Zügig an die Börse

Die Bahn hat bald einen neuen Chef, die Bahnfahrer weiter das alte Problem: Ein Konzern, der als Privatunternehmen Profite machen soll, hat außer Verspätungen wenig zu bieten

Eines muß man dem geschaßten Vorstandschef der Deutschen Bahn AG, Johannes Ludewig, und seinem Fernverkehrsleiter Axel Nawrocki lassen. Sie gaben gute Haßfiguren ab, wenn man am Bahnhof mal wieder stundenlang auf das Unternehmen Zukunft wartete. Doch nach gerade einmal zwei Jahren im Amt muß sich das christlich-demokratische Duo neue Jobs suchen: Auf Betreiben der alleinigen Bahnaktionärin Bundesrepublik entband der Aufsichtsrat letzte Woche die beiden CDU-Mitglieder von ihren Posten.

Ludewig, der sich als Bahn-Chef erfolgreich um die Versorgung alter Parteifreunde bemühte - Nawrocki kam über ihn zur Bahn - und davor als Ostbeauftragter der Kohl-Regierung weitaus weniger erfolgreich für "blühende Landschaften" in den neuen Ländern sorgen sollte, muß das DB-Führungshäuschen verlassen. Und auch Nawrocki, früherer Geschäftsführer der Berliner Olympia GmbH und Chef der Hauptstadt-S-Bahn, ist vorerst arbeitslos. Traurig ist darüber kaum einer: "Er soll bloß nicht in die Stadt zurückkommen", meint etwa der Grüne Michael Cramer.

Ob Bahnfahren unter dem designierten Nachfolger Ludewigs, Hartmut Mehdorn, allerdings wieder Vorwärtskommen bedeutet, ist fraglich. Denn der Konzernchef in spe soll die Bahn erst einmal nicht schneller machen, sondern das hereinholen, was Ludewig zuletzt nicht schaffte: Profite. So forderte Noch-Verkehrsminister Franz Müntefering (SPD) von der künftigen Bahnführung in der letzten Woche "mehr unternehmerisches Handeln" und zumindest "eine schwarze Null ohne Verkauf von Unternehmensteilen". Vom Mann des Kapitals ist die Bundesregierung ebenso entzückt wie die britische Financial Times ("a strong impression"): Manager Mehdorn (früher Deutsche Aerospace, MBB, Dasa, Dornier) könne das Unternehmen endlich an die Börse bringen. Die Rede ist von 2003.

Gehört die Bahn an den Kapitalmarkt? Die 1993 von CDU und FDP gestartete Bahnreform jedenfalls führt zielgenau dorthin. 1994 wurde die DB zur Aktiengesellschaft mit der Alleineigentümerin Bundesrepublik, fünf Jahre später splittete sich der Konzern in eine Holding mit fünf selbständig organisierten Unternehmensbereichen auf: Touristik, Regio, Cargo, Netz und Station.

Doch die bisherige Unternehmensbilanz ist eher ernüchternd. Bei der Privatisierung 1994 übernahm der Bund 67 Milliarden Mark an Schulden, allein bis Mitte dieses Jahres hat das Unternehmen neue Verbindlichkeiten in Höhe von fünf Milliarden Mark angehäuft - da half auch die Entlassung von 120 000 Mitarbeitern seit 1994 nicht weiter.

Im Gegenteil: Der Gewinn von 334 Millionen Mark aus dem letzten Jahr ist lediglich Ludewigs Bilanzkosmetik zu verdanken - eine gute halbe Milliarde Mark aus Immobilienverkäufen schlug er dem Kerngeschäft zu. Und für das erste Halbjahr 1999 fielen die Einnahmen um 456 Millionen Mark geringer aus als erwartet. Entlassen wird dennoch: Die Gewerkschaft der Eisenbahner (GdED) rechnet allein bis 2003 mit 60 000 neuen Entlassungen.

Weniger Service durch weniger Personal ist die Folge. "Es haben sich mehr als sechs Millionen Überstunden angehäuft, mindestens 1 500 Mitarbeiter fehlen, um die Zahl auf ein erträgliches Maß zu halbieren", sagt GdED-Vorsitzende Norbert Hansen. Konsequenz: verspätete Züge. So hat die Stiftung Warentest ermittelt, daß 45 Prozent der Züge im Personenverkehr verspätet sind. Im Güterverkehr ist die Unpünktlichkeit noch sicherer: Am Rangierbahnhof München-Nord etwa waren im November 1998 gerade einmal 47 Prozent der Züge zur rechten Zeit am rechten Ort. Nicht, weil die Bahn nicht wollte, sondern weil ihr die Leute fehlten: In 32 Prozent der Fälle waren Lok oder Lokführer noch unterwegs, nahezu jeder fünfte Sicherheitscheck fiel aus, weil das Personal fehlte.

Und selbst wenn sich ein Zug mal um weniger als fünf Minuten verspäten sollte, fährt der Anschlußzug in der Regel ohne die wartenden Passagiere ab. Strukturelle Gründe macht der Vorsitzende der GdED Bayern, Johann Gebhardt, dafür verantwortlich: "Die Zerschlagung in einzelne AGs führt zu einem Mangel an Kommunikation, zum Beispiel zwischen Regio und Touristik." So müsse die Bahn Touristik Rangierloks zum Zusammenstellen ihrer Züge bei DB Cargo bestellen - was oft nicht rechtzeitig klappe.

Doch die Züge sind nicht nur unpünktlich, sondern noch dazu überteuert. Nicht nur die selbsternannten Tarifberater der Stiftung Warentest bewerten den Bahnservice deshalb mit der Note "ausreichend". Auch ein Münchner Betriebsratsmitglied aus dem Fahrkartenverkauf der Bahn macht die privatwirtschaftliche Umstrukturierung des Unternehmens für die Krise der Bahn verantwortlich: "Bei der Reiseservice-Hotline gibt es kein speziell ausgebildetes Personal, das ist ein Auffangbecken für alle, die ihren eigentlichen Job nicht mehr machen können."

Bahnfahrern jedenfalls hat die Privatisierung bisher nicht genutzt. Ganze Zugverbindungen fallen jedes Jahr aufs neue weg, allein 35 Interregios sind zum Fahrplanwechsel im Mai gestrichen worden. So urteilte der Vorsitzende des Fahrgastverbandes pro-Bahn, Karl Peter Naumann: "Das Bahnnetz ist kaum rein privatwirtschaftlich zu betreiben. Dann gäbe es doch irgendwann keine Strecken mehr auf dem Land." In ihren Forderungen sind sich Fahrgastverbände und Gewerkschaften weitgehend einig: Gleichbehandlung von Straße und Schiene. Während die Bahn den Vollkostenpreis pro Streckenkilometer zahlt, werden Straßen, Ampelanlagen, Verkehrspolizei vom Staat finanziert. Eine Straßenmark für Lkws und endlich eine Kerosin-Steuer: So könnte die Bahn finanziert werden.

Beides, zeigen sich die Bahnfreunde zuversichtlich, würden die Grünen in der Regierung schon durchsetzen. Deren verkehrspolitischer Sprecher, Albert Schmidt, jedoch gibt sich weniger bahnfreundlich: "Eine Lkw-Abgabe wird kommen, aber sie muß für die Wirtschaft verkraftbar sein. Die Kerosinsteuer ist allein in Deutschland nicht durchzusetzen, das muß international geschehen." Weniger Sorgen als die Durchsetzung altgrüner Forderungen macht Schmidt da der neue Bahn-Chef. Ganz grüner Industriefreund, sieht er in Mehdorn vor allem eins: "Eine neue Chance für die Bahn."