Bis zum letzten Dollar

Der IWF, die mächtigste Finanzinstitution der Welt, ist vorübergehend pleite

Mächtige Finanzminister zitterten, ob sie das dringend benötigte Kapital erhalten würden. Regierungschefs beugten ihre Häupter, um ihre Demut zu bezeugen. Nun muß die Organisation, bei der die halbe Welt in der Kreide steht, selbst um Kredite betteln. Nach den Milliarden für Thailand, Indonesien, Südkorea und Rußland sei die Liquidität des Internationalen Währungsfonds (IWF) nahezu erschöpft, erklärte IWF-Vizedirektor Stanley Fischer: "Wir müssen den Reservetank anzapfen".

Um den Kredit für Rußland aufzubringen, griff der Fonds vergangene Woche zum ersten Mal seit 20 Jahren auf die General Arrangements to Borrow (GAB) zurück. Über diesen Notfonds, den die elf stärksten Industriestaaten eingerichtet haben, kann der IWF verfügen, wenn anders "die Bedrohung für die Stabilität des internationalen Währungssystems" nicht abzuwenden ist. 80 Prozent der Rußland-Hilfe stammt aus diesem Topf - was zeigt, daß der Fonds praktisch über keine Rücklagen mehr verfügt.

Die internationale Finanzinstitution scheint von der Kette von Börsencrashs, bankrotten Staatshaushalten und Bankenpleiten überrollt zu werden. Krisenhilfe als Stafettenlauf: Da das russische Finanzdebakel auch auf fallende Erdölpreise zurückzuführen ist, wurden die restlichen Gelder aus einem Spezialfonds für unverschuldete Exportausfälle vergeben. Der Einbruch auf den Rohstoffmärkten liegt wiederum in der sinkenden Nachfrage wegen der Asienkrise begründet.

Auch die aktuelle Finanzhilfe für Indonesien konnte der Währungsfonds nur mühsam zusammenkratzen. Die Finanzierung nimmt dabei groteske Formen an. Ein Teil der sechs Milliarden Dollar kommen aus Australien, China und der Asiatischen Entwicklungsbank - der Rest des Kredits wird über die Umschuldung von Tilgungszahlung bereits ausgezahlter Finanzmittel organisiert. "Wir betreten eine Region erheblicher Schwierigkeiten", beschreibt Fischer trocken das Debakel.

Denn trotz der umfangreichsten Intervention in der IWF-Geschichte ist die Bilanz der Organisation alles andere als erfolgreich. Für Rußland wird bereits im Herbst eine neue Finanzkrise befürchtet, in Asien gleicht die Situation in vielen Ländern der nach einem verlorenen Krieg. Die Börsenwerte sind dort bis zu 60 Prozent reduziert, Immobilienwerte zerfallen, Banken liquidiert. Von den 400 Großunternehmen Thailands sind heute noch gerade mal drei Dutzend intakt, der Lebensstandard ist in einigen Monaten um Jahrzehnte zurückgefallen. Und ein Ende ist nicht abzusehen: Die asiatische Krise sei noch nicht vorbei, die finanzielle Instabilität nehme immer mehr zu und könne die Weltwirtschaft gefährden, meint IWF-Chef Michel Camdessus.

Der hat allerdings Interesse, die Aufgabe seiner Organisation in besonders düsteren Farben zu schildern. Denn deren prekäre finanzielle Situation ließe sich durchaus noch beheben. Auf der IWF-Hauptversammlung im vergangenen Jahr in Hongkong wurde eine Aufstockung der Beitragsquoten um 45 Prozent beschlossen - was neue Mittel in Höhe von rund 285 Milliarden Dollar bedeuten würde. Zusätzlich sind 25 IWF-Mitgliedsländer bereit, dem Fonds in Krisenzeit über die "Neue Kreditvereinbarung" mit weiteren 50 Milliarden Dollar zu unterstützen. Genug, um in die nächste Krise zu intervenieren.

Die Vereinbarung muß allerdings noch von den jeweiligen Länder-Parlamenten abgesegnet werden, wobei die USA eine besondere Rolle spielt. Sie ist mit Abstand größter Nettozahler des Fonds und kann sich mit dem Dollar als Weltleitwährung faktisch ohne Ende verschulden. Der IWF müßte sich daher eigentlich keine großen Sorgen machen, wenn sich das Repräsentantenhaus in Washington nicht hartnäckig weigern würde, die neue Quote zu akzeptieren. Und ohne Zustimmung in den USA geschieht auch in den anderen Länder nichts.

Seit vergangenem Jahr drängt daher US-Präsident Bill Clinton das Repräsentantenhaus, ausstehende Zahlungen von 18 Milliarden Mark für den IWF freizugeben, doch dessen Finanzauschuß hat nach zähen Verhandlungen lediglich 3,4 Milliarden Dollar gewährt. Der Fonds wäre ein unverzichtbares Mittel, um ein stabiles internationales Finanzsystem zu gewährleisten, meinte Clinton - und um amerikanische Interessen durchzusetzen, wie US-Finanzminister Robert Rubin ergänzte.

Von solchen Argumenten ließ sich der Vorsitzende der republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus, Richard Armey, bisher kaum beeindrucken. Mit seiner hartnäckigen Weigerung steht er stellvertretend für die Mitglieder des US-Kongresses, die traditionell eine isolationistische Politik verfolgen und sich sehr für die Agrar-Lobby im mittleren Westen, aber kaum für Boris Jelzin interessieren. Jeder zweite Abgeordnete des Repräsentantenhaus war amerikanischen Presseberichten zufolge noch nie im Ausland, hält den Reisepaß für ein überflüssiges Dokument und denkt bei dem Namen Kirijenko vermutlich an eine russische Wodkamarke. Doch die Ignoranz basiert auch auf handfesten materiellen Gründen.

Die stockkonservativen Republikaner ärgert, daß amerikanische Steuermittel für die IWF-Feuerwehrmaßnahmen ausgegeben werden, von denen besonders private Finanzinstitute profitieren. Deren maßlose Kreditvergabe hatte ihrer Meinung nach die Krise in Südostasien erst verschärft. Als die Schuldentitel platzten, habe danach der Währungsfonds einspringen müssen, um Gläubigerbanken und Investmentfonds die Abschreibung ihrer Darlehen zu ersparen.

Tatsächlich fließt in Rußland jeder dritte Rubel mittlerweile in die Schuldentilgung, ein großer Teil des neuen Kredits wird benutzt, um private Gläubiger zu bedienen. Und das sind vor allem deutsche Kreditinstitute. Nach Angaben der FAZ bezifferte die Investment-Bank Goldmann Sachs ihre Forderungen gegenüber Rußland auf 50,5 Milliarden Dollar, was fast der Hälfte der Gesamtverbindlichkeiten des Landes gegenüber den ausländischen Banken entspricht.

Der IWF "ist eine Institution, die in Rußland ganz klar gescheitert ist und in Indonesien eine falsche Politik verfolgt hat", kritisierte Newt Gingrich, republikanischer Präsident des Repräsentantenhauses. Die Organisation dürfe keine Kredite mehr zu besonders günstigen Konditionen vergeben.

Vielleicht aber doch. "Am Ende wird der IWF wahrscheinlich bekommen, was er haben will", sagte Richard Armey letzte Woche. Für den republikanischen Gesinnungswandel dürften neuerliche Berichte ausschlaggebend sein, denenzufolge die Asienkrise die US-Agrarexporte empfindlich treffen könnte.

Eine kurzfristige Lösung ist daher schon in Sicht. Die nahe Zukunft der mächtigsten Finanzinstitution der Welt wird nicht in den Banketagen in Washington entschieden - sondern auf den Hühnerfarmen in Kansas und Ohio.