Requiem am Yasukuni-Schrein

Zum Jahrestag der Kapitulation gedenken Japans Nationalisten ihrer Kriegsverbrecher

Der Zweite Weltkrieg ist längst vorbei, aber es gibt Leute, die erinnern sich noch gerne daran. So zogen am vergangenen Sonnabend Tausende traditionsbewußter und nationalistischer JapanerInnen zum Yasukuni-Schrein in Tokio, um der japanischen Toten zu gedenken. 6000 Menschen strömten zur Gedenkveranstaltung, die von Kaiser Akihito und dem neuen Premierminister Keizo Obuchi geleitet wurde.

Der Yasukuni- Schrein ist der zentrale Ort, um alle Japaner - und ausschließlich diese - zu ehren, die im Verlauf des Krieges umkamen. Ausdrücklich dazu zählen zur alljährlich am 15. August, dem Jahrestag der Kapitulation des japanischen Kaiserreichs im Pazifischen Krieg von 1945, stattfindenden Ehrung auch die wichtigsten Kriegsverbrecher, die im Tokio-Prozeß - ähnlich dem Nürnberger Prozeß - von einem alliierten Gericht zum Tode verurteilt und hingerichtet worden waren.

Zu jenen, die Jahr für Jahr der "vaterländischen Helden" gedenken, gehörten in den letzten Jahren immer häufiger hohe Mitglieder der Regierung und der Regierungspartei LDP. Endgültig hoffähig wurde die Ehrung Mitte der achtziger Jahre durch den damaligen, auch in Europa hochangesehenen Premierminister Nakasone, der als erster Regierungschef am Schrein auftrat. Jährlich versammeln sich dort bürgerliche Konservative und Nationalisten, Greise in Kriegsuniform und Rechtsradikale, traditionsbewußte ältere Damen und junge Manager im dunklen Zweireiher.

Zugleich ist dieser Aufmarsch eine der wenigen Gelegenheiten, zu der verschiedene Gruppen der zerstrittenen japanischen Linken eine gemeinsame Aktion organisieren. Bis zu 1 000 Menschen demonstrierten in den vergangenen Jahren gegen den japanischen Nationalismus und für die bedingungslose Anerkennung der Kriegsschuld.

Schon 1910 hatte Japan Korea besetzt und kolonialisiert, im Jahre 1931 folgte der Einmarsch in die Mandschurei, 1937 überfielen japanische Truppen China. Dann wurden auch die anderen südostasiatischen Staaten angegriffen; deren Bürger wurden in Japan als Untermenschen angesehen. Die japanische Armee beging dabei zahlreiche schwere Kriegsverbrechen. Die bekanntesten: die Massaker von Nanking 1937 an über einer halben Million Menschen innerhalb weniger Tage, die Menschenversuche einer Spezialeinheit im Norden Chinas, die Verschleppung von Hunderttausenden Frauen in Bordelle für japanische Soldaten, die Ermordung Hunderttausender durch Zwangsarbeit im Dschungel Südostasiens.

Die Aufarbeitung der Rolle Japans als Aggressor im Zweiten Weltkrieg ist in dem fernöstlichen Land selbst kaum ein Thema. Dagegen erinnern die Volksrepublik China und die beiden koreanischen Staaten wiederholt daran, daß es auf diplomatischer Ebene bisher nie eine uneingeschränkte Entschuldigung erfolgt ist. Nur langsam und auf intensive Proteste hin werden die japanischen Schulbücher geändert, die getreulich die offizielle Version der japanischen Kriegsgeschichte abbilden. Neben der alten Fassung: "Es kam zum Krieg zwischen Japan und China" wurde darin nun auch der Satz aufgenommen: "Dabei verübten japanische Soldaten auch Verbrechen".

Die Entwicklung Japans nach 1945 verlief ähnlich wie in der Bundesrepublik. Die anfänglichen US-Bemühungen um eine Beendigung des chauvinistischen Nationalismus und Militarismus endete spätestens 1949 nach dem Sieg der Revolution in China. Der Oberbefehlshaber und Kriegsverbrecher, Tenno Hirohito, blieb weiterhin Kaiser. Im Zeichen des Kalten Krieges wurde Japan als Frontstaat gegen den "Kommunismus" gebraucht. Mit dem schnellen Wirtschaftsaufschwung der fünfziger und sechziger Jahre wurde die dunkle Vergangenheit verdrängt, und statt der Armee kamen nun die großen japanischen Konzerne nach Südostasien.

Erst die StudentInnenbewegung 1968 thematisierte die kriegerische Vergangenheit vorsichtig, konnte aber keine grundlegende Änderung bewirken. Das Wiedererstarken Chinas, Südkoreas und anderer Schwellenländer brachte Japan seit den achtziger Jahren langsam dazu, zumindest kleine Zugeständnisse an seine Handelspartner zu machen.

Die Nationalisten verhindern jedoch noch immer einen Friedensvertrag mit Rußland, bevor die sogenannte Kurilenfrage nicht geklärt sei; zuvor müßten die bei Kriegsende von der Sowjetunion besetzten Inseln nördlich von Japan zurückgegeben werden, so die Forderung. Auch Entschädigungszahlungen an die Opfer der Kriegsverbrechen sind trotz internationalen Drucks noch lange nicht in Sicht - Aussitzen scheint die auch hierzulande nicht unbekannte Devise zu sein.