Reli beim Mullah

Das Berliner Verwaltungsgericht erlaubte einem islamistischen Verein, Religionsunterricht zu erteilen - Kirchen und PDS freuen sich

Zum ersten Mal soll ein islamischer Verein das Recht erhalten, an öffentlichen Schulen Religionsunterricht anzubieten. Dies entschied der siebte Senat des Berliner Oberverwaltungsgerichts (OVG) und sprach dem Verein Islamische Föderation den Status einer Religionsgemeinschaft zu.

Jetzt muß die Berliner Senatsverwaltung mit dem Verein verhandeln, wie der islamische Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen zu organisieren ist. Dagegen hatte sich der Senat bis zuletzt gewehrt.

Seit 1980 hatte die Islamische Föderation, die als Dachorganisation von etwa 25 islamischen Vereinen fungiert, immer wieder die Erlaubnis auf Erteilung von Religionsunterricht beantragt - ohne Erfolg. Zuletzt hatte sie nach einer Klage vor dem Berliner Verwaltungsgericht im Dezember 1997 unterlegen. Der Verein sei keine Religionsgemeinschaft, urteilten die Richter, da es ihm am "erforderlichen Konsens" und an einer "klaren Organisationsstruktur" mangle.

Ganz anders nun das Urteil in der zweiten Instanz: "Der klagende Verein erfüllt alle Merkmale einer Religionsgemeinschaft", begründet Peter von Feldmann, Vorsitzender Richter des siebten OVG-Senats, sein Urteil. Die Islamische Föderation verfüge sehr wohl über eine ausreichende Organisationsstruktur und bekenne sich zur Weltreligion Islam; das sei ausreichend.

Die Schulverwaltung hatte gefordert, daß sich der Verein auf eine bestimmte Glaubensrichtung des Islam festlegen müsse. Nach Meinung des Gerichts widerspricht diese Forderung aber der politischen Neutralität des Staates in Religionsfragen. Eine Revision gegen das Urteil schloß das Gericht aus, so daß das Land Berlin zunächst lediglich eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision einlegen kann.

Die Ausländerbeauftragte des Senats, Barbara John (CDU), begrüßte die Entscheidung trotzdem und freute sich, damit werde der Religionsunterricht für Berlins schätzungsweise 32 000 muslimische Kinder von den Koranschulen an die öffentlichen Schulen geholt. Doch anstatt der Islamischen Föderation wünscht sich John einen Trägerverein, der von den drei großen islamischen Dachverbänden gebildet werden soll und den islamischen Religionsunterricht in deutscher Sprache abhält.

Auch die PDS bewertete das Urteil positiv, weil jetzt muslimische Kinder genauso wie katholische oder evangelische in ihrem Glauben unterrichtet werden könnten. Dafür habe das OVG mit der Anerkennung der Islamischen Föderation "eine Voraussetzung geschaffen", erklärte die Bildungspolitsche Sprecherin der Berliner PDS, Elke Baum.

In so günstigem Licht sieht der Türkische Bund in Berlin-Brandenburg die Islamische Föderation nicht: Er warnt im Gegenteil sogar vor dem Verein. Dieser könne keinen Religionsunterricht wie die christlichen Kirchen anbieten - wegen der großen Vielfalt islamischer Glaubensrichtungen und "wegen fehlender politischer Neutralität": Eine vornehme Umschreibung für die übergroße Nähe des Vereins zu der radikalen islamischen Gemeinschaft Milli Görüs.

Diese Auslandsorganisation der islamisch-fundamentalistischen Partei des ehemaligen türkischen Ministerpräsidenten Necmettin Erbakan wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz als "extremistisch-islamistisch" eingestuft. Die "Islamische Gemeinschaft" erfreut sich bester Verbindungen zu den neofaschistischen "Grauen Wölfen" und tritt offen antisemitisch auf. "Ein Jude unterscheidet sich vom Satan durch nichts", hieß es 1994 in der Vereinszeitung Milli Gazette: "Die Juden sind die Quellen der bösen Taten, die sich nicht nur gegen das Volk Palästinas, sondern auch gegen die ganze Menschheit richten. (Ö) Hinter allen üblen Ideen und Ideologien, die heute die ganze Welt erfaßt haben, stek-ken die Zionisten."

Bis 1992 wurde auch die Islamische Föderation vom Verfassungsschutz beobachtet, weil man annahm, Mitglieder des Vereins seien "extremistisch beeinflußt". Jetzt soll die Beobachtung eventuell wieder aufgenommen werden. Die Islamische Föderation in Schulen unterrichten zu lassen, kritisierte der bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir im Südwestfunk, wäre etwa so unsinnig wie den schwäbischen Neupietisten den christlichen Religionsunterricht zu übertragen.

Die großen christlichen Kirchen sehen das ganz anders: Von evangelischer und katholischer Seite war nur Zustimmung zum Berliner Urteil zu vernehmen. Was Wunder: Im Wissen darum, daß es juristisch auf die Dauer ein unhaltbarer Zustand ist, wenn nur christliche Kirchen an der Schule unterrichten, sind diese vor allem bestrebt, die weitere Existenz des Religionsunterrichts an den Schulen zu rechtfertigen. Lieber Religionsunterricht für alle als für keinen mehr, lautet die Devise, und in der Konsequenz macht man sich auch gerne einmal für die Konkurrenz stark. Schließlich gilt es, eine klare Trennung von Staat und Kirche zu vermeiden, wie sie in anderen Ländern längst verwirklicht ist, in denen Religionsunterricht in der Schule undenkbar wäre.

Um den Erhalt des christlichen Religionsunterrichts macht sich auch Eberhard Diepgen Sorgen: Muslimischen Religionsunterricht, ja - aber möglichst nicht von der Islamischen Föderation, fordert Berlins Regierender Bürgermeister. Der CDU-Mann möchte erreichen, daß der Staat die Verantwortung für die Lehrinhalte und die Auswahl des Personals bekommt. Sonst könnten nach dem Urteil alle möglichen Koranschulen und islamischen Vereine eine Zulassung zum Religionsunterricht beantragen. Dieses Problem möchte Diepgen nun mit einer Neuregelung des Religionsunterrichts lösen: Religions- oder Ethikunterricht soll auch in Berlin zum Pflichtfach werden und von staatlich angestellten Lehrkräften unterrichtet werden.

Bisher war der Religionsunterricht in Berlin kein ordentliches Lehrfach, sondern lediglich ein "Angebot", für das allein die Kirchen und Religionsgemeinschaften verantwortlich waren. Auf die Ausbildung der Lehrer und die Inhalte des Unterrichts hat der Staat nach dem Berliner Schulgesetz keinen Einfluß. Diese von Artikel 7 des Grundgesetzes abweichende Regelung, die sogenannte Bremer Klausel, gibt es nur in den Ländern Berlin, Bremen und Brandenburg, die schon vor 1949 keine Verpflichtung zur Erteilung von Religionsunterricht hatten. Neben Diepgen fordern auch Bündnis 90/Die Grünen nun, von der Klausel insofern abzukommen, als das "Angebot" künftig von staatlich angestellten Lehrkräften kommen soll.

Andere Bundesländer, wo Religion Pflichtfach ist, haben bereits islamischen Religionsunterricht in verschiedenen Formen eingerichtet. Nachdem die Diskussion nun in Berlin entbrannt ist, muß man nicht nur befürchten, daß die hier teilweise herrschende Trennung von Staat und Kirche wieder aufgehoben werden soll: Daß gerade die Islamische Föderation nun die Genehmigung zur Erteilung von Religionsunterricht erhält, könnte auf der anderen Seite dazu führen, daß das Feindbild vom "bedohlichen Islam" wieder in besonders grellen Farben ausgemalt wird.

Der Föderation wiederum wird es leichtgemacht, mit dem allgegenwärtigen christlichen Religionsunterricht zu argumentieren. Warum sollte schließlich einer Religionsgemeinschaft verwehrt werden, was eine andere seit Jahr und Tag praktiziert? Vielleicht lassen die Klagen von immer mehr Glaubensgemeinschaften ja die Einsicht reifen, daß schon der christliche Religionsunterricht an öffentlichen Schulen überflüssig war.