Komm mit ins Boot

"Antirassistische Frauen/Lesbenaktionstage" in Görlitz: Experiment mit zwiespältiger Außenwirkung

"Grenzen auf für Alle" steht weithin sichtbar auf polnisch und deutsch auf einem Transparent, das die Besatzung zweier Schlauchboote zwischen Görlitz und der polnischen Nachbarstadt am gegenüberliegenden Ufer über das grau-braune Brackwasser der Neiße spannt. Daneben treibt ein Holzfloß, das als Kassetten-Abspielstation dient; Musik, antirassistische Parolen und Kritik am BGS aus dem Ghettoblaster. "Für ein Freies Fluten, Abschaffung der Ausländergesetze", schallt es über das Wasser den paar neugierigen SpaziergängerInnen und den rund 200 Teilnehmerinnen der antirassistischen Frauen/Lesbenaktionstage in Görlitz entgegen, die den Ausgang der Aktion vom deutschen Ufer aus verfolgen.

Als die Bootsbesatzung zurück zum deutschen Ufer paddelt, biegen schon die ersten Transporter des Bundesgrenzschutzes in die Uferstraße ein. Doch der Versuch, die "illegalen GrenzgängerInnen" zu schnappen, mißlingt. Ein hochmotivierter BGS-Beamter, der sich im Alleingang zu den am Ufer wartenden Frauen und Lesben begibt und hysterisch die Herausgabe der Paddelboote verlangt, erntet Gelächter. Eingekreist von zirka 200 Frauen/Lesben, die sich von demonstrativ gezückten Plastikhandfesseln wenig beeindruckt zeigen, bleibt ihm nur der Rückzug durch die Menge.

Fünf Tage lang sorgten die Teilnehmerinnen der antirassistischen Aktionstage in der eher beschaulichen Grenzstadt Görlitz für Abwechslung: An Häuserwänden gibt es Parolen gegen Ausländergesetze und Denunziation von Flüchtlingen beim BGS. Im Touristeninformationsbüro erhalten Reisende eine Hochglanzbroschüre der Hotelkette und Flüchtlingsheimbetreiberfirma Sorat, die darüber informiert, wie Sorat von den Asylbewerberleistungsgesetzen profitiert.

Wer auf den Wühltischen der Kaufhäuser nach Badepantoletten sucht, findet Flugblätter, wer die Telefonnummer eines neuen Pizzaservice in Görlitz wählt, wird mit dem "Bürgertelefon" des BGS verbunden. Auf dem zentralen Marienplatz in der Görlitzer Altstadt werden PassantInnen mit den Forderungen der Campteilnehmerinnen konfrontiert. Mit Straßentheater ("Was haben Gartenzwerge mit dem BGS zu tun") oder Polit-Opern ("Dreh dich nicht um, der Kanther geht um") wollen die Frauen und Lesben aus Ost- und Westdeutschland, Polen, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden die GörlitzerInnen dazu zu bringen, über Alternativen zur Asyl- und Ausländerpolitik nachzudenken.

Vor allem das "Denkmal für den unbekannten Denunzianten" findet Aufmerksamkeit bei denen, die eigentlich nur zum Einkaufen oder als Touristen über den Marienplatz eilen. In einer der grau-rosa getönten Telefonzellen sitzt eine überlebensgroße Frauenpuppe mit einem grell-roten Telefonhörer in der Hand. Eine Eisenkette mit Schloß versperrt den Zutritt zur Telefonzelle, an deren Außenwand eine Texttafel über die Aktion informiert.

Die Installation will gegen die in den Grenzgebieten ständig praktizierte Denunziation von Flüchtlingen und MigrantInnen protestieren, die nach der Überquerung der Neiße von Bürgerpatrouillen und Hausfrauen dem allgegenwärtigen BGS ausgeliefert werden.

Eine achtzigjährige Görlitzerin, die halb fasziniert, halb erschreckt für eine Weile der Punkmusik einer Frauen- und Lesbenband aus Dresden zugehört hat, ist durchaus angetan: "Görlitz war schon immer eine Grenzstadt. Da sollte es selbstverständlich sein, daß die Grenzen für alle offen sind." Auf die Frage, ob sie selbst oder ihre Bekannten schon mal Kontakt zum BGS aufgenommen haben, meint sie: "Mit denen will ich nichts zu tun haben. Leider können wir ja nichts gegen den BGS machen. Aber vielleicht fällt der jüngeren Generation ja etwas ein."

Solche Reaktionen sind eher die Ausnahme. "Die meisten Leute gehen mit gesenkten Köpfen an den Aufführungen vorbei, nehmen vielleicht noch ein Flugblatt und huschen dann ganz schnell davon", berichtet Klara Koch vom Pressebüro der Aktionstage. "Meiner Ansicht nach ist diese Haltung einer der Ursache dafür, daß der BGS hier ohne Grenzen schalten und walten kann, und daß Flüchtlingen und MigrantInnen keinerlei Unterstützung gewährt wird. Eigentlich ist dieses Schweigen und Nichtverhalten noch bedrohlicher als die Beschimpfungen und Beleidigungen derer, die sich offen gegen antirassistische Aktionen stellen."

Auch wenn zu einer Veranstaltung über Frauenhandel mit ReferentInnen von Prostituierten- und Frauenprojekten aus Warschau, Zittau und Berlin einige GörlitzerInnen vorbeischauten und sich zur Filmnacht einige Interessierte einfanden, ist die Enttäuschung über die fehlende Resonanz bei den Organisatorinnen zu spüren.

Und selbst Erfolge lösen gemischte Gefühle aus: Trotz Verbotsauflagen des Ordnungsamtes und Polizeipräsenz gelingt es, eine Kundgebung vor der JVA Görlitz zu veranstalten. Doch Demonstrantinnen bekommen als Antwort auf ihre Forderungen aus den vergitterten Zellenfenstern vor allem Neonazisprüche und Beleidigungen zu hören.

Trotz der zwiespältigen Außenwirkung: Am Schluß waren die Organisatorinnen einigermaßen zufrieden mit ihrem Experiment. Gute Stimmung unter den Frauen und Lesben, viele Aktionen, die gute Zusammenarbeit mit dem selbstverwalteten Jugendzentrum Basta und ein positives Medienecho in der Lokalpresse. Zwar wurden alle Aktionen beobachtet, teilweise Autokennzeichen notiert und Personalien festgestellt. Aber nur in der letzten Nacht wurden sechs Frauen und Lesben auf polnischer und deutscher Seite festgenommen.