Das Schwarzpulver ist nass

Schäuble ist weg, die CDU im Schraubstock. Zwischen Neuer Mitte und schwarzem Süden bleibt wenig Platz für den traditionellen Konservatismus.

Kohl demontiert, Kanther blamiert, Koch auf der Kippe - jetzt ist auch Wolfgang Schäuble weg. Nachdem die von Jürgen Rüttgers angeführten nordrhein-westfälischen Bundestagsabgeordneten der CDU in der letzten Woche eine hübsche Intrige gegen ihn angezettelt hatten, gab Schäuble auf und verkündete, er wolle einem »Neuanfang« nicht im Wege stehen und den Vorsitz der Partei und der Bundestagsfraktion abgeben. Unmittelbar nach dieser Ankündigung ging eine muntere Diskussion um die Neubesetzung der Ämter los. Mit dem als »wertkonservativ« bezeichneten 44jährigen Friedrich Merz war schnell jemand für den Fraktionsvorsitz gefunden. Der Finanzexperte, der sich in jungen Jahren für die Kanzlerkandidatur von Franz Josef Strauß eingesetzt hatte, fand auch den Segen der bayerischen CSU. Angesichts der aktuellen »Anarchie in der Patriarchenpartei« (Spiegel) scheint es allerdings gewagt, Merz für die für den 29. Februar geplanten Wahlen zur Fraktionsführung einen sicheren Erfolg vorherzusagen.

Erwas komplizierter verläuft dagegen die Diskussion um die künftige Besetzung des CDU-Parteivorsitzes. Im Gespräch sind u.a. Generalsekretärin Angela Merkel, Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe und Ex-Zukunftsminister Jürgen Rüttgers, der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf und der thüringische Ministerpräsident Bernhard Vogel. Während Biedenkopf und Vogel lediglich für eine Übergangszeit in Frage kämen, haben alle anderen Kandidaten viele Freunde und viele Gegner in der Partei.

Rühe und Rüttgers waren Bestandteile des viel zitierten »Systems Kohl«, gegen Merkel gibt es, etwa wegen ihrer liberaleren Positionen in der Familienpolitik, entschiedenen Widerstand aus der CSU. Die mag aber auch Rüttgers nicht, denn dessen Truppe legt traditionell Wert auf eine gewisse Distanz zu den Bayern. In München, so ist zu hören, wäre man mit Volker Rühe einverstanden, aber der wird wahrscheinlich am kommenden Sonntag die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein verlieren, und Verlierer werden selten mit hohen Parteiämtern belohnt.

Etwas prickelnder als die Prognose, wer im April auf dem Essener Parteitag der CDU zum Vorsitzenden gewählt wird, ist die Frage, ob die CDU sich wieder einen Gebrauchswert aneignen kann. Gegenwärtig hat sie keinen. Für eine entsprechende »Rekonsvaleszenz« der Partei setzte ein Kommentar der FAZ am vergangenen Samstag eine Zeitspanne von sechseinhalb Jahren an, dann finden die übernächsten Bundestagswahlen statt.

Tatsächlich beginnt die »Erneuerung« der CDU unter ziemlich ungünstigen Umständen. Jenseits der aktuellen Fragen bedroht der Zeitlauf die informelle und seit Gründung der Bundesrepublik nie hintergangene konservative Urverabredung der Christenunion. Der klaffende Widerspruch zwischen den - von der CDU anerkannten - Notwendigkeiten der kapitalistischen Modernisierung und dem Kanon des Konservatismus stellt die Identität der Union in Frage. Hegemoniefähige Alternativen kommen derweil aus Berlin und Wien.

In der Mitte, früher die Heimat der CDU, residiert jetzt Rot-Grün. Gerhard Schröder und Joseph Fischer kamen an die Macht, weil Kohl die versprochenen neoliberalen Reformen nur zögerlich umsetzte. Die kleinen Leute waren sauer über solch kleinliche Maßnahmen wie die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, für die Eliten waren das wiederum nur Peanuts.

Dem gegenüber schien der »Dritte Weg« der Sozialdemokraten der große Wurf. Als ideologisches Konstrukt verspricht er den Verlierern Chancengleichheit und die Möglichkeit, im großen Kollektiv zu bleiben; er verzichtet auf die von der CDU gewohnte Ausgrenzungsrhetorik und beweist seine Ernsthaftigkeit etwa beim Versuch, den Holzmann-Konzern im Interesse der Beschäftigten vor dem Bankrott zu retten.

Nach oben verteilt Rot-Grün weiter um: Die Steuerreform wurde im Wirtschaftsmagazin Capital überschwenglich als »Eichels Milliardengeschenk« für Unternehmer und zu Gunsten des Shareholder Value gepriesen; die effektiven Belastungen deutscher Betriebe seien damit unter die in den USA übliche Marke gesunken. BDI-Präsident Olaf Henkel äußerte vor einigen Tagen, zur rotgrünen Regierung gebe es keine Alternative.

Während Rot-Grün auf dem besten Wege ist, die Neue Mitte dauerhaft als die eigene Heimat einzurichten, formuliert in Österreich ein Bündnis aus Mob und Elite eine andere Antwort auf die Globalisierung. Haider will zwar neoliberal modernisieren, gleichzeitig aber allerlei Gefährdungen für den Volkskörper abwehren: Überfremdung, Parteibonzen, subversive Kulturschaffende, Brüssel. Als völkisch grundierter Neoliberalismus birgt die österreichische Variante der Krisenverwaltung allerdings ein enormes Potenzial an inneren Widersprüchen.

Damit steckt die CDU im Schraubstock. Eingekeilt von zwei Formationen, die sich großzügig im Ideen-Fundus der Konservativen bedient haben, ist die Partei - wie viele ihrer europäischen Schwestervereine - erstmals mit dem Verlust jeglicher Hegemoniefähigkeit konfrontiert. Die Entwicklung war absehbar, in Großbritannien ist sie ähnlich verlaufen: Die von den Konservativen selbst angekurbelte neoliberale Modernisierungshatz stellt die elementarste Substanz des Konservatismus in Frage. Die brutale Flexibilisierung und Deregulierung der sozialen Verhältnisse steht in einem diametralen und kaum auflösbaren Widerspruch zum konservativen Grundbedürfnis nach Bewahrung und Pflege des Hergebrachten, nach Stabilität und fortgeschriebener Ordnung.

Eines der besten Beispiele für die Kollision zwischen konservativen Idealen und marktwirtschaftlichen Zweckmäßigkeiten ist der viel beschworene Funktionswandel des Staates. Während liberale Theorie den Staat als notwendiges Übel betrachtet, galt er den Konservativen immer als die höchste aller Institutionen, dazu da, dem tendenziell für das Böse anfälligen Individuum Grenzen zu setzen, aber auch Rückhalt zu vermitteln. »Die Utopie der Konservativen«, schrieb vor einigen Jahren der Politikwissenschaftler Kurt Lenk, »ist ein nach innen und außen mit großer Autorität ausgestatteter, starker Staat, der über eine Gesellschaft hinausgehoben erscheint, um unbehelligt von Interessenseinflüssen und Gruppenkonflikten fungieren zu können.« Es liegt auf der Hand, dass die neoliberale Vision eines schlanken Wettbewerbsstaates für echte Konservative eine Horrorvorstellung sein müsste.

Nicht zufällig wird in allen aktuellen Kommentaren zur Krise der CDU darauf hingewiesen, der oder die neue Vorsitzende müsse vor allem über die Fähigkeit zur Integration verfügen.

Während nach dem Ende der Adenauer-Ära der Antikommunismus die Partei zusammenhielt, fehlt eine entsprechende Projektion nach dem Abtreten Kohls. Während dessen Amtszeit ging der Konservatismus kaputt, er wurde liberal, neoliberal oder sozialdemokratisch gefleddert und lebte zuletzt als Phantom lediglich in der Person des Kanzlers fort.

Die damit einhergehende Bildung unterschiedlicher und teils verfeindeter Flügel in der CDU lässt sich ebenfalls exemplarisch an der Staatsfrage festmachen. Leute wie Dregger, Kanther und auch Diepgen setzten - den Begriff der nationalen Tradition und des nationalen Interesses stes im Munde - bereits in den achtziger Jahren offen auf straffe Obrigkeit nach innen und Expansion nach außen. Figuren wie Lothar Späth und Biedenkopf stehen eher für ein staatliches Management-Modell mit straffer Ordnungspolitik und einer Leistungsideologie, die soziale Ausgrenzung als Gerechtigkeit definiert.

Dann gibt es den heute von Angela Merkel repräsentierten Flügel, der große Teile der Ost-CDU, die Sozialausschüsse und Exponenten wie Heiner Geißler und Rita Süssmuth umfasst: Eine Gruppe, die staatliche Repression weniger durch Polizeiknüppel und Knast, sondern eher durch aktivierende Fürsorge und Erziehung bewerkstelligen möchte und die eigentlich gut in Schröders Neue Mitte passen würde. Schließlich der prototypisch skrupellose Roland Koch, der mit seiner an Haider angelehnten rassistischen Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft der CDU 1999 in Hessen den Wahlsieg holte.

Trotz dieser Diffusion darf der Tipp gewagt werden, dass die CDU nicht zerfallen wird. Eher wird die CDU weiter daran wursteln, sich als die bessere und wahre Neue Mitte zu profilieren. Sechzehn Jahre lang hatte die SPD den hiesigen Eliten nichts Attraktives anzubieten. Jetzt wird der organisierte Konservatismus vorerst ohne Projekt bleiben. Schade ist das nicht. Eher langweilig.