Der gefesselte Riese

Mit dem Front National - Mouvement National hat Frankreich eine zweite neofaschistische Partei

"Ich werde mich weder für Cäsar halten noch für Napoleon, noch für Gottvater", versprach Bruno Mégret, bevor er sich am Sonntagfrüh von den 2300 Delegierten des "Erneuerungs- und Zukunftskongresses" im südfranzösischen Marignane zum Vorsitzenden des rechtsextremen Front National wählen ließ. Oder, um genauer zu sein, des "Front National - Mouvement National" (FN-MN).

So lautet der Titel der neuen Gruppierung, die aus dem Kongreß vom Wochenende hervorgegangen ist. Sie konkurriert innerhalb des französischen Neofaschismus mit der Rumpforganisation des bisherigen Front National, die weiterhin vom alternden Parteichef Jean-Marie Le Pen geführt wird. Damit bestehen zwei rivalisierende Führungen, die beide jeweils für sich beanspruchen, den "wahren" und legitimen FN darzustellen. Le Pen wurde freilich - "ein vergiftetes Geschenk" (so der Betroffene) - von den Kongreßteilnehmern in Marignane, einstimmig, zum "Ehrenvorsitzenden" der neuen Organisation gekürt, obwohl er natürlich der Versammlung ferngeblieben war.

"Ich werde nicht auf Pilgerfahrt ins Liliputanerland gehen", hatte Le Pen sich in der Vorwoche über die Veranstaltung von Marignane ausgelassen: Die Neugründung der von ihm aus dem FN hinausgeworfenen Funktionären sei eine politische Totgeburt - seiner Meinung nach maximal für "ein, vielleicht auch zwei Prozent der Wählerstimmen" gut. Gleichzeitig spielte Le Pen hämisch auf die nicht gerade imponierende Körpergröße seines Rivalen Bruno Mégret an, den er zuvor bereits mit dem Spitznamen "Naboléon" (von nabot, Zwerg, Knirps) belegt hatte.

Der für Jean-Marie Le Pen reservierte Stuhl in Marignane blieb frei, um unter Beweis zu stellen, daß eine Einigung in der extremen Rechten allein an dem cholerischen Bretonen scheitere. Auch der Name für die neue Formation, "Mouvement National", vorgeschlagen von Marie-Caroline Le Pen, sollte die Möglichkeit einer konföderalen Dachorganisation für Lepenisten wie auch Mégretisten offenhalten.

Marie-Caroline Le Pen, die 38jährige älteste Tochter des FN-Gründers, ist die Lebensgefährtin von Philippe Olivier, der rechten Hand von Bruno Mégret und früher dessen Stellvertreter als Generalbeauftragter des FN. Nachdem ihr Vater den Vorschlag einer Konföderation demonstrativ ignoriert hatte, war sie ins Lager der Mégretisten übergewechselt.

Ein politischer Glücksfall für die Mégretisten, denn nachdem das Pariser Zivilgericht in seinem Urteil vom 15. Januar 1999 den Antrag aus dem Hause Le Pen abgeschmettert hat, den Rivalen per Einstweiliger Verfügung die Verwendung von Parteinamen und -symbol zu verbieten, können sie nun neben dem Partei- auch noch seinen Familiennamen benutzen.

Vieles deutet in der Tat darauf hin, daß es zur Europaparlamentswahl im Juni neben der Liste Le Pen auch noch eine Liste Mégret/Le Pen geben wird, mit dem Chef des neuen FN-MN als Spitzenkandidat und Marie-Caroline Le Pen als Nummer zwei. Die Zusammensetzung der Kandidatenliste soll Mitte Februar bekanntgegeben werden. Damit steigt die Chance der Mégret-Anhänger, einen Schiffbruch bei diesen Wahlen zu vermeiden, die bisher die für sie gefährlichste Klippe darstellen.

Denn zwar hat Bruno Mégret den größten Teil des FN-Apparats hinter sich, wie sich in den letzten Tagen bestätigte: Da lief selbst die Mehrzahl des milizähnlichen FN-Ordnerdienstes DPS (Département Protection-Sécurité, "Abteilung Schutz und Sicherheit"), der auf den Chef eingeschworen war, zu Mégret über. Doch neben dieser Sympathie der Kader und Aktivisten hat Mégret bisher große Schwierigkeiten gehabt, auch bei den passiven Anhängern und in der Wählerschaft des FN Zuspruch zu finden. Zwei Umfragen des Instituts CSA, die beide in der zweiten Dezemberhälfte durchgeführt wurden, belegen dies. Demnach würden derzeit vier bzw. fünf Prozent der Wählerschaft für eine Liste Mégret stimmen, zehn bzw. neun Prozent für eine Liste Le Pen. Einzig bei den Besserverdienenden - oberhalb von 15 000 Francs (rund 4 500 Mark) im Monat - hat Mégret klar die Nase vorn.

Als Sohn eines Richters am Staatsgerichtshof und Absolvent zweier hochrenommierter Eliteschulen, der Polytechnique und der Ponts et Chaussées, mußte der bisher eher im Hintergrund wirkende Chefideologe Mégret dem plebejischen, sozial unzufriedenen Teil des FN-Publikums als Repräsentant der verhaßten technokratischen Eliten erscheinen. Die Lepenisten tun derzeit alles, um in diese Kerbe zu schlagen, und sprechen von den Mégret-Anhängern als Vertretern des "Establishments" und der "Pariser Bourgeoisie", die sich "bei uns eingenistet" haben.

Auf die Dauer wird dieser Verweis auf die soziale Herkunft Mégrets und der ihn umgebenden Intellektuellen der Nouvelle Droite aber nicht darüber hinwegtäuschen können, daß es dieselben sind, die den FN - bis in die späten Achtziger hinein ein Haufen von kleinbürgerlichen Reaktionären, Abenteurern und Altfaschisten - zur Auseinandersetzung mit der sozialen Frage geführt haben, die zu besetzen von höchster strategischer Bedeutung für die extreme Rechte ist. Während Le Pen die Streikbewegungen im Herbst 1995 mit Häme bedachte und damit seinen kleinbürgerlichen Empfindungen nachgab, war es Mégret, der Anfang 1996 in einem Interview mit Le Monde die "soziale Offensive" des FN lancierte und dessen "neuartige Unterstützung der sozialen Bewegungen" ankündigte.

In der Folgezeit war es zur Schaffung einer Reihe neofaschistischer Gewerkschaften gekommen, die aber später meist durch die Justiz verboten wurden. Derzeit unternimmt der FN hinter Le Pen wenig, um das soziale Terrain erneut zu besetzen, und überläßt damit den strategisch versierten Kadern um Mégret einen enormen politischen Freiraum. Während Jean-Marie Le Pen seine wiederhergestellte Macht über die Restorganisation des FN genießt, bereiten sich die Mégretisten darauf vor, erneut an allen gesellschaftlichen Fronten zu intervenieren. Im November, noch vor Beginn der Spaltung, war es Mégret, der sich nach Le Havre begab, um in die Mobilisierungen für die bedrohte Werftindustrie einzugreifen und diese in einen Kampf für die "nationale Produktion" und gegen den "Internationalismus in Gestalt des IWF" zu wenden.

Auf die Dauer wird sich zweifellos das nunmehr als eigenständige Organisation formierte Mégret-Lager als der politisch überlebensfähigere Flügel des französischen Neofaschismus erweisen. Sollte er die Bewährungsprobe der Europa-Parlamentswahlen bestehen, so wären bei den darauffolgenden Wahlgängen die Voraussetzungen für die Le Pen-Anhänger schlecht: Bei den Lokalwahlen kommen die Mégret-Anhänger als potentielle Bündnispartner einer größeren Anzahl konservativer Lokalfürsten in Betracht. Und bei einer Präsidentschaftswahl könnte es Le Pen passieren, daß er gar nicht antreten kann - da hierfür die Unterschriften von 500 Trägern von Wahlmandaten, also von Bürgermeistern, Kommunalparlamentariern oder Abgeordneten erforderlich sind. Diejenigen konservativen Mandatsträger, die bisher für seine Kandidatur unterschrieben hatten, dürften sich nun größtenteils hinter Mégret wiederfinden. Die Tage Le Pens auf der politischen Bühne sind gezählt.

Und sollte am Ende des anstehenden Rechtsstreits die Le Pen-Fraktion ihren Anspruch auf den Namen "Front National" durchsetzen können, so wird auch dies kein Beinbruch sein - bis dahin werden die Mégretisten die Namen "Front National" und "Mouvement National" so miteinander verbunden haben, daß sie bequem auf den zweiten Teil ihres neuen Titels werden ausweichen können.

Noch komplizierter wird der Rechtsstreit dadurch, daß mehrere Akteure Anspruch auf den Namen "Front National" erheben. Jean-Marie Le Pen hatte den Parteititel 1985 auf seinen Namen eintragen lassen. Die Anmeldung beim Nationalen Institut für Patente und Autorenrechte muß jedoch alle zehn Jahre erneuert werden, um rechtliche Gültigkeit zu behalten. Le Pen hat es unterlassen, 1985 die Eintragung fortschreiben zu lassen. Und so konnte der Mégret-Anhänger Serge Martinez den Titel am 10. Dezember 1998 beim INPI für sich registrieren. Martinez stützt sich außerdem auf eine vereinsrechtliche Argumentation: Für die Frage, wer zuerst da war, seien nicht der Vorsitzende zu berücksichtigen, sondern die Parteistrukturen - und die befänden sich eindeutig im Lager Mégrets.