Marihuana statt Bananen

Der WTO-Bananenstreit wird zum Zollkrieg zwischen den USA und der EU

Die größten Handelsmächte der Welt befinden sich in einem Zollkrieg - daran hat auch eine Dringlichkeitssitzung der Welthandelsorganisation WTO in der vergangenen Woche nichts geändert. Rückwirkend seit dem 3. März gelten in den USA Strafzölle von 100 Prozent gegen einige europäische Produkte - vom schottischen Wollpullover über die deutsche Kaffeemaschine bis zum italienischen Peccorinokäse. Um einen offensichtlichen Verstoß gegen die WTO-Verträge zu vermeiden, werden die Zölle zunächst auf ein Sperrkonto eingezahlt. Mit diesen Sanktionsmaßnahmen will US-Präsident William Clinton den europäischen Bananenmarkt erobern, auf dem karibische Kleinbauern vor den übermächtigen US-Firmen Chiquita und Dole durch eine Verordnung der EU-Kommission geschützt werden.

Vor den Schiedsgerichten der WTO in Genf streiten sich die Handelsrechtler seit sechs Jahren über den Fall, ohne zu einer Einigung gekommen zu sein. Zwar wurde den Beschwerden aus Washington mehrmals stattgegeben - die EU hat daraufhin die Importregeln für Bananen immer wieder umgeschrieben. Allerdings nie zur vollen Zufriedenheit der USA. Bei der jüngsten Bananenverordnung will Clinton den nächsten Schiedsspruch, der im April verkündet werden soll, nicht mehr abwarten: "Wir wollen keine Handelskrise provozieren, aber wir haben gewonnen." Dies soll den störrischen Europäern jetzt ohne besondere Rücksichten auf internationales Handelsrecht beigebracht werden. Zu einseitigen Sanktionen ohne vorherige Genehmigung durch die WTO ermächtigte er sich vor einigen Wochen selbst.

Grund zur Freude ist die ganze Affäre eigentlich nur für die US-amerikanischen Bananenhändler, die hoffen können, mit der Hilfe Clintons ihren Marktanteil in Europa von derzeit etwa zwei Dritteln noch steigern zu können. 2,5 Millionen Dollar Wahlkampfspenden des Chiquita-Hauptaktionärs Carl Lindner, einen Rechtsaußen-Republikaner, an beide großen politische Parteien haben ihre Wirkung bei den politischen Funktionären in Washington nicht verfehlt.

Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) schätzt die Umsatzverluste durch die künstliche Verdoppelung der Preise deutscher Produkte in US-Geschäften auf 140 Millionen Mark. Insgesamt wollen die USA 500 Millionen Dollar von europäischen Exportfirmen einsammeln. Kommt es nicht bald zu einem Friedensschluß im transatlantischen Handelskrieg, will so mancher Firmenboß Arbeitsplätze zur Disposition stellen. Solche Szenarien werden derzeit in ganz Europa durchgerechnet. Selbst Clinton-Freund Tony Blair, Premierminister in Großbritannien, bestellte den US-Botschafter zu sich, um seinem Ärger Luft zu machen.

Für die karibischen Windward Islands - Dominica, St. Lucia and St. Vincent - steht das Überleben ihrer Bananenindustrie auf dem Spiel. Die Frucht macht dort fünfzig Prozent der Exporte und elf bis 14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Ohne Vergünstigungen bei den Importregeln der EU wären die kleinen Betriebe gegen die in Lateinamerika wesentlich kostengünstiger produzierten "Dollarbananen" von Chiquita und Dole chancenlos.

Auf die EU-Kommission als Anwältin ihrer Interessen sollten sie sich besser nicht verlassen: Für die Lomé-Konvention, der Grundlage für den erleichterten Zugang auf die europäischen Märkte für die AKP-Staaten, interessiert sich derzeit kaum einer der europäischen Spitzenpolitiker (Jungle World, Nr. 11/99). Auch bei den juristischen Manövern der EU im Bananenstreit fehlt ein klarer Hinweis auf ein europäisches Interesse an weiterer Förderung der ehemaligen Kolonien notfalls auch entgegen den Regeln der WTO. Statt dessen versuchen die Anwälte der EU, Zeit zu schinden - ohne daß klar wäre, wofür eigentlich. Auf einer Pressekonferenz mit Clinton im Februar begründete Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac Schutzklauseln für die Karibikstaaten absurderweise nur damit, daß karibische Bananen einfach die besten der Welt seien - und deswegen erhaltenswert.

Die Bananenbauern in St. Lucia haben angekündigt, daß sie auf den Anbau von Marihuana umsteigen werden, wenn die USA ihnen alle Chancen auf dem europäischen Markt nehmen. Ihre Regierungschefs drohten bereits damit, eine Kooperationsvereinbarung mit den USA über gemeinsame Drogenbekämpfung aufzukündigen.

Der größte Verlierer im Bananenstreit aber ist die WTO selbst. Das Image der Genfer Organisation, die seit 1996 über das 50 Jahre alte GATT-Abkommen und dessen Erweiterungen wacht, ist schon jetzt schwer beschädigt. Das neue Streitschlichtungssystem, auf das man besonders stolz ist, stellt sich als zu lückenhaft heraus, um echte Interessenskonflikte zwischen den ökonomischen Supermächten auszugleichen. Im Bananenfall fehlt es an Vereinbarungen darüber, wie die Umsetzung eines Schiedsspruches überwacht wird.

Die WTO ist als ein Forum konzipiert, in dem das internationale Handelsrecht als Fallrecht nach angelsächsischem Muster etabliert und immer neu fortgeschrieben wird. Daß sie die dafür notwendige Interpretationsmacht nicht besitzt und abhängig von den Entscheidungen ihrer größten Mitgliedsländer ist, wird derzeit bei jedem neuen Termin im Bananenstreit demonstriert. Wenn es hart auf hart kommt, kann auch der WTO-Generaldirektor Renato Ruggiero, ein wegen seiner angeblichen Allmacht über den Welthandel höchst unbeliebter Politiker, nur an den guten Willen appellieren. Auf der Dringlichkeitssitzung aller WTO-Mitglieder in der vergangenen Woche forderte er die EU und die USA auf, schnell zu einer für beide Seiten akzeptablen Lösung zu kommen, "bevor es zu spät ist".

Auch wenn die WTO in ihrer bisherigen Geschichte einem einseitigen Leitbild des Freihandels als angeblichem Heils- und Wohlstandsbringer gefolgt ist, auch wenn sich die Mitgliedschaft für die meisten Entwicklungs- und Schwellenländer kaum ausgezahlt hat und sowohl die Streitschlichtungsverfahren als auch die Vertragsverhandlungen weitgehend außerhalb demokratischer Kontrolle stattfinden, hat die Schadenfreude über die Hilflosigkeit der WTO im Bananenfall einen unangenehmen Beigeschmack.

Vor allem die US-Regierung macht gerade das, wofür sie schließlich Regierung ist: die Interessen ihrer großen Unternehmen auf den Weltmärkten durchzusetzen. Nicht nur in den aktuellen WTO-Verfahren um Bananen, Stahl oder hormonbehandeltes Fleisch, auch bei den Verhandlungen mit China über dessen Aufnahme in das Welthandelssystem haben die USA die Verhandlungsführung an sich gerissen. Dem steht die EU in nichts nach. In Brüssel ist man vor allem damit beschäftigt, sich an der durch die Euro-Einführung neugewonnenen Macht zu erfreuen und eine neue europäische Souveränität zu demonstrieren.