Kahlschlag in Amholz

Die norddeutschen Freien Nationalisten haben sich ein neues Schulungszentrum auf dem Land gekauft. Die Staatsanwaltschaft war auch schon da.

Das rote Backsteingebäude in Amholz liegt gut versteckt. Nur über einen holprigen Sandweg ist das von Bäumen und grobem Gestrüpp umgebene Gutshaus in der niedersächsischen Gemeinde Teldau zu erreichen. Deutsche Schäferhunde kündigen lautstark jeden Besuch in dem sechs Häuser zählenden Ort in der Nähe von Boizenburg an.

Seit kurzem hat die Villa neue Hausherren. Der Hamburger Neonazi-Führer Thomas Wulff und der Lüneburger Neonazi Michael Grewe haben das Anwesen an der Grenze zu Mecklenburg-Vorpommern für angeblich 300 000 Mark gekauft. Zu einem Zweck: »Man kann sich vorstellen, dass es da bald Schulungen geben wird«, glaubt selbst der Hamburger Verfassungsschutzchef Reinhard Wagner.

Seit die Polizei im Februar 1998 das Neonazi-Zentrum »Hetendorf Nr. 13« in der Lüneburger Heide geschlossen und das niedersächsische Innenministerium mit der Auflösung der Hetendorfer Trägervereine um den Hamburger Neonazi-Anwalt Jürgen Rieger das Anwesen beschlagnahmt hatte, waren die norddeutschen Kameraden auf der Suche nach einem neuen Versammlungsort.

Über fünfzehn Jahre lang hatte das Gebäude bei Celle der rechtsextremen Szene gedient. Neben Sonnenwendfeiern, die von der neuheidnischen Artgemeinschaft / Germanische Glaubensgemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung ausgerichtet wurden, und Wehrsportübungen, die die Wiking Jugend bis zu ihrem Verbot anbot, fanden dort die »Hetendorfer Tagungswochen« statt - veranstaltet von verschiedenen neonazistischen Vereinen wie dem Heinrich-Anacker-Kreis.

Von einem »neuen Hetendorf« möchte Verfassungsschutzchef Wagner aber nicht sprechen. Momentan ist die zweistöckige Villa auch noch in eher baufälligem Zustand; die Instandsetzung der maroden Bausubstanz dürfe kostspielig werden. Nur das Dach haben Wulff und Grewe zusammen mit ihren Kameraden selbst gedeckt. Regelmäßig fahren die von Wulff, dem Ex-Vorsitzenden der verbotenen Nationalen Liste, geführten Freien Nationalisten an den Wochenenden zu dem Anwesen und arbeiten an dem Haus.

»Im Sommer hat es bereits die erste Sonnenwendfeier gegeben«, berichtet der Pressesprecher des niedersächsischen Verfassungsschutzes, Rüdiger Hesse. »Es ziehen immer mehr Personen in die Gegend.« Seine Begründung: »Keine Ausländer, keine Antifa - und die Gebäude sind recht günstig«.

Gute Bedingungen für die Rechten: Zurück zur Scholle, heißt es bei den Freien Nationalisten, die im Nationalen und Sozialen Aktionsbündnis Norddeutschlands zusammengeschlossen sind - und sich um Boizenburg herum sammeln. So inseriert Grewe im Hamburger Neonazi-Magazin Zentralorgan für seinen FSN-Zentralversand. Bestelladresse für die Neonazi-Devotionalien: Boizenburg. Dort wirbt auch das Braune Kreuz für Kontakte: Die Erste-Hilfe-Gruppe von Cathleen Grewe ging aus dem Skingirl-Freundeskreis Deutschland hervor und bietet ihre Hilfe nach eigener Darstellung in dem Hamburger Fanzine Hamburger Sturm an.

Wulff und Grewe kennen sich aus alten Lohbrügger Skinhead-Tagen. Anfang der achtziger Jahre machte sich Grewe mit der Herausgabe der Skinhead-Zeitschrift Kahlschlag einen Namen und gehört seitdem zu den führenden Nazi-Skins der norddeutschen Szene. Zusammen mit seinem Bruder Hans betrieb er den Skinhead-Laden »buy or die« in Hamburg. Dort veranstalteten die beiden auch Fußballturniere, an denen bis zu 150 Nazi-Skins teilnahmen. Im August 1997 fanden Polizeibeamte bei einer Hausdurchsuchung in Grewes Lohbrügger Wohnung eine Maschinenpistole, einen Karabiner, zwei Pistolen und über 1 000 Schuss Munition.

Vor knapp zwei Jahren zogen die Grewes mit ihrem Geschäft für Skin- und Hooligan-Bekleidung nach Lüneburg, wo sie vor ihrem Umzug nach Hamburg gelebt hatten. Mittlerweile läuft »buy or die« auf den Namen Christian Sternberg, der ein enger Freund der Grewes ist. Mit dem Eigentümerwechsel soll das Unternehmen vermutlich polizeilichen Maßnahmen entzogen werden.

Nach dem Umzug übernahm Michael Grewe mit seinem zweiten Bruder Sven - dem Chef der Hammerskins Nordmark - die Führung der Neonazis im Raum Lüneburg. Beide treten offen als Freie Nationalisten auf - und halten die Beziehungen zum Aktionsbündnis Norddeutschland.

Als das Lüneburger Oberverwaltungsgericht im Dezember letzten Jahres das Verbot des NPD-Aufmarsches gegen die Wehrmachtsausstellung in Braunschweig bestätigte, waren diese Kontakte hilfreich. Angeführt von Wulff und Grewe, überraschten die Freien Nationalisten die Polizei und marschierten durch Lüneburg, um vor dem Oberverwaltungsgericht ihren Unmut kund zu tun. Erst als die rechten Demonstranten eine Polizeisperre durchbrochen hatten, rückte die Polizei mit Verstärkung an - und stoppte den Aufmarsch: 71 rechte Marschierer kamen in Polizeigewahrsam; zahlreiche Fahnen und Plakate wurden sichergestellt.

Von welchen Gruppen der militanten Neonazis das Schulungszentrum künftig genutzt werden wird, weiß der Hamburger Verfassungsschutz nicht zu sagen. VS-Chef Wagner: »Da müssen wir noch genau hingucken.«

Bereits reingeschaut hat die Hamburger Staatsanwaltschaft. Im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen das Zentralorgan der Freien Nationalisten wegen Volksverhetzung durchsuchten am 10. Januar Polizei und Staatsanwaltschaft das Anwesen. Grund der Ermittlungen war der Titel der Nummer 8: »Juden raus«. Die Durchsuchung der Villa blieb aber ohne Erfolg. »Es wurde nichts gefunden«, erklärte Staatsanwaltschaftssprecher Rüdiger Bagger.