Rot-Grün bewährte sich in Ahaus

Regierungsfähig

"Verarscht" komme man sich vor, ließ ein Sprecher der Bürgerinitiative "Kein Atommüll in Ahaus" verlauten, während in Gundremmingen gerade die ersten drei Castor-Behälter auf die Reise ins Münsterland geschickt wurden. Die Strategie des nordrhein-westfälischen Innenministers Franz-Josef Kniola war aufgegangen, mit der Vorverlegung des Transports wurde der Widerstand auf dem falschen Fuß erwischt. Zu sehr hatte man sich im Lager der Castor-GegnerInnen auf den 25. März als Transporttermin festgelegt. Die Methode, sich den Zeitplan aus der Kombination von polizeiinternen Urlaubssperren, verlegten Bundesligaspielen und "gewöhnlich gut unterrichteten Quellen" zu erschließen, erwies sich in Ahaus - anders als bislang im niedersächsischen Wendland - als wenig verläßlich. Die Strategie, mit lange vorausgeplanten Demoterminen und schienennahen Campstandorten eine große Zahl gerade derjenigen mobilisieren und einbinden zu wollen, die bislang kaum in der Anti-Atom-Bewegung aktiv sind, erwies sich letztlich als zu unflexibel. Der Widerstand wurde für die Polizei leicht kalkulierbar.

Aus der alten Bewegungs-Parole "Wir stoppen den Castor, bevor er losfährt" entwickelte das NRW-Innenministerium die Strategie "Wir stoppen den Widerstand, bevor er losfährt". Und während die sichtlich überraschten Atomkraft-GegnerInnen ihre bereits vor Wochen gecharterten Busse absagen mußten und sich, wenn überhaupt noch möglich, in kleineren Gruppen auf den weiten Weg zur holländischen Grenze machten, besetzten Polizei und Bundesgrenzschutz alle strategisch wichtigen Punkte in und um Ahaus, räumten in aller Seelenruhe zwei der drei noch verbliebenen Widerstandscamps und behinderten die Anreise der Anti-Castor-AktivistInnen mit weiträumigen Vorkontrollen.

Die prophylaktische Dezimierung und Blockierung des Widerstandspotentials paßte prächtig zum vielstrapazierten Schlagwort der "Deeskalation": Wo immer die Demonstrationswilligen hinkamen, waren die grünuniformierten Damen und Herren schon zugegen. Und wer sich nicht im letzten verbliebenen Camp zentral erfaßbar machen wollte, fand sich - ohne die gewohnten Widerstandsstrukturen - bald vereinzelt an einem gut beschützten Schienenstück wieder.

Wo Deeskalation nicht die Verhinderung von Demonstration meinte, machte sie sich als grüne Mauer breit. Während auf allen Kanälen telegene Polizei-Pressesprecher das "völlig neue Konzept" als gesprächszentriert anpriesen, kam faktisch ein bewährter Kunstgriff zum Einsatz: Ständig wurden geschlossene Polizeireihen gezeigt, was aber dahinter geschah, sah man nicht - weder die AktivistInnen noch die "Verhältnismäßigkeit der Mittel", die ihnen entgegenschlug. Wo noch im letzten Jahr Bilder von Wasserwerfern und Schlagstockeinsätzen die AtompolitikerInnen ins Schwitzen brachten, verschwand hier der gesamte Widerstand hinter einer Welle rot-grüner Deeskalation respektive Desinformation. Wurde noch im Vorfeld die Chimäre der "2 000 gewaltbereiten Autonomen" bei jeder Gelegenheit strapaziert, um einerseits BI und Bündnisgrüne unter Druck zu setzen, andererseits weitreichende Demonstrations- und Campverbote zu legitimieren, war es Teil der Polizeitaktik, in der heißen Phase keine Bilder von "gewalttätigen Auseinandersetzungen" zu ermöglichen. So konnte das scheinbare Ausbleiben der beschworenen Gefahr als Erfolg des NRW-Innenministeriums verkauft werden.

Durch die Inszenierung eines reibungslosen und kostengünstigen Castor-Transports verwandelte Kniola den von CDU/CSU und Energiekonzernen geplanten Affront in einen überzeugenden Nachweis rot-grüner Regierungsfähigkeit. Vor allem aber ist es gelungen, die Anti-Atom-Bewegung auszubremsen - stolz konnte der SPD-Innenminister verkünden, der Polizeieinsatz habe nur ein Drittel der eingeplanten Summe gekostet. Dieser Punktsieg der Atompolitik hat gegenwärtige Schwachstellen in der Strategie des Widerstands offengelegt, etwa die Schwerfälligkeit und Berechenbarkeit der eigenen Strukturen. Dennoch, hätte der nordrhein-westfälische Innenminister nicht mit relevantem Widerstand gegen das "Zwischenlager" Ahaus gerechnet, wäre sein Überraschungscoup gar nicht vonnöten gewesen. Eine widerstandsfreie Alternative zu Gorleben, wie sie Angela Merkel öffentlich erhofft hatte, ist auch in Ahaus nicht in Sicht. Ausgehend von den Erfahrungen an anderen Standorten ist damit zu rechnen, daß auch hier die politischen und finanziellen Kosten mit jedem Versuch der Einlagerung von Atommüll steigen werden.