Armes Deutschland

Mit Rechnungstricks versucht die Bundesregierung, die EU zu betrügen

Deutschland zahlt zuviel. Sowieso. Aber vor allem nach Brüssel. Findet Bundeskanzler Gerhard Schröder. Und daß reiche Länder wie Belgien und Luxemburg mehr aus dem EU-Haushalt erhalten, als sie einzahlen, während die Bundesrepublik jährlich ein "negatives Saldo" zu verzeichnen habe, zeuge davon, daß da "was in Ordnung gebracht werden muß", so Schröder im Bundestag.

Das findet Edmund Stoiber schon lange. Selbst Theodor Waigel, der am jetzigen EU-Finanzsystem mitgearbeitet hat, sieht das seit geraumer Zeit so. Spätestens seit letzter Woche gehört auch Wolfgang Schäuble zum Club. In einem Positionspapier, das die Vorsitzenden der Unionsparteien am vergangen Freitag vorstellten, wurde definiert, woran Schröder und Außenminister Joseph Fischer gemessen werden sollen: Der deutsche "Nettobeitrag" soll von 22 Milliarden Mark auf 8 Milliarden sinken.

Es ist kaum anzunehmen, daß Schröder auch nur in die Nähe dieser Zielvorgabe kommt, wenn er sich am Freitag mit den anderen EU-Regierungschefs trifft, um das EU-Reformprogramm Agenda 2000 voranzubringen.

Die bisherigen Vereinbarungen zur Finanzierung der EU laufen mit dem Haushaltsjahr 1999 aus. Mit den Finanzen muß auch die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) reformiert werden, um zumindest die Möglichkeit einer Ost-Erweiterung innerhalb der nächsten fünf bis sieben Jahren zu schaffen. Auch die Neugestaltung der EU-Regionalpolitik, die Geld von reicheren in ärmere Regionen fließen läßt, ist Teil des Reformpakets, das die EU-Kommission vorgeschlagen hat. Deutschland hat sich im Programm seiner Ratspräsidentschaft vorgenommen, daß über die Agenda auf dem Berliner Sondergipfel Ende März abschließend entschieden wird.

Die "Nettozahlerdebatte" ist fast so alt wie das System, mit dem die EU zu ihren Einnahmen kommt. Ebenso lang ist umstritten, wie aussagekräftig Nettosalden sind, um Kosten und Nutzen der EU-Mitgliedschaft zu erfassen. Der EU-Haushalt 1999 umfaßt rund 85,5 Milliarden Euro, davon entfallen 47 Prozent auf die Agrarpolitik. Aufgebracht werden diese Mittel durch ein Finanzsystem, das aus Zöllen und Mitgliedsbeiträgen besteht. Die Beiträge wiederum bemessen sich zu einem Teil am theoretischen Mehrwertsteuer-Aufkommen, zum anderen am Bruttosozialprodukt des jeweiligen Mitgliedstaates.

Die Argumentation mit Nettosalden, bei der allein die Abführungen des Mitgliedsstaates an den EU-Haushalt den Rückflüssen aus demselben gegenübergestellt werden, ist schon deshalb fragwürdig, weil nicht zwischen Zöllen und Beiträgen unterschieden wird. So werden Zölle, die am Rotterdamer Hafen auf saudi-arabisches Öl erhoben werden, zu EU-Beiträgen der Niederlande, obwohl das Öl - und damit die Zoll-Last - überall im Binnenmarkt landen kann.

Daß die von Schröder beneideten reichen Nachbarn Luxemburg und Belgien Netto-Empfänger sind, liegt weniger an schlauen Bauern und üppigen EU-Subventionen als vielmehr daran, daß die meisten EU-Institutionen ihren Sitz in diesen Ländern haben. Jeder Euro für Mieten, Strom und Beamtengehälter trägt zum Positivsaldo bei. Achtzig Prozent der Ausgaben für die EU-Verwaltung fallen dort an. Rechnet man sie heraus, werden Belgien und Luxemburg zu Netto-Zahlern.

Daß Deutschland mehr als die Hälfte seiner Exporte in der EU absetzt und damit kräftig vom Binnenmarkt profitiert, daß die EU-Programme in Drittstaaten und die Strukturpolitik der EU in Portugal, Griechenland oder Spanien dort die Nachfrage nach deutschen Produkten stimuliert und so ein Teil der Beitragszahlungen zum "deutschen Zahlmeister" zurückfließt, übersehen deutsche Politiker gern.

Populistisch und Ausdruck "bornierter Interessenpolitik" sei die aktuelle Debatte um die "Nettozahler-Problematik", so der europapolitische Sprecher der Bündnisgrünen im Bundestag, Christian Sterzing. Die EU-Struktur- und Kohäsionsfonds seien darauf angelegt, die Unterschiede zwischen den Regionen abzubauen, deshalb könnten überdurchschnittlich wohlhabende Mitgliedsstaaten kaum erwarten, aus diesen Töpfen so viel zu erhalten, wie sie einzahlen.

Die europäische Regionalpolitik, die dieses Jahr mehr als 30 Milliarden Euro (36 Prozent des Haushalts) ausmacht, ist eng verknüpft mit den beiden Groß-Projekten der EU, dem Binnenmarkt 1992 und der Währungsunion 1999. Sie sollte vor allem Griechenland, Spanien, Portugal und Irland helfen, dem zunehmenden Wettbewerb standzuhalten und den Abstand zur Spitzengruppe zu verringern. Auch wurde ihnen so die politische Zustimmung zu stärkerer Integration und zur Erweiterung ermöglicht.

Diese Politik und mit ihr der bisherige Finanzrahmen verbindet sich mit dem Namen Jacques Delors', dem Vorgänger Jacques Santers. Ein "Zurück hinter das Europa Delors'" werde es mit ihm nicht geben, erklärt der spanische EU-Botschafter Elorza Caveng, dessen Regierung den Widerpart zu den Nettozahlern übernommen hat.

Auf der anderen Seite steht die sogenannte "Vierer-Bande" der Nettozahler: die Bundesrepublik (mit einem negativen Nettosaldo von rund elf Milliarden Euro), die Niederlanden (-2,3 Milliarden), Schweden (-1,1) und Österreich

(-0,7) Dieser Gruppe ist es bereits gelungen, eine Mehrheit der Mitgliedstaaten zu überzeugen, daß die EU-Gesamtausgaben in den kommenden sieben Jahren "real konstant" bleiben, also nur noch mit der Inflationsrate wachsen sollen.

Auch Frankreich und Großbritannien sind Verfechter dieser "realen Konstanz": Frankreich hat trotz einer mit Deutschland vergleichbaren Wirtschaftskraft pro Kopf ein positives Saldo - dank vieler Rückflüsse aus den Agrartöpfen. Beinahe jeder fünfte Euro, der für die Gemeinsame Agrarpolitik ausgegeben wird, geht nach Frankreich. Die französische Regierung wehrt sich entsprechend gegen die Kommissionspläne - die sich auch Deutschland zu eigen gemacht hat - wonach ein Teil der Agrarsubventionen durch den jeweiligen Mitgliedstaat "kofinanziert" werden soll. Eine allgemein restriktivere EU-Haushaltspolitik erscheint der Regierung Jospin als angenehmere Alternative.

Großbritannien zählt zwar auch zu den Nettozahlern, genießt aber ein besonderes Privileg: Da die Briten nach ihrem EG-Beitritt bald erkannt hatten, daß die Agrarpolitik der Gemeinschaft riesige Summen verschlang, London aber wenig einbrachte, setzten sie über Jahre bei jedem EG-Gipfel die British Budget Question (BBQ) auf die Tagesordnung. Mit Erfolg: 1984 konnte Margaret Thatcher einen Rabatt durchsetzen, der den Briten bis heute jährlich rund drei Milliarden Euro einzusparen hilft. Einer Legende zufolge fuchtelte die Premierministerin solange mit ihrer Handtasche herum und rief "I want my money back", bis alle entnervt nachgaben.

Gerhard Schröder stehen ähnliche Methoden wohl weder auf dem Petersberg noch beim Berliner Gipfel Ende März zur Verfügung. Schließlich hat er sich mit einem ehrgeizigen Zeitplan selbst in Zugzwang gebracht. Aber wenn es mit dem Zeitplan oder der Reduzierung des deutschen Beitrags doch nicht klappen sollte, kann er ja erklären, die neue Regierung habe zu viel zu schnell erreichen wollen. Das Argument ist seit Anfang des Jahres auch in Europa bekannt.