Suharto geht der Sprit aus

Indonesiens Regierung antwortet auf die schwersten Unruhen seit Jahrzehnten mit vagen Reformangeboten und verstärkten Repressionen

Seine Regierung habe die Lage voll im Griff, erklärte Indonesiens Präsident Suharto am vergangenen Sonnabend, kurz bevor er nach Kairo zum Treffen der Gruppe der 15 abreiste. Zur gleichen Zeit fanden die schwersten Unruhen in Indonesien seit Jahrzehnten ihre Fortsetzung. In der Hauptstadt Jakarta und in Yogyakarta kam es erneut zu wütenden Protesten, da tags zuvor die Polizei bei Straßenschlachten mit revoltierenden Studenten und Arbeitern einen Geschäftsmann totgeprügelt hatte. In Bandung demonstrierten etwa 3 000 Studenten, nach Zeitungsberichten sollen in zwei Städten nahe Medan bei Protesten zwei Menschen umgekommen sein, in Surakarta seien 120 Menschen bei Zusammenstößen mit der Polizei verhaftet worden. Das war das Ende einer turbulenten Woche. Aber der Reihe nach.

Am Montag hatte die Regierung neue Preiserhöhungen angekündigt, um den Vorgaben des IWF nach Reduzierung von Subventionen nachzukommen. Am folgenden Tag stiegen die Preise für Benzin um 71 Prozent, für Kerosin, das zum Kochen verwendet wird, um 25 Prozent, für Busfahrten um rund Zweidrittel des alten Preises, Bahnfahrten verteuerten sich auf beinahe das Doppelte, und auch der Strompreis stieg - all das in einer Situation, in der die Inflationsrate bei einem vorläufigen Höchststand von knapp 40 Prozent pro Jahr angelangt ist und mehr als acht Millionen Leute seit letztem Sommer den Job verloren haben.

Flankiert wurde die Ankündigung der Preiserhöhungen von düsteren Warnungen des Verteidigungsministers und Armeechefs Wiranto: "In dem Augenblick, wo die Studenten den Campus verlassen, werden ihre Proteste unkontrollierbar." Und weiter: "Ich habe das Militär angewiesen, harte Maßnahmen gegen Aktivitäten zu ergreifen, die wie in Medan klar in Richtung Anarchie gehen." In Medan hatten sich schon einige Tage vor den Preiserhöhungen - nach der Ankündigung Suhartos, bis zum Ende seiner Amtszeit im Jahr 2003 werde es keine tiefgreifenden politischen Reformen geben - heftige studentische Proteste entwickelt, die nach drei Tagen in scharfen Zusammenstößen mit Sicherheitskräften mündeten.

Die Begeisterung in der Bevölkerung für Reformen in Form von Preiserhöhungen hielt sich spürbar in Grenzen. In Medan im Norden Sumatras folgten drei turbulente Tage mit Plünderungen. Bereits am Montag abend wurden Autos angezündet und Fensterscheiben eingeworfen. Am Dienstag ging die Polizei mit Knüppeln, Tränengas und Gummigeschossen gegen eine Menge von mindestens tausend Leuten vor, die Reifen und Autos in Brand setzten, Kioske anzündeten und Geschäfte plünderten, meist von Indonesiern chinesischer Herkunft, die den Handel dominieren. Graffiti wurden an Geschäften angebracht: "Preise senken". Polizisten kurvten auf Motorrädern mit gezogenen Pistolen durch die Stadt. Soldaten schossen mit M-16 in die Luft oder in die Menge, und sie schossen scharf. Lokale Zeitungen berichteten über mindestens sechs Tote, die am Mittwoch ums Leben gekommen sein sollen. Drei Tage dauerten die Riots in der Zwei-Millionen-Stadt, dann hatten die Sicherheitskräfte die Situation dort wieder unter Kontrolle. Dafür berichtete Jakarta Post daraufhin von Plünderungen in einigen nahe Medan gelegenen Städten wie Lubuk Pakam oder Tanjung Morawa.

In anderen Städten Indonesiens waren am Dienstag Zehntausende vorwiegend studentischer Demonstranten auf den Straßen, vereinzelt kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Im Laufe der Woche trat die Forderung nach einem Rücktritt Suhartos immer mehr in den Vordergrund, neben den nach Rücknahme der Preiserhöhungen und weitergehenden ökonomischen und politischen Reformen, insbesondere gegen Korruption und Nepotismus; die Rufe nach einer neuen Regierung und politischen Freiheitsrechten werden immer lauter. Am Donnerstag forderte Wiranto von den Studenten ein Ende der Proteste, kündigte erneut hartes Vorgehen gegen Plünderungen usw. an und sprach das erste Mal vage von Reformen. Am Freitag schlossen sich in zehn Städten Indonesiens Arbeiter den Studenten an, in Surabaja Ärzte und Krankenhauspersonal, in Jakarta Busfahrer. In Solo kämpften Tausende Studenten gegen die Polizei. Laut Jakarta Post vom 9. Mai wurden bei den Unruhen am Freitag in Jakarta, Yogyakarta und Surakarta Hunderte durch Plastikgeschosse oder Knüppelschläge ernsthaft verletzt. Auch am Wochenende setzten sich in verschiedenen Städten die Unruhen fort.

Das Regime und die ihm angeschlossenen Institutionen setzen momentan auf eine Mischung aus Repression und Reformankündigungen. Im regimetreuen Parlament forderten Abgeordnete den Rücktritt des Energieministers und die Rücknahme der Preiserhöhungen. Nach einem Bericht der Jakarta Post vom 5. Mai kündigte der Sprecher des Parlaments, Harmoko, Reformen auf drei Gebieten an: Auf politischer Ebene sollen das Wahlrecht, das Gesetz über politische Parteien und Golkar, und das Gesetz über die Zusammensetzung und Struktur der Beratenden Volksversammlung und des Parlaments überarbeitet werden; auf ökonomischer Ebene das Anti-Monopol-Gesetz, das Bankgesetz und das Gesetz zum Schutz der Konsumenten; außerdem soll das Antisubversions- und das Antikorruptionsgesetz durchgesehen werden. Im regimetreuen Parlament sitzen vier Fraktionen: neben dem Regierungsbündnis Golkar, einem funktionellen Zusammenschluß aus Militär, Staatsbürokratie und Wirtschaft und Vertretern der Armee noch die islamische Vereinte Entwicklungspartei (PP) und die christlich-nationalistische Demokratische Partei (DP).

Selbst die keiner Radikalität verdächtige Vereinigung Islamischer Intellektueller bezeichnete die Ankündigung von Reformschritten als "vage, zu wenig und zu spät", Unterstützung bekommen die Studenten mittlerweile auch von den beiden größten Muslimbrüderschaften, Nahdlatul Ulama und Muhammadiyah, sowie dem Dachverband der protestantischen Kirchen Indonesiens. Offensichtlich ist der Appetit der Protestbewegung mit den angekündigten Reformhäppchen nicht mehr zu stillen.

Das Regime setzt zudem auf Methoden, die aus der Aufstandsbekämpfung in Lateinamerika bekannt sind. Nach einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) vom 28. April sind zunehmend Fälle von "Verschwindenlassen" und Folter oppositioneller Aktivisten zu verzeichnen. Vor dem US-Kongreß berichtete vergangene Woche Pius Lustrilanang (30), der Kopf einer Gruppe, die die opposititonellen Chefs Amien Rais - einen islamischen Demokraten - und Megawati Sukarnoputri, die Tochter des ehemaligen Staatschefs Sukarno, unterstützt. Nach seinen Angaben wurde er in Djakarta am 4. Februar von Unbekannten mit Waffengewalt entführt und an einem geheimen Ort drei Tage gefoltert (unter anderem mit Schlägen und Elektroschocks), als er sich zunächst weigerte auszusagen. Danach verbrachte er acht Wochen in einer fensterlosen, sechs Quadratmeter großen Zelle; von diesen habe es dort sechs gegeben, die videokameraüberwacht und 24 Stunden am Tag erleuchtet gewesen seien. Seine Entführer hätten militärische Feuerwaffen gehabt und schienen Mitglieder des Militärs zu sein. Schließlich wurde er bei seinen Eltern abgeladen.

Nichtregierungsorganisationen gehen davon aus, daß in den letzten drei Monaten des Protests mindestens 37 Leute für unterschiedlich lange verschwunden sind; viele sind wieder frei, mehr als ein Dutzend fehlen aber noch.

Polizei und Militär leugneten bislang offiziell jede Kenntnis von solchen Vorgängen. HRW geht davon aus, daß höhere Armee- und Polizeiangehörige entweder gelogen hätten, als sie jede Kenntnis über den Aufenthaltsort "verschwundener" Aktivisten leugneten, die, wie sich später herausstellte, in Haft gewesen waren, oder daß eine geheime militärische oder paramilitärische Einheit ohne Wissen hochrangiger Offiziere operiere.

Insbesondere der Fall des Studentenleaders Andi Arief spricht gegen letztere Interpretation. Arief war nach mehr als zwei Wochen, die er in der Hand seiner Entführer verbracht hatte, am 17. April in Polizeihaft wieder aufgetaucht. Die Polizei müßte somit wissen, wer die Übergabe von Arief arrangierte, rückt aber keine Informationen heraus.

Durch die Preiserhöhungen hat die Protestbewegung neuen Schwung erhalten. Ob sich aus ihr eine aufständische Bewegung entwickelt, die für Suhartos gewaltsamen Sturz - denn für einen freiwilligen Rücktritt spricht momentan nichts - sorgt, ist freilich noch nicht abzusehen. Im Ausland mehren sich Stimmen, die nach einer oppositionellen Führerfigur als Ersatz für Suharto suchen, um eine demokratische statt einer diktatorischen Krisenverwaltung zu installieren. Aber auch die Ausrufung des Ausnahmezustands ist eine Option, die dem Suharto-Regime offensteht.