Kreuth in Puschen

Von der Region zur Nation: Die CSU macht der FPÖ vor, wie man den Marsch auf die Hauptstadt organisiert.

Zwischen Himmel und Hölle findet sich in diesen Tagen die bayerische Staatspartei CSU wieder: Endlich einmal blicken die von der »Schwesterpartei« aus dem Norden mit dem Neid nach München, den die dort Regierenden von Rechts wegen schon seit einem halben Jahrhundert verdient hätten. Zum ersten Mal in diesen fünfzig Jahren sprechen die CDU-Leute mit derselben Selbstverständlichkeit darüber, dass der CSU-Chef ein geeigneter Kanzlerkandidat wäre, mit der man das in Bayern schon immer tat. Und noch nie waren die Chancen für die Union, an die Macht zurückzukehren, so gering wie momentan.

Fassungslos beobachteten die Kleinen und die Großkopferten in der CSU, wie sich die einstige Schreiber- zur Parteispendenaffäre entwickelte und damit von einem CDU/CSU/ FDP-Skandal zu einer Geschichte wurde, die offenbar nur noch die CDU betraf. Etwas beleidigt ist das bayerische Ego schon, dass die Preiß'n diese Schweinerei so ganz alleine durchgezogen haben sollen: So etwas hat es schließlich noch nie gegeben.

Nun, es ist ihnen ja auch nicht bekommen, den Amateuren. Das wird ihnen eine Lektion sein. Die Frage ist, was man jetzt mit so einer Situation anfängt. Sicher betonen die CSU-Granden bei jedem Interview, dass

es keine Planungen gebe, die Partei bundesweit auszudehnen, wenn die CDU an der Parteispenden-Affäre zu Grunde gehen sollte. »Der Geist von Kreuth bleibt in der Flasche«, kalauerte Generalsekretär Thomas Goppel im Interview mit der Freien Presse in Chemnitz.

Dass Flaschengeister dazu da sind, um jederzeit gerufen werden zu können, das dürfte auch in Thüringen bekannt sein, wo man mit den parteipolitischen Querelen der bundesrepublikanischen Vergangenheit vielleicht nicht so vertraut ist. Doch die Frage, die sich Unionsanhänger zur Zeit stellen, lautet nicht mehr: »Soll die CSU sich als bundesweite Partei rechts von der CDU positionieren?«, sondern: »Wer tritt das Erbe der deutschen Christdemokratie an, wenn die CDU untergehen sollte?«

Dass diese Frage am Ende doch wieder in einen Links-Rechts-Streit mündet, rührt von den unterschiedlichen Vorstellungen her, die das CSU-Establishment und die jungen Nachrücker der CDU vom Konservatismus haben. Einigkeit besteht immerhin darin, dass der Ausweg »Modernität« heißt. Im Gegensatz zur CDU hat sich dergleichen aber für die CSU und ihren Selbstherrscher Edmund Stoiber nicht in grundsätzlichen programmatischen Reformen niederzuschlagen.

Auch wenn der CSU-Wahlspruch »Laptop und Lederhose« mittlerweile eine Anpassung an den aktuellen Stand der Technik vertragen könnte: Eine griffigere Formulierung für das Stoibersche Modernitätskonzept wurde bislang noch nicht gefunden. Eine Technologie-Politik, die Bayern die bundesweit höchsten Wachstumsraten im begehrten Hightech-Sektor eingebracht hat, und jahrelange erbitterte Auseinandersetzungen um die Kruzifixe in den Schulen, Gebirgsschützenkompanien und das Buhlen um den Bau der Transrapid-Strecke in Bayern, internationale Märkte und eine rassistische Ausländerpolitik: Das ist für die CSU nicht nur kein Widerspruch, sondern Teil ihrer Identität.

Zu dieser Mischung aus ebenso ungehemmtem Fortschrittsglauben wie tief verwurzelter reaktionärer Haltung gehört auch der Kampf gegen fast alles, wovon sich Leute wie Angela Merkel eine programmatische Erneuerung der Union versprechen. Schlägt die frühere Umweltministerin vor, ihren einstigen Geschäftsbereich stärker zu thematisieren - schließlich handle es sich dabei um ein urkonservatives Thema -, reagiert Stoiber mit einer Kampagne »für die Zukunft der Kernkraft«. Äußert die CDU-Generalsekretärin die Ansicht, dass die Position der Partei zur Homo-Ehe überdacht werden müsse, hält Goppel im Rheinischen Merkur dagegen: »In der Familienpolitik werden wir sehr genau aufpassen müssen, dass nicht in aller Stille eine Menge Veränderungen unserer Gesellschaft und unserer großen gemeinsamen, dem Christentum entspringenden Überzeugungen organisiert wird. Ein Beispiel: die Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern.« Und der Welt-Kolumist und CSU-Fraktionschef im Bayerischen Landtag, Alois Glück, kommentiert: »Familie ist die wichtigste nationale Gemeinschaftsaufgabe.«

