Auftrieb über Europa

Europas Luft- und Raumfahrtindustrien wollen den USA Konkurrenz machen. Aber wie? Mit Fusionen? Mit Kooperationen? Oder doch lieber gar nicht?

Billig war das nicht. 7,7 Milliarden Pfund (rund 21 Milliarden Mark) kostete den Flugzeug- und Rüstungskonzern British Aerospace (BAe) in der vergangenen Woche seine jüngste Neuerwerbung: Die Rüstungsfirma Marconi Electronic Systems, bislang Tochterunternehmen des britischen Industriekonzerns General Electric Company (GEC).

Damit folgen die Briten einer Strategie aus Frankreich: Der französische Luftfahrtkonzern Aérospatiale hatte sich sich zuvor mit Teilen von Rüstungselektronik-Konzernen verbunden und vor wenigen Wochen auch noch den Raketenhersteller Matra Hautes Technologies übernommen. Beim Poker um Mitspracherechte in einem möglichen und geplanten gesamt-europäischen Luftfahrtkonzern setzt man in London und Paris zunächst auf nationale Fusionen, um gegenüber der benachbarten Konkurrenz an Gewicht zu gewinnen.

Spätestens zur Jahrtausendwende wollten die europäischen Luftfahrtunternehmen der Konkurrenz aus den USA eigentlich mit einer gemeinsamen European Aerospace and Defence Company (EADC) trotzen. Dies hatten bereits im Dezember 1997 die Regierungschefs der Airbus-Partnerländer Frankreich, Deutschland, Großbritannien und Spanien beschlossen.

Der letzte Anstoß dazu war die Großfusion von Boeing und McDonnell Douglas vom August 1997. Zuvor hatten sich bereits zwei mittelgroße US-Kampfflugzeug-Produzenten zusammengeschlossen, Lockheed übernahm einen Raketenkonzern und auch andere Luftfahrt-Elektronikunternehmen fusionierten. Hintergrund: Immer höhere Entwicklungskosten und zunehmender Konkurrenzdruck aus Europa und Rußland. Auch sollten staatliche Milliardenhilfen für die hochsubventionierte Branche abgebaut werden. Gleichzeitig brach mit dem Ende des Kalten Krieges der militärische Flugzeugmarkt ein, ebenso gingen - bedingt durch allerlei Wirtschaftskrisen - Bestellungen im nichtmilitärischen Bereich zurück.

Politisch hatte die EADC-Initiative von 1997 nur formuliert, woran die europäischen Luftfahrtunternehmen schon länger basteln: Durch Fusionen wollen sie eine überlebensfähige Größe auf dem Weltmarkt erreichen und sich so vor "feindlichen Übernahmen" schützen; die Konzentration wurde nun auch von europäischen Wirtschaftspolitikern als Existenzfrage für die eigene Luftfahrtindustrie betrachtet.

Denn trotz nationalen Konzentrationsprozessen konkurrieren bis heute verschiedene europäische Kampfflugzeuge um einen geschrumpften Absatzmarkt. Auch hohe Subventionen verhindern nicht, daß deutsche, französische oder britische Kampfflugzeuge mit den US-Modellen kaum konkurrieren können. Sie sind im internationalen Maßstab zu teuer und technologisch rückständig. Zudem scheitern Kooperationsprojekte in Europa häufig an nationalen Eigeninteressen.

Ein im März 1998 vorgelegter politischer Entwurf zur EADC erwies sich entsprechend rasch als wertlos. Die am grünen Tisch vereinigten Unternehmen hatten andere Interessen. Und auch die politischen Luftfahrteigner wollten ihre nationalen Vorbehalte nicht aufgegeben. Um dennoch konkurrenzfähig zu werden, einigten sich die Airbus-Mitgliedsregierungen, das Unternehmen bis 1999 zu privatisieren. Damit sollte Airbus von den konfliktträchtigen und defizitären Militärgeschäften der Anteilsgesellschaften befreit werden und auf dem Weltmarkt flexibler agieren können.

Das 1968 gegründete Airbus-Konsortium hat im Bereich der zivilen Großraumflugzeuge mittlerweile einen Anteil von gut 40 Prozent aller Neubestellungen erlangt und schreibt - nach langjährigen Milliardensubventionen - mittlerweile schwarze Zahlen (Umsatz 1998: 22,2 Milliarden Mark). Am Unternehmen beteiligt sind Aérospatiale und Dasa mit je knapp 38, BAe mit 20 und die spanische Casa mit etwas mehr als vier Prozent. Allen Beteiligten gilt Airbus als Flaggschiff. Und darin liegt auch ein Problem der Privatisierung: Wird Airbus von seinen bisherigen Gesellschaftern getrennt, verbleiben bei den beteiligten Betrieben nur die recht unrentablen Rüstungsbetriebe.

Für die private Dasa zählen vorrangig sogenannte Standortfragen wie Fachkräfte und Subventionen. Auch die privatisierten britischen Luftfahrtunternehmen sind weitgehend von nationalen Rücksichtnahmen befreit. Ohnehin gilt das Interesse der einzelnen Unternehmen eher Fusionen, die sich an der jeweiligen Branche und nicht an Staaten oder Grenzen orientieren. Doch diese Logik kann sich nur langsam gegen nationale Prestige-Argumente durchsetzen.

Zwar ist auch die französische Regierung im Rahmen ihrer Armee-Reform seit 1997 bemüht, ihre weitgehend staatlichen Rüstungsbetriebe zu straffen und vorsichtig zu privatisieren. Doch noch immer liegt der Staatsanteil bei verschiedenen Rüstungselektronik- und Kampfflugzeugherstellern zwischen 30 und 50 Prozent der Aktien. Und je größer staatliche Beteiligungen an Luftfahrtunternehmen sind, desto mehr politische Widerstände gibt es bei der Gründung des "Global Players" EADC.

Statt einer einheitlichen EADC zeichnen sich nun zwei bis drei europäische Luftfahrtkonzerne ab: Im zivilen Flugzeugbau die privatisierte Airbus um BAe, Dasa und Aérospatiale. Der militärische Flugzeugbau soll ebenfalls, aber separat, um diese drei Unternehmen gebündelt werden. Die militärische Raketen-, Satelliten- und Raumfahrtelektronik soll ebenfalls in einem eigenständigen Konzern zusammengefaßt werden. Weitere europäische Luftfahrtunternehmen müßten sich in diese Großkonzerne eingliedern. BAe hat dabei mit dem Kauf von Marconi einen Schritt in diese Richtung gemacht. Auch in Deutschland stehen einer europäischen Verschmelzung der Dasa keine nationalen Vorbehalte mehr entgegen.

Damit wächst die Wahrscheinlichkeit einer Übernahme der Dasa durch BAe, weil aus deren Sicht der Staatsanteil der französischen Mitbewerber für eine trilaterale Fusion noch zu groß ist. Ob es also zu einer EADC kommen wird, hängt maßgeblich vom Elysée-Palast ab. Sollte die französische Privatisierung zu langsam voranschreiten, werden sich Dasa und BAe nicht länger mit der Europa-Variante aufhalten. Branchen- und Projektallianzen sind unterhalb eines EADC-Megakonzerns aber auch weiterhin in Europa möglich. Allerdings würden europäische Luftfahrtunternehmen nur noch spezialisierte Nischen besetzen können und weithin Juniorpartner der USA sein.

Doch selbst wenn die europäische Rüstungsgemeinschaft noch zustande kommt, wäre ihr langfristiger Bestand nicht gesichert. Denn lediglich in der Rüstungselektronik, bei kleineren Hubschraubern, einigen Raketen- und Satellitensegmenten kann man mit den USA mithalten. Im modernsten militärischen Flugzeugbau müßte ein europäischer Luftfahrtkonzern teure Entwicklungen nachholen, die sich Europa kaum leisten könnten und die auch für den Export zu teuer wären. So wird auch EADC nichts weiter als eine europäische Arrondierungsstufe auf dem Weg zu einer globalisierten Luft- und Raumfahrtindustrie.