Umverteilung jetzt

Finanzminister Lafontaine verkündet das Ende "der Entlastung für Reiche". Grüne und FDP bemängeln, die Steuerreform schaffe ein "Ungleichgewicht zu Lasten der Wirtschaft"

Auf einmal hatte Rezzo Schlauch es gar nicht mehr so eilig: "Wir müssen langsam aufpassen, daß wir nicht alles, was wir auf der Pfanne haben, in den ersten Wochen verbraten. Ich plädiere dafür, bei einigen Reformen erst mal die Auswirkungen abzuwarten, bevor es weitergeht. Es geht nicht darum, auf die Bremse zu treten. Aber die Sachen sollen uns nachher auch nicht um die Ohren fliegen", sagte der Grünen-Fraktionschef letzten Freitag der Berliner Zeitung.

Am ersten Tag der Beratungen über die Steuerreform der rot-grünen Regierung im Bundestag mahnte der grüne Fraktionschef an, das Tempo auch beim grünen Vorzeigeprojekt - der erst in den kommenden Wochen zur Abstimmung stehenden ökologischen Steuerreform - zu drosseln: Mit den konkreten Regelungen solle sich die Koalition ruhig sechs bis 12 Monate Zeit lassen.

Die Kritik von Unternehmern und schwarz-gelber Opposition an den Steuerplänen der neuen Regierung zeigt Wirkung. Die rot-grüne Steuerreform, von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) im Wahlkampf noch zum Signal für wirtschaftlichen Aufbruch ausgerufen, scheint zu platzen, noch ehe sie eingeführt ist. So wurde der ursprüngliche, maßgeblich von Beratern und Vertrauten Finanzminister Oskar Lafontaines (SPD) erarbeitete Entwurf für ein "Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002" auf Druck Schröders vor der ersten Parlamentsberatung erheblich korrigiert. Auch im Bundestag gab sich Lafontaine gemäßigt: Für Unternehmen seien weitere Nachbesserungen möglich, selbstverständlich könne im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens an der Liste der Gegenfinanzierung noch einiges geändert werden, besänftigte der Minister die Kritiker aus CDU/CSU und FDP.

Um Schröders neuer Mitte entgegenzukommen, hatte der Kanzler im Bündnis mit der neuen Vorsitzenden des Bundestags-Finanzausschusses Christine Scheel (Bündnisgrüne) in letzter Sekunde Nettoentlastungen in Höhe von 2,3 Milliarden Mark schon für das Jahr 2000 durchgesetzt. Statt, wie anfangs vorgesehen, die zweite Stufe der Reform aufkommensneutral - das heißt ohne Entlastungen für die Steuerzahler - zu finanzieren, profitiert der Mittelstand nun doch stärker von den Umschichtungen der rot-grünen Regierung als von Lafontaine geplant. Für die 2002 einsetzende dritte Stufe sieht das neue Konzept gegenüber den zehn Milliarden Mark an Entlastungen des ersten Lafontaine-Entwurfs vor, insgesamt 15,3 Milliarden Mark weniger von den Steuerzahlern einzuziehen.

Das Geheimnis der rot-grünen Nachbesserungen: In über 40 Punkten ist der Steuerentwurf - zumindest was die Streichung von steuerlichen Vergünstigungen und Schlupflöchern betrifft - identisch mit dem Konzept, das die alte Regierung letztes Jahr vorgelegt hatte, von den Unternehmerverbänden gelobt wurde - und schließlich am Widerstand der SPD scheiterte. So kommen zwar Familien mit Kindern im Vergleich zu den damaligen Unions-Vorschlägen relativ gut weg, durch die Steuerumschichtungen mit am stärksten entlastet werden aber die Millionäre.

Die erste Stufe der Reform soll am 1. Januar nächsten Jahres in Kraft treten, der Eingangssteuersatz wird dann von 25,9 auf 23,9 Prozent gesenkt, das Kindergeld um 30 Mark auf 250 Mark erhöht. Darüber hinaus sollen bis zum Jahr 2002 alle Unternehmenssteuern auf 35 Prozent gesenkt werden, der Spitzensteuersatz für gewerbliche Einkünfte von 47 auf 43 Prozent bereits Anfang 1999. Unternehmern ermöglicht die neue Regelung, auch künftig ihre Firmenkonten für Privatzwecke zu nutzen und so zum Beispiel private Aktienpakete in eigenständige Vermögensgesellschaften einzubringen - die von der Opposition beklagte "Wirtschaftsfeindlichkeit" läßt sich dahinter kaum vermuten.

Doch nicht nur die neue Opposition, auch Teile der neuen Regierung dürften sich durch die Korrekturen am Lafontaine-Entwurf in ihrem Kurs bestätigt sehen. Allen voran Schlauchs Fraktionskollege, der Haushaltspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion Oswald Metzger. Im Spiegel hatte er Anfang des Monats bereits auf eine "Reform der Reform" gedrängt und die Schaffung einer "Achse zwischen den reformerischen Kräften in der SPD um Bodo Hombach, Alfred Tacke und Siegmar Mosdorf und unserer Partei" verlangt, um "die Floskel von der Politik für die 'Neue Mitte' mit Inhalten" zu füllen".

Was Metzger an dem in den Koalitionsverhandlungen vereinbarten Steuer-Paket kritisierte, hätte ihm vor drei, vier Jahren locker die Mitgliedschaft in der FDP eingebracht. Inzwischen buhlt Metzgers Partei mit ähnlich wirtschaftsfreundlichen Konzepten wie die Liberalen um dieselbe Klientel. Daß das rot-grüne Steuerkonzept von den Vorstellungen Lafontaines "dominiert" sei, stört die FDP ebenso wie den Grünen-Mittelstandsflügel. Metzger im Spiegel: "Die Grünen wollten wesentlich weiter gehen, beim Spitzensteuersatz etwa bis auf 45 Prozent, und sie wollten die Lasten der Gegenfinanzierung symmetrisch auf Unternehmen und Privatbürger verteilen. Doch das ließ sich leider nicht durchsetzen. Statt dessen sehen die aktuellen Pläne ein eindeutiges Ungleichgewicht zu Lasten der Wirtschaft vor - die Angebotsbedingen werden damit weiter verschlechtert."

Der Finanzpolitische Sprecher der FDP, Hermann Otto Solms, kritisierte in der Bundestags-Debatte denn auch nur das, was Metzger schon zwei Wochen zuvor im Spiegel beklagt hatte: Der grüne Beitrag zur Steuerreform, so Solms, bestehe darin, den Spitzensteuersatz um einen halben Punkt auf 48,5 Prozent zu senken - "die Belastung für die mittelständischen Unternehmen steigt". Mehr Beschäftigung werde durch den Entwurf nicht erreicht.

Daß die mit der Steuerreform verfolgte - und von Lafontaine verteidigte - Politik der Nachfrageförderung keine Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben werde, bemängelten Union und FDP unisono. Die Koalitions-Reform gleiche einem "Mittelstands- und Arbeitsplatz-Vernichtungsprogramm". Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU, Friedrich Merz, erinnerte Lafontaine daran, daß auch die alte Koalition mit der Entlastung der Familien keine Senkung der Arbeitslosenzahlen erreicht habe: "Was nützt es dem Familienvater, wenn er zum 1. Januar 1999 ein höheres Kindergeld bekommt und zum 1. Juli arbeitslos ist?"

Lafontaine selbst konnte mit den Angriffen aus der Opposition wenig anfangen. Schließlich, so der Finanzminister, bestehe der konzeptionelle Ansatz der Steuerreform weniger darin, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, als Steuergerechtigkeit herzustellen. Deshalb ziele die Reform in erster Linie darauf ab, die große Masse der Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen steuerlich zu entlasten.

Eine Senkung der Arbeitslosenzahlen, sagte Lafontaine, lasse sich ohnehin nur durch eine Mixtur aus nachfragestimulierenden Maßnahmen von Haushalts-, Finanz- und Geldpolitik erreichen. Den von Union und Liberalen erhoben Vorwurf der Umverteilung konterte Lafontaine mit der Bemerkung, er sei "ganz und gar spaßig". Durch steuerpolitsche Beschlüsse werde schließlich immer Geld umverteilt; die Frage sei nur, "wem gegeben und wem genommen" werde. Kurzum: "Die Umverteilung von unten nach oben ist gestoppt".