Das Nationale geht der CSU locker über die Lippen, seit die Auseinandersetzung um die Zukunft der Union entbrannt ist. Da werden schon einmal Bedenken geäußert, mit einer Vorsitzenden Merkel könne es der CDU nicht gelingen, auch für »rechte und nationale Wähler« attraktiv zu bleiben. Glos fordert angesichts der EU-Sanktionen gegen Österreich die Achtung der »nationalen Identität« der Mitgliedstaaten, und Stoiber verbittet sich bei gleicher Gelegenheit eine »Einmischung« der EU in »zutiefst nationale Fragen«.

Das versteht die Anhängerschaft, da können sich die CSU-Wortführer in noch so wohlgesetzten Worten von dem österreichischen Nationalpopulisten Jörg Haider distanzieren. Wenn Stoiber im Bundestag markig verkündet, Österreich sei »europäisches Urgestein«, dann kommt zumindest in Bayern die Botschaft an. Für die, die es noch nicht kapiert haben, verdeutlicht Glück in den Nürnberger Nachrichten: »Unsere Beziehungen zu Österreich werden ganz sicher nicht durch einen solchen Regierungswechsel beeinflusst.«

Womöglich wird es nicht mehr lange bei dem Lavieren zwischen plakativer Ablehnung Haiders und Agitieren gegen die EU-Sanktionen bleiben: Schon planen der Münchener CSU-Vorsitzende und Bundestagsabgeordnete Johannes Singhammer sowie Ludwig Spaenle, Abgeordneter im Bayerischen Landtag und Vorsitzender des großen Münchener Kreisverbandes Schwabing, Haider nach München einzuladen, um mit ihm über »Sachthemen« zu reden. Etwa die geplante Erhöhung der Gebühr für die österreichische Autobahn-Vignette werde sich »wohl nicht mit einem Brief erledigen« lassen. Nein, darüber muss man mit einem Landeshauptmann reden, und zwar nicht mit irgendeinem, sondern mit demjenigen, dessen Bundesland am weitesten von Bayern entfernt liegt.

Dieser Pseudo-Pragmatismus könnte zum Modell im Umgang mit dem österreichischen Postfaschisten werden: Man betont entweder, dass Haider in Österreich so wichtig sei, dass kein Weg an ihm vorbeiführe, oder dass man den »Populisten« nur »entzaubern« könne, wenn man ihn mit »harten Themen« konfrontiere. Damit hält man einerseits gegenüber SPD, Grünen und den anderen EU-Staaten eine Ausrede bereit, warum man mit Haider Umgang pflegt. Andererseits signalisiert man der eigenen rechten Anhängerschaft die Akzeptanz des »Kärntner Landeshauptmannes«, wie Stoiber Haider betont sachlich zu nennen pflegt. So spricht eben ein Amtsträger über einen anderen Amtsträger.

Haider, sagt Stoiber, sei eine Person, »mit der ich politisch nichts gemein habe und nichts gemein haben möchte«. Dass das eine dreiste Lüge ist, braucht man nicht eigens zu betonen. Beide Politiker stehen einer straff geführten rechtskonservativen Partei mit starker regionaler Verankerung vor, beide sind in der Vergangenheit durch offensiv ausländerfeindliche Politik aufgefallen; erinnert sei in diesem Zusammenhang nur an die Unterschriftensammlung gegen die Doppelte Staatsbürgerschaft, zu deren Urhebern Stoiber zählte.

Wie Stoiber wettert Haider gegen die EU und für die Autonomie der Regionen. Wie Haider träumt Stoiber davon, ausgehend von seiner lokalen Machtbasis an die Spitze der Bundesregierung aufzurücken. Nein, der bayerische Ministerpräsident eifert Haider nicht nach: Das Gegenteil ist der Fall.

Denn verglichen mit Stoiber hat Haider noch immer Nachholbedarf: Der Bayer kann sich auf die gewaltige Hausmacht stützen, die sich in fünfzig Jahren an der Regierung anhäuft. In diese unangefochtene Position muss der Kärntner erst noch aufrücken.