Hab mich gerne, Postmoderne.

O Herr, deleuze uns von dem Übel

Warum der materialistische Kritiker mit der Postmoderne nie glücklich werden kann.

Den Vorwürfen, die die Adepten der Kritik der politischen Ökonomie regelmäßg zu hören kriegen, sie glaubten, "die Wahrheit gepachtet" zu haben, sie kämen sich als die großen Schlauberger vor und seien für "andere Ansätze" nicht "offen", ist zu entgegnen: In der Tat ist der materialistischen Kritik die Annahme einer Relativität der Wahrheit fremd und suspekt. In der Tat durchschaut sie die Formen kapitalistischer Vergesellschaftung, aber sie weigert sich konsequent, sie zu rationalisieren. Als "Unwesen", als ein konstitutionell unvernünftiges Verhältnis, läßt der sich verwertende Wert alias Kapital sich nicht auf einen vernünftigen Begriff bringen. Die Wahrheit, die der materialistischen Kritik zukommt, ist deshalb eine durchweg negative: Wahrheit wäre die praktische Abschaffung ihres Gegenstandes und damit der Wegfall dessen, was ihr Anlaß für ihr eher trauriges Geschäft bietet. Solange dieser Fall nicht eingetreten ist, artikuliert sich die Theorie als Ideologiekritik: Sie denunziert die vorgefundenen Formens des Denkens, um vermittels dieses Verfahrens die Formen der Vergesellschaftung zu treffen und ihrer möglichen Abschaffung die Tür offen zu halten. Mit allen anderen Theorien steht die materialistische Kritik keineswegs

al pari oder in offener Konkurrenz, sondern unterhält zu ihnen einzig ein Verhältnis der bestimmten, manchmal auch schroff unvermittelten Negation.

Warum ausgerechnet die philosophische Postmoderne in diesem Zusammenhang eine Ausnahme darstellen sollte, ist nicht einzusehen. Gemeinsamkeiten und Unterschiede, "Stärken" und "Schwächen" von Kritischer Theorie und Poststrukturalismus herauszuarbeiten und gegeneinanderzuhalten, um zu einem differenzierten und ausgewogenen, d.h. nichtssagenden Ergebnis zu kommen, wäre das Gegenteil von Materialismus und deshalb soll man dies getrost den akademischen Intellektuellen überlassen, deren Geschäft es ist, noch die schärfste Kritik dem universitären "Ansatz"-Gewürge einzuverleiben. Auch für den Fall, daß man dem Poststrukturalismus unendlich viel vorzugeben bereit und darauf erpicht ist, mögliche Wahrheitsmomente desselben herauszustellen, käme man als materialistischer Kritiker trotzdem nicht umhin, das theoretische Gebäude als Ganzes mit den eigenen zur Verfügung stehenden Kategorien der Kritik zu unterwerfen. Es ist ein Unterschied, ob einem Denken Wahrheit eignet oder ob ihm Wahrheit eher unfreiwillig widerfährt; Foucaults bisweilen recht hellsichtige Erkenntnisse über die Disziplinierung der Körper z.B. sind von seinem theoretisch schwammigen und unhaltbaren "Macht"-Konzept nicht zu trennen und eine kritische Theorie würde solche Erkenntnisse eben anders artikulieren.

Zu bezweifeln ist freilich, ob das poststrukturalistische Philosophieren überhaupt die Mühe einer solch geduldig-immanenten Kritik lohnt. Denn seine theoretischen Grundannahmen sind offensichtlich, und um sie aufzuzählen, reicht selbst der knapp bemessene Raum hier: Es handelt sich dabei um einen stinkordinären Positivismus, der mit Nietzsche wortreich jedwede "Metaphysik" zum Scheinproblem und Hirngespinst erklärt, ohne sie auch nur im mindesten kritisch dechiffrieren zu können, der mit aus der französischen Semiologie hinübergeretteter strukturalistischer Rabulistik im geschichtslosen Nirgendwo sich an dekonstruktivistischen Sprachspielen gütlich hält

und ewig "Ein Text ist ein Text" herunterleiert und das Ganze schließlich einbettet in ein dunkles Geraune, aus dem einem stets die katholisch verknautschte Visage von Martin Heidegger entgegengrinst.

All diese Dinge würden Linke, setzte man sie ihnen einzeln und unverschnitten vor, nur mit spitzen Fingern anfassen und deshalb ist es umso erstaunlicher, warum fast alle in ehrfürchtige Bewunderung ausbrechen und ostentativen Lerneifer bekunden, wenn man sie ihnen als apartes Mischprodukt mit der Aufschrift "Fabriqué en France" serviert. Darüber, was das postmoderne Philosophieren so attraktiv macht, daß selbst kluge linke Kritiker ihm sich nicht entziehen können, sondern eine "differenzierte" Auseinandersetzung anraten, lassen sich einstweilen nur ein paar begründete Vermutungen anstellen. Die allgemeine und anhaltende Faszination der Postmoderne verdankt sich wohl der Tatsache, daß man keinen Text von Derrida, Lyotard oder Butler gelesen haben muß, um an der "Postmoderne" teilzuhaben. Ausschlaggebend ist nicht deren Inhalt, den nicht einmal die Vor- oder Meisterdenker anzugeben wüßten, sondern ein bestimmter Gestus des "Aufräumens", "Tabula-rasa-Machens", der sich in bestimmten Stichworten - "Dekonstruktion", "Macht", "Diskurs", "Sex und Gender", "Identität" - indiziert, die den Mitgliedern der postmodernen Gemeinde als Erkennungsmarken dienen und als Ausweis dafür, daß man zu jenen erlesenen Kreisen gehöre, wo man sich

die brillanten und höheren Gedanken mache. Was unter den Labels "Poststrukturalismus" oder "Postmoderne" sich versammelt, ist eine Attitüde, eine Philosophie, die nicht inhaltlich angeeignet werden muß, sondern als Segment des individuellen Lifestyle getragen werden kann.

Der Philosoph als Star, das Publikum als Fan-Gemeinde und die Philosophie als Ware von der Stange: die "Postmoderne" signalisiert die durchgesetzte Herrschaft kulturindustriellen Marketings, die unmittelbare Herrschaft der Ware selbst in den luftigsten Bereichen des Überbaus. Derart als Symptom genommen, ist die "Postmoderne" allerdings ein ernstzunehmendes Phänomen.