Diskussion um Green Card

Humankapital mit Sondererlaubnis

Warum mit der neuen Green Card zwischen Lumpenproletariat und Techno-Avantgarde der Migration unterschieden wird

ausche Asylrecht gegen Einwanderungsgesetz«. Damit versuchten Anfang der neunziger Jahre die Multikulturalisten, in der Debatte um die Asylrechtsänderung zu punkten. Dass heute die CDU diese Position einnimmt, hat eine gewisse Ironie, auch wenn es sich zunächst nur um eine Verlegenheitslösung handelt.

Respekt. Einen solchen Coup zu landen, hatten wir der SPD schon gar nicht mehr zugetraut. Immerhin hat der wohl inszenierte Schrödersche Green-Card-Spontan-Pragmatismus nicht nur erneut die Wirