Der erste gewinnt nie

Acht Notizen zum diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb.

Samstag, 20. Juni

Ankunft in Klagenfurt: Alle Vorurteile über Österreicher scheinen sich zu bestätigen. Die Stewardeß spricht freundliches Tirolerisch. Sicherhäätsgurte. In der Reihe hinter uns ein Einheimischer, der in jedem Fernsehfilm als Triebtäter durchgehen würde. Ich will kein Bier ... jetzt will ich Bier ...Wo bleibt mein Bier? ... Herrgott nochamal ... Dazu der sadistische Blick auf die Stewardeß, bei dem mir angst und bange wird. Mir fällt ein, daß Kärnten als einziges Bundesland einen FPÖ-Landeshauptmann hatte. Der Haider mußte erst abtreten, als er die Beschäftigungspolitik 1933 in Reichsdeutschland lobte. Die Alkoholfahne ist umwerfend. Gestalten, denen man nachts nicht im Wald begegnen möchte. Dabei herrscht in Klagenfurt die Ruhe selbst. Von den 10 000 Bikern des internationalen Harley Davidson-Treffs einmal abgesehen. Eine Stadt, in der Großmütter Kururlaub machen. Ich denke: Wunderbar. Erster Blickkontakt mit der örtlichen Skaterszene. Fußball auf Großleinwand. Nachtruhe.

Sonntag, 21. Juni

Die Klagenfurter Literaturtage werden mit Podiumsdiskussionen eröffnet. Ingeborg Bachmann muß warten. Statt dessen heißt es Beruf Lektor: Autor, Kritiker, Förderer? Die Vertreter der Branche erklären, was gestrichen werden muß. Im Sinne des Textes eingreifen, sagt jemand, ohne zu erklären, was das bedeutet.

Man ereifert sich über den blindwütigen Import ausländischer Bestseller, zu wenig deutsche ..., böser Blick der Schweizer und Österreicher, Entschuldigung, ... deutschsprachige Literatur. Andrea Best vom Goldmann Verlag (Bertelsmann) bezieht Prügel. Nichts als Schrott, sagen die Kollegen, etwas freundlicher in der Formulierung, aber inhaltlich genau das. Frau Best kann das nicht glauben. Sie wird das eigene Programm noch einmal durchforsten. Irgendein brauchbarer Titel muß doch dabei sein.

Jemand merkt an, daß hier sowieso nicht von Literatur die Rede sei. Kleinverleger Goubran (Edition Selene) im Kampf gegen den Stumpfsinn der Verkaufszahlen. Löblich.

Montag, 22. Juni

Die Woche beginnt gut. Baden im Wörther See. Die Suche nach einer Rasenfläche gestaltet sich schwierig. Alles ist abgeriegelt. In Kärnten investiert man in Zäune. Mittagspause auf dem Asphalt verbracht. Am Nachmittag erneute Podiumsrunde. Thema: Märkte und Meinungen. Die Bertelsmann AG ist abermals dran, der Marktmoloch, der alle anderen niederkonkurriert, das amerikanisierte Böse in der gepflegten Feuilleton-Welt. K D Wolff von Stroemfeld remutiert zum Linken. Die Großen machen alles kaputt. Hölderlin-Gesamtausgaben werden nicht mehr besprochen, weil die Konzerne ihr Programm mit allen Mitteln durchsetzen. Keine Namen, aber alle Augen richten sich auf Bertelsmann. Man kolportiert fiese Tricks. Von den Aufbau-Bestechungszigarren für das Literarische Quartett spricht keiner. Unlauterer Wettbewerb, das sind die anderen. Bertelsmann reagiert gelassen. Man wird sie schließlich noch alle aufkaufen. Wozu sich mit Leuten streiten, die sich eines Tages kreativ einbringen werden?

Rumänien-England 2:1.

Der Versuch, abends was zu unternehmen, scheitert in einem leeren Billardsalon.

Dienstag, 23. Juni

Es geht los! sagen die Kenner. Der Tag, an dem die AutorInnen eintreffen. Freund Lars, der virtuelle Bombenleger aus Berlin-Treptow, mault rum, daß in seinem Hotelzimmer röhrende Hirsche an der Wand hängen. Bevor der Wettbewerb am Abend feierlich eröffnet wird, zeigt man mir Literaturpäpstin Sigrid Löffler von der Zeit. Auf dem Podium unterhält man sich über "Wege der Literaturkritik". Irgend jemand mit Gelee im Haar bemerkt, daß die Literaturkritik in Deutschland viel besser ist als die in Frankreich, jemand ohne Gelee im Haar erwidert, daß die Literaturkritik in Frankreich immer miserabel war.

Wenn sie überhaupt je existiert hat, sagt ein dritter.

20.30 Uhr: Auslosung der Lesereihenfolge und offizielles Eröffnungsbuffet mit Spanferkel. Wir schlagen uns den Magen voll. Wer weiß, wann man wieder etwas zu essen bekommt.

Mittwoch, 24. Juni

Der Wettbewerb beginnt mit seinem Höhepunkt. Michael-Lentz-goes-Helge-Schneider-Crossover-Ernst-Jandl-Valentin. Dann macht sie die großen Augen zu: Reiner ist weg. Sie macht die großen Augen auf: Reiner ist da. Sie macht die Augen zu: Reiner ist wieder weg. Sie macht die großen Augen auf: Reiner ist wieder da. Da macht sie die großen Augen lieber wieder zu. Das Publikum lacht. Die großen Ohren auf. Der Münchner Rheinländer Michael Lentz rattert seine Laut & Ton-Poetry mit einer Geschwindigkeit und Treffsicherheit herunter, die selbst KRS-One in den Schatten stellt. Sicher kein Zufall, Lentz ist Musiker.

Die Statistik jedoch lehrt: Der erste gewinnt nie. Fehlenden Gestaltungswillen moniert der Österreicher Robert Schindel bei Lentz. Keine Geschichte, wirft Thomas Hettche gelangweilt ein. Sprachterrorismus, befindet dagegen Silvia Bovenschen anerkennend.

Die Stadt, B., ist dunkel, die Zeit läuft, und die Leben sind kurz. Resignation macht sich breit oder versucht

es und ganz allmählich geht sowas zuerst und brennt dann auf unseren Seelen. Na, heul mal schön, Alter, denkt man, aber der Jury gefällt das. Ralf Bönt wird für den Auszug aus dem Roman "Gold" später der vierte Preis zugesprochen.

Man kann beobachten, wie sehr Lebens- und Vorstellungswelten die Entscheidung dieser Jury bestimmen. Tim Staffel fällt mit seiner Streetball-Drogengeschichte "Hüttenkäse" durch. Um Stilistisches geht es nur am Rande. Man erträgt einfach nicht, daß die Protagonisten am Ende der Geschichte zwei Nazi-Skins in Brand setzen wollen. Die Kritiker reden von Junkies und verweigern sich der Diskussion. Votzen-Ficken oder Sperma-Lecken schockiert inzwischen niemanden mehr, aber von einem Leben jenseits des bürgerlichen Ichs will man nichts hören. Zeit-Redakteurin Iris Radisch attackiert den Prolet-Kult Staffels.

Nigeria-Paraguay 1:3.

Donnerstag, 25. Juni

Vormittag: Wir hängen vor dem ORF-Gebäude rum und verfolgen die Lesungen über einen Bildschirm in der Sonne. Die sonoren Stimmen verfolgen einen bis aufs Klo. BACHMANN IST ÜBERALL! Lars, der virtuelle Terrorist, genießt die Möglichkeit, draußen ungestraft über die AutorInnen herziehen zu können. Kurz vor 12 liest die später zweitplazierte Kathrin Schmidt aus einer Familiensaga. Wie erwartet ist die Jury begeistert.

DIE JURY BEGINNT, MIR AUF DIE NERVEN ZU GEHEN.

Wir verschwinden an den See und bleiben den Nachmittag über draußen, während in den Cafés der Umgebung gearbeitet wird: Rechte, Tantiemen, Taschenbuchauflagen, Autorenpakete. Die Branche hat sich versammelt. Abends, beim Festdiner der Stadt Klagenfurt, hat der Wettbewerb, so sagen die Kenner, schon eine Siegerin: Sibylle Lewitscharoff. Ein guter Text über den Verrückten Pong. Wir lesen im kopierten Manuskript und trinken Rotwein.

Als wir erfahren, daß der FPÖ-Kulturreferent gesprochen hat, ist es leider schon zu spät. Der Typ sah ganz leger aus und sagte nur, daß er sich kurzfassen wolle; da blieb kaum Zeit, um Verdacht zu schöpfen.

Zu allem Überfluß verliert der Iran dann auch noch das Spiel gegen Deutschland.

Freitag, 26. Juni

PUNX NOT DEAD. Der Österreicher Christian Paul Berger lullt uns mit emphatischen Schwelgereien ein. DER MANN KANN DAS NICHT ERNST MEINEN. Raunen im Publikum, die Jury ist empört, Berger stänkert gegen den Germanisten-Kakao und kanzelt seine RichterInnen ab: Ich bin sicher einer der wenigen hier im Raum, der noch mit Thomas Bernhard Wein getrunken hat. Das ist mehr als mutig, das ist großartig. Auf meiner persönlichen Hitliste wird der Mann auf Nummer eins gesetzt, obwohl er angeblich bei Klett-Cotta veröffentlichen wird. Eine Frau, die wie die Schwester des Autors aussieht, aber sich als seine Intimfeindin entpuppt, will in die Kameras sprechen. Ein handfester Eklat kann nur mühsam vermieden werden.

Letzte Lesung. Der Nachmittag bleibt frei.

Beim traditionellen Fußballspiel gegen den ORF-Kärnten stellt sich heraus, daß Lautpoet Lentz besser dichten als laufen kann, er schießt nur ein einziges Tor. Die Literaturtruppe verliert 7 : 6 (andere behaupten 8 : 7), obwohl man den Gästen den Einsatz von 15 Feldspielern erlaubt.

Die meisten Autoren entpuppen sich als ziemlich arrogante, aber schlaffe Ego-Tripper. Sport ist in dieser Hinsicht sehr erhellend. Wurstsemmeln und Bier.

Samstag, 27. Juni

Die Jury-Entscheidung interessiert an diesem Morgen kaum mehr. Man ist sich bereits einig, daß Lewitscharoff und Schmidt längst gewonnen haben. Statt dessen diskutiert man über den Verkauf des Berlin Verlags. Bertelsmann übernimmt 70 Prozent des 1994 gegründeten Verlags, und die FAZ entdeckt die Kapitalismuskritik: Monopolbildung schafft Einheitsbrei. Ein Raunen geht durch die Hallen. Daß man selbst fünf Tage lang nur von Märkten und Verkäuflichkeit geredet hat, will niemand mehr wissen. Die FAZ wird sogar noch einen draufsetzen und am Montag erneut zur Attacke blasen: Der Wettbewerb ist zur Auktion für junge Talente mutiert ... Beiprogramm für einen literarischen Teppichhandel.

Lars ist das egal. Er träumt schon wieder von Gewalttätigkeiten. Brennende Tanklastzüge. Dabei hat er überhaupt keine Ahnung von der Entzündbarkeit von Heizöl.

Preisverleihungsküßchen vom Bürgermeister und irritiertes Zögern der Autorinnen, danach Mittagessen, Kofferpacken und Heimflug. In der Reihe hinter uns diesmal kein Alkoholiker.

Lewitscharoff, sage ich. Der einzige Text des Wettbewerbs, den ich verpaßt habe. Was für ein Reinfall. Lars ist das recht. Der schreibt für die Konkurrenz. Und wie bringt man dann Heizöl zum Brennen? fragt er.