Wettlauf für den Weltmarkt

Mit der Agenda 2000 und den Strukturfonds will sich die EU gegen die US-Konkurrenz fit machen

Wenn sich die Staats- und Regierungs-chefs der EU-Mitgliedstaaten kommende Woche zum Sondergipfel in Berlin einfinden, stehen sie unter hohem Erwartungsdruck: Der Erfolg ihres Treffens wird von der Verabschiedung der Agenda 2000 abhängig gemacht, die neben den Modalitäten der EU-Ost-Erweiterung den Finanzrahmen für die Jahre 2000 bis 2006 regeln sowie Struktur-, Kohäsions- und Agrarpolitik reformieren soll. Bemerkenswert an dem Konflikt über die Agenda ist allerdings, daß im Streit um die Agrarpolitik und die Beitragszahlungen die übrigen Reformvorhaben kaum mehr wahrgenommen werden - obwohl vor allem die Strukturpolitik für die weitere Entwicklung der EU entscheidend sein wird.

Im Mittelpunkt dieser Politik stehen dabei die Regionen, die wegen ihrer ländlichen oder industriellen Prägung einen Entwicklungsrückstand gegenüber den fortgeschrittenen Zentren der EU aufweisen. Für sie stehen - je nach Problemlage - Mittel aus vier verschiedenen Töpfen zur Verfügung: dem Sozialfonds, der Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit kofinanziert; dem Regionalfonds, aus dem betriebliche und infrastrukturelle Modernisierungsprojekte in industriellen Problemgebieten gefördert werden; dem Ausrichtungsfonds für die Landwirtschaft, der die Umstrukturierung ländlicher Regionen unterstützt; sowie dem Fischereifonds, mit dessen Hilfe die Produktions- und Vermarktungsbedingungen im Fischereisektor verbessert werden sollen.

Ursprünglich wurden die Strukturfonds als Instrumente zum Ausgleich von regionalen Entwicklungsunterschieden geschaffen. Faktisch fördern sie mittlerweile bevorzugt die zukunftsträchtigen Branchen. Die Gründung eines Technologieparks in Andalusien oder auch die Erweiterung von Einrichtungen zur Unternehmensberatung im Ruhrgebiet verfolgen vor allem ein Ziel: Die Steigerung der Produktivität und Flexibilität von ausgewählten kleinen und mittleren Unternehmen, die ihrerseits als entscheidende Faktoren für die globale Wettbewerbsfähigkeit europäischer Großkonzerne gelten.

Die mit dem gemeinsamen Binnenmarkt und der Währungsunion verfolgte Strategie eines weltmarktorientierten Umbaus der EU findet in der Strukturpolitik ihre konsequente Fortführung. Ein Kriterium für die Finanzhilfen ist deshalb weniger die Bedürftigkeit als die Leistungsfähigkeit der Branchen einer Region. Die Agenda 2000 unterstreicht diese Orientierung. Um genug Geld für die EU-Ost-Erweiterung in der Kasse zu haben, soll nun ein "besseres Kosten-Nutzen-Verhältnis" in der Strukturpolitik erreicht werden: Die Ausgaben für die bisher begünstigten westeuropäischen Regionen sollen eingefroren oder verringert werden, ohne daß ihre Wirksamkeit darunter leidet. Der Wettbewerb zwischen den Standorten wird mit einem neuen Bonussystem zusätzlich angeheizt: Geplant ist unter anderem, künftig die "leistungsfähigsten Regionen" mit zusätzlichen Mitteln zu belohnen.

Der strukturpolitische Teil der Agenda 2000 steht für die Weiterentwicklung einer umkämpften Modernisierungsstrategie, die sich seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts europaweit durchsetzt. Unterstützt werden diese Bemühungen von einer breiten Interessensgemeinschaft, die eine auf technologische Inovationen basierende Wettbewerbsfähigkeit fördern wollen. Dazu gehören Teile der EU-Kommissionen, nationalen Staatsapparaten, transnationalen Kapitalgruppen, des "innovativen Mittelstands" und von gewerkschaftlichen Gruppierungen. Durch die anstehende EU-Ost-Erweiterung dürfte dieser Modernisierungsprozeß erheblich an Dynamik gewinnen.

Das öffentliche Desinteresse an wesentlichen Elementen der Agenda 2000 steht somit in einem auffallenden Gegensatz zu deren Rolle als Katalysator einer europäischen Modernisierungspolitik. Dennoch gibt es eine Reihe von Gründen, die die Konzentration auf Agrarreform und Beitragszahlungen in den aktuellen Debatten erklären können: Der Streit um die Beiträge läßt sich politisch besser verwerten als die folgenschwere Umgestaltung der europäischen Ökonomien. Er paßt in das geläufige Bild von der Union als einer zerstrittenen Interessengemeinschaft, in der es vor allem darum geht, bei geringem Einsatz einen hohen Gewinn zu erzielen. Dazu gehört, daß der amtierende Ratspräsident Gerhard Schröder sich entschieden gegen die Besitzstandsmentalität der andern Länder stellt, um selbst umso heftiger auf die nationalistische Tastatur zu hauen.

Wenn hingegen die Betroffenen auf sich aufmerksam machen wollen, müssen sie schon den Regierenden mit Traktoren, halben Schweinen und geballter Zerstörungswut zu Leibe rücken. Dazu aber sind die bisher von der europäischen Strukturpolitik Begünstigten - kleine und mittlere Unternehmen, wissenschaftliche Einrichtungen oder arbeitslose Jugendliche in den ärmeren Regionen - offensichtlich nicht in der Lage.

Doch bei den Debatten um die Agrarreform und die weitere EU-Finanzierung handelt es sich durchaus nicht um Scheingefechte: Viele landwirtschaftliche Betriebe sehen sich auch ohne die geplanten Subventionskürzungen vor die Existenzfrage gestellt. Und was die EU-Finanzen angeht, so fällt deren Neuordnung in eine Zeit akuter - wenngleich selbstgeschaffener - Sparzwänge in den Mitgliedstaaten: Die öffentlichen Kassen leeren sich im selben Umfang, wie sich jene der Unternehmen füllen. Und mit der Annahme des noch auf die Initiative Waigels zurückgehenden "Stabilitätspakts" haben sich die Regierenden auf eine restriktive Haushaltsführung festgelegt.

Die Bundesregierung verspricht sich von einer Neuregelung der europäischen Finanzen die Möglichkeit zu sparen, ohne dabei eine sanktionsmächtige innenpolitische Klientel verprellen zu müssen. Zudem erhoffen die Sozialdemokraten mit einem entschlossenen Eintreten für niedrigere deutsche EU-Beiträge den Nachweis "nationaler Gesinnung" zu erbringen: Wir, und nicht die Konservativen - so ließen sich Schröders Sprüche paraphrasieren - sind, wenn es darauf ankommt, die wahren Vertreter "deutscher Interessen".

Auch wenn es also erklärbar ist, daß die finanz- und agrarpolitischen Auseinandersetzungen im Zentrum der Agenda-2000-Debatte stehen, wird ihr Ausgang den dominanten Entwicklungsweg der EU nur unwesentlich beeinflussen. Vorrangiges Ziel einer transnationalen Modernisierungskoalition ist und bleibt es, europäischen Konzernen in technologischen Schlüsselbereichen gegenüber japanischem und US-amerikanischem Kapital einen Vorsprung zu verschaffen.

Die Strukturpolitik der EU spielt hierbei eine weitaus entscheidendere Rolle als die Höhe der nationalen Beitragszahlungen oder die Ausgestaltung der Agrarpolitik.