Leiter der zentralen staatlichen Filmverwaltung, Boris Schumjatzki, wer denn solche langweiligen, düsteren Filme herstelle und wer in seinem Land solche Filme sehen wolle.
Das im selben Jahr entstandene, auf dem ersten Moskauer Filmfestival ausgezeichnete Bürgerkriegsdrama »Tschapajew« von Sergej und Georgi Wassiljew demonstrierte hingegen, wie ein sozialistischer Film in Zukunft auszusehen habe. Die Allunionskonferenz sowjetischer Filmschaffender vom Januar 1935 bekräftigte, was kurz zuvor schon die führenden Literaten des Landes vor internationalem Publikum auf dem ersten Allunionskongress der Sowjetschriftsteller kundgetan hatten: Alles Moderne – aus­genommen Staudämme, Traktoren, Flugzeuge usw. – sollte aus der sozialistischen Kunst verbannt werden. Die Avantgarde der vorigen Jahrzehnte, der auch experimentelle kommunistische Künstler wie Piscator nachhingen, sei vom Aufbau des Sozialismus überholt worden. Als vorbildlich galt nun, was das einst revolutionäre Bürgertum im späten 18. und 19. Jahrhundert geschaffen habe, während die moderne, als dekadent und formalistisch denunzierte Kunst Ausdruck der Fäulnis der kapitalistischen Welt sei. Gefragt waren fortan Helden, die dem Zuschauer ergreifende moralische Wandlungen und positive gesellschaftliche Entwicklungen vor Augen führen. Dieses für die Schilderung der Verhältnisse im eigenen Land obligatorische Schema wurde auch auf Filme übertragen, die vom antifaschistischen Widerstand in Deutschland handelten.
Ein sehr bemerkenswerter Film dieser Art ist »Kämpfer« (1936) von Gustav von Wangenheim, einem weiteren Emigranten aus Deutschland, der zunächst vor allem zur Theaterarbeit nach Moskau gekommen war. Wie Piscator hatte er nie zuvor einen Film inszeniert, wiewohl er als Schauspieler in Murnaus »Nosferatu« (1922) und Fritz Langs »Frau im Mond« (1929) aufgetreten war. In Deutschland hatte er zuletzt die »Truppe 1931« geleitet, eine aus der Berliner Künstlerkolonie hervorgegangene kommu­nistische Theatergruppe. In der Sowjetunion übernahm er die Leitung der von Berlin nach Moskau übergesetzten »Kolonne Links«. Ganz im Stil des Agitproptheaters inszenierte Wangenheim auch seinen ersten Film, der vollständig in deutscher Sprache und unter Mitwirkung von Exilanten in fast allen verantwortlichen Positionen gedreht wurde. Für die in die Sowjetunion emigrierten Künstler zumal aus Deutschland, entweder Mitglieder oder Symphatisanten der kommunistischen Partei, wurde bei Meschrabpom-Film eigens das Studio »Rot Front« eingerichtet. Wangenheims »Kämpfer« blieb allerdings einer der wenigen Filme, die dort realisiert werden konnten.
Ursprünglich war ein Dokumentarfilm über den Leipziger Reichstagsbrandprozess geplant. Dafür verpflichtete man den niederländischen Filmemacher Joris Ivens, der für Meschrabpom-Film bereits die Dokumentation »Heldenlied« (1932) gedreht hatte, eine Art Werbefilm über die neue Industriestadt Magnitogorsk im Ural, mit Musik von Hanns Eisler. Ivens aber verließ Moskau im Frühjahr 1935, gedreht wurde schließlich ein Spielfilm nach einem Drehbuch und unter der Regie Wangenheims. Im Mittelpunkt des Films steht Georgi Dimitroff, der zum heroischen Vorbild im Kampf gegen die Nazis stilisiert wird. Dank seiner Anziehungskraft sollte es – im Film zumindest – gelingen, selbst Nazis oder vermeintliche Mitläufer ihrer Bewegung für den antifaschistischen Widerstand zu gewinnen. Die scheinbar dokumentarischen Szenen, die die Wahrheit auch der in der deutschen Provinz angesiedelten fiktionalen Geschichte bezeugen sollen, wurden mit dem inzwischen in die Sowjetunion emigrierten Dimitroff in Moskau gedreht.

Die Ideologie der Volksfront

Der Film »Kämpfer« nahm Partei weniger für den Sozialismus als für die »Volksfront«, die nach Beschluss des VII. Weltkongresses der Komintern (1935) von Moskau aus aufgebaut werden sollte. Die erste öffentliche Aufführung fand bezeichnenderweise nicht in der Sowjetunion, sondern im Oktober 1936 in New York statt. Nachdem die Komintern die einstmals proklamierte Einheitsfront der Arbeiterklasse offiziell desavouiert hatte – auf dem VI. Weltkongress 1928 waren die Sozialdemokraten zu »Sozialfaschisten« erklärt geworden –, sollte nun mit der Volksfront ein noch breiteres Bündnis gegen den Faschismus entstehen, in dem freilich die Kommunisten das letzte Wort behalten sollten. Über einige Verhandlungen mit Sozialdemokraten und bürgerlichen Intellektuellen kam die erhoffte Front aber nie hinaus. Das ohnehin kaum vorhandene Vertrauen in die Absichten der Komintern wurde durch den ersten Moskauer Prozess im August 1936 zunichte gemacht.
Einige der Emigranten, die nicht zuletzt der Arbeit bei Meschrabpom-Film wegen in die Sowjetunion gekommen waren, ergriffen nun die nächstbeste Gelegenheit, das Land wieder zu verlassen. Darunter Piscator, der eine Auftragsreise nach Spanien nutzte, um sich nach Paris abzusetzen, sowie der Schauspieler Alexander Granach, der bereits verhaftet worden war und nur dank eines Briefes von Lion Feuchtwanger, den man bei ihm fand, ausreisen durfte. Er sollte sich dafür mit der Rolle des Russen Kopalski in Ernst Lubitschs »Ninotschka« (1939) rächen. Der bald nach dem ersten Moskauer Prozess einsetzende Terror gegen »Trotzkisten«, »Schädlinge« und »Spione« erfasste auch die Emigranten, die als Ausländer generell unter Verdacht gerieten. Allein aus dem Ensemble des Films »Kämpfer« fielen Wolfgang Duncker, Jakob Freund, Gregor Gog, Ernst Mansfeld, Bruno Schmidtsdorf, Heinrich Vogeler, Friedrich Voss und vermutlich noch einige andere dem Terror zum Opfer. Helmut Damerius, der einstige Leiter der »Kolonne Links«, und Hans Hauska konnten nach langer Haft aus der Sowjetunion zurückkehren.
Das fatale Missverständnis des Nationalsozialismus in Deutschland, der nach Auffassung der Komintern nichts anderes sein sollte als eine terroristische Diktatur des Groß- und Finanzkapitals, als deren Antagonisten man die Arbeiterklasse oder das gesamte Volk anrief, wurde seitens der nach Moskau Geladenen ergänzt um das Missverständnis des Sozialismus in der Sowjetunion. In der neuen Heimat, die viele Emigranten als die wahre erkennen wollten, mussten sie lernen, staatliche Gewalt auch gegen die den Staat in höchsten Tönen preisenden Freunde und Genossen nicht nur zu ertragen, sondern bei Strafe des eigenen Untergangs gutzuheißen. Solidarität, wie sie noch in dem Film »Kuhle Wampe« (1932) entgegen dem Konkurrenzprinzip des freien Wettbewerbs besungen worden war, galt nun als Verstoß gegen die revolutionäre Wachsamkeit.
Die gehässigen Kampagnen, die den ersten Fünfjahresplan und die Kollektivierung der Landwirtschaft begleiteten, hatte nicht Meschrabpom-Rus zwar, doch Meschrabpom-Film immerhin überstanden. Ehe der von neuem entfesselte Terror die großen Städte erfasste, war das in den vergleichsweise idyllischen Jahren der NÖP aufgebaute Studio bereits demontiert. 1935 schon war die IAH aufgelöst worden; was von dem Unternehmen übrigblieb, übernahm die Internationale Rote Hilfe. Im Juni 1936 wurde auch Meschrabpom-Film liquidiert. Die letzte Produktion des Studios, die noch im darauffolgenden Jahr erschien, war »Gobseck« von Konstantin Eggert, merkwürdigerweise ausgerechnet die Adaption einer Erzählung Balzacs über einen jüdischen Wucherer. Neben den explizit politischen Filmen, insbesondere der Emigranten aus Deutschland, hat Meschrabpom-Film auch noch in den dreißiger Jahren zahlreiche Werke produziert, die der künstlerischen Tradition des Studios verpflichtet blieben. Bezeichnenderweise gelang fast keinem der Regisseure, die für Meschrabpom-Film gearbeitet hatten, in späteren Jahren mehr ein Film von solcher Qualität. Fjodor Ozep war bereits 1931 nach Paris emigriert. Nikolai Ekk, Lew Kuleschow, Jakow Protasanow, Wsewolod Pudowkin, Dsiga Wertow – sie alle überlebten den Terror, doch keiner von ihnen als der Filmkünstler, der er einmal gewesen war.
Moisej Alejnikow arbeitete inzwischen als Dramaturg für das Studio Mosfilm, das viele weitere Mitarbeiter der Meschrabpom-Film übernahm; er starb 1964. Franceso Misiano hatte mit seinem Posten bei Meschrabpom-Film auch das Vertrauen der Partei verloren, sein durch schwere Krankheit verursachter Tod im Jahr 1936 erübrigte die Frage, ob oder wann ihn die Ermittler des NKWD verhaften lassen würden. Willi Münzenberg, der 1933 ins Exil nach Paris gegangen war, wo er bis zum Einmarsch der Deutschen blieb – und wo er mit weithin beachteten Publikationen und Veranstaltungen gegen Nazideutschland Stellung bezog –, hatte sich seit dem absehbaren Scheitern der Volksfront von der Komintern distanziert. Wiederholten Vorladungen nach Moskau kam er 1937 nicht mehr nach. Ein Jahr zuvor erst hatte er sich von der Atmosphäre in der Sowjetunion einen letzten Eindruck verschaffen können. 1938 wurde er aus der Partei ausgeschlossen. 1940 fand man seine Leiche in einem Wald im Südosten Frankreichs.

Die Retrospektive »Die rote Traumfabrik« über die Filme von Meschrabpom läuft noch bis zum 19. Februar auf der Berlinale.