Engels kleine Rebellen

Gefährliche Orte LXXXVI: Auf der MLPD-Party in der Treptower Arena präsentierte die Partei-Jugend vor allem ihre neuen Designer-Klamotten.

Eins, zwei, drei, vier - kämpferisch, das sind wir.« Rockbässe wummern durch den Saal, auf der Bühne röhrt ein Sänger namens Karl Nümmes, dessen lichter grauer Haarkranz auch den Rolling Stones noch Respekt vor dem Alter abverlangen würde: »Fünf, sechs, sieben, acht - so wird Opposition gemacht / neun, zehn - aufstehn!«

Es ist der Vorabend der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration, in der Treptower Arena hat sich die MLPD versammelt, um den nächsten Tag mit einer eigenständigen Kundgebung einzuläuten. Seit den neunziger Jahren findet die größte Manifestation der Linken symbolträchtig auf einem Friedhof statt - der passende Aufmarschplatz für die Sekten der Bewegung: Untote, die nicht sterben und nicht leben können und auf ewig dazu verdammt scheinen, die gewöhnlichen Sterblichen mit ihren Parolen zu quälen. »Vorwärts zu einem neuen Aufschwung des Kampfes für den echten Sozialismus!« steht auf den MLPD-Plakaten.

Doch die Sekten sind auch nicht mehr, was sie mal waren - die Atmosphäre ist freundlich, von Agitationsdrang keine Spur. Unter den rund 1 000 Besuchern, die überwiegend mit Bussen aus Westdeutschland angereist sind, befinden sich überraschend viele Jugendliche. Vorbei auch hier die Zeiten, als man die Gesinnung noch an der Kleidung erkennen konnte - als Zivilpolizisten noch Schnäuzer und spießige Lederjacken trugen, die Autonomen Springerstiefel und die jungen Kommunisten Jeansjacken. Heute laufen sie alle in Calvin-Klein-Klamotten herum - viele der Kids in der Arena könnten ohne weiteres in »GZSZ« oder im »Marienhof« auftreten. Die junge Moderatorin des Abends trägt ein schwarzes, schulterfreies Abendkleid.

Nur der Parteivorsitzende ist in den siebziger Jahren stecken geblieben. Stefan Engel ist nicht nur ein Funktionär, sondern sieht auch wie einer aus: Er trägt einen Bart wie einst Rudolf »Ziege« Scharping, dazu sorgfältig gescheitelte Haare, einen grauen Anzug, blaues Hemd, rote Krawatte - was der Proletarier eben anzieht, wenn er sonntags einmal richtig ordentlich aussehen will.

Der 42jährige hat die besten Jahre seines Lebens in der MLPD verbracht, seit Parteigründung 1982 ist Engel ihr Chef. Er hat gewisse rhetorische Fähigkeiten; es ist nicht einmal unangenehm, ihm zuzuhören: Engel fehlt der eiskalte Blick einer Sarah Wagenknecht, wenn er auch in seiner Rede die Tricks aus der Mottenkiste des Kommunismus benutzt - so als er den lobenden Brief eines Arbeiters verliest: »Wir können stolz sein auf das Zeugnis, das uns dieser Arbeiter ausgestellt hat.« Tosender Beifall im Saal. Noch mehr Beifall gibt es, wenn Engel die immer neuen Erfolge der MLPD verkündet: »In der letzten Woche haben wir 30 000 Menschen erreicht, 23 000 Exemplare des Parteiprogramms verkauft und mit 2 800 Menschen ausführliche Gespräche geführt. Unsere Genossen lernten, sich nicht abschrecken zu lassen, immer besser gelang es, die Dialektik zu begreifen« - Balsam für die Seele einer 0,0-Prozent-Partei.

Die MLPD, deren Vorläuferorganisation in den siebziger Jahren in Tübingen gegründet wurde, hat als letzte der maoistischen Parteien überlebt. Für die MLPD liegt das Scheitern der Sowjetunion noch immer im 20. Parteitag der KPdSU 1956 begründet, der die Entstalinisierung einleitete. Damit habe in den kommunistischen Parteien der Einzug einer »kleinbürgerlichen Denkweise« begonnen, die aus »Karrierestreben, Aufspielerei und der Missachtung von Kritik und Selbstkritik« bestehe. Im Saal bietet die parteieigene Jugendorganisation Rebell T-Shirts mit Mao-Porträt oder dem Aufdruck »Dem Volke dienen« feil, an der Wand hängt ein Transparent, das den Großen Vorsitzenden inmitten glücklich lächelnder Kommunistinnen zeigt.

Intern hat man aus dem »gesetzmäßigen Vordringen der kleinbürgerlichen Denkweise« (Engel) in den kommunistischen Organisationen die Konsequenz gezogen, ein rigides Kontrollregime einzuführen. Funktionäre können jederzeit von ihrem Posten abberufen werden - ein Mittel, die Partei von missliebigen Mitgliedern zu säubern. Engel selbst blieb natürlich von der »kleinbürgerlichen Denkweise« verschont, im letzten Jahr wurde er mit 99 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt.

»So lange der Stefan das kann, soll er es mal machen«, sagt Errol Hartmann. Vor einem halben Jahr ist der 23jährige Azubi in den Gelsenkirchener Rebell eingetreten. Dort ist die MLPD in einem Wahlbündnis erstmals in ein Kommunalparlament eingezogen. Derzeit erhält die Partei von jungen Arbeitern, denen andere Parteien nicht mehr radikal genug sind, einen Zulauf, der die Austritte frustrierter Altmitglieder kompensieren kann.

Nach Stefan Engels Rede versammelt sich der Rebell auf der Bühne: »Jetzt geht's los«, ruft das Publikum. »Allein stehen wir im Regen / dagegen organisiert werd'n wir was bewegen / erst durch Sozialismus ist mit dem Stuss endlich Schluss / also schnell, mach mit im Rebell«, rappen drei Jugendliche auf der Bühne, hundert weitere dahinter klatschen in die Hände - ein klarer Fall von Rap-Missbrauch.

Dann tritt eine Gitarren-Combo auf: »Bald werden wir im Land die Glocken läuten / die ganze Erde uns und kein Stück unseren Feinden«, holpert es. Zuvor hatte eine Rebell-Abgesandte bereits ihr Grußwort verkündet: »Der Rebell hat damit begonnen, sich die Lehren der MLPD anzueignen«, hieß es da, und: »Der Kampf um die sozialistische Zukunft ist auch nicht einfach: Antiautoritäre Einflüsse stehen uns dabei im Weg.« Verwirrende Postmoderne: Da kommen Jugendliche in Designerkleidung und mit gepflegten Frisuren daher und sprechen die Parolen einer ML-Partei nach. Das Design bestimmt nicht mehr das Bewusstsein.

Ein kritisches Wort über die MLPD ist an diesem Abend niemandem zu entlocken. Die Älteren sprechen Parteichinesisch (»Säuberungen gibt es nicht, aber wenn jemand Fehler macht, müssen wir eingreifen«), die Jüngeren berufen sich darauf, noch nicht genug zu wissen, um Kritik üben zu können.

Nach vier Stunden wird die Versammlung mit dem gemeinsamen Absingen der »Internationale« beendet. Manche sind allerdings auf die vorsorglich ausgelegten Textblätter angewiesen. Am Sonntag wird die MLPD zu ihrer vermutlich ersten illegalen Aktion antreten - die Luxemburg-Liebknecht-Demonstration ist verboten worden: »Das ist eine für diese Regierung typische Geschichte: Kriege werden geführt, um humanitäre Hilfe zu leisten; Demonstrationen verboten, um Demonstranten zu schützen«, sagt Stefan Engel.

Auf dem Nachhauseweg sind zwei Parteimitglieder in ein Gespräch vertieft: »Es ist eine schwierige Situation. Wir dürfen uns das Verbot nicht gefallen lassen, aber auch nicht provozieren lassen«, sagt der eine. Doch was soll man von einer Partei erwarten, die das Pathos von »Bandiera rossa« durch rhythmisches Klatschen wie in Hecks Hitparade zerstört? Ein Fall von »kleinbürgerlichem Denken« - Stefan Engel, übernehmen Sie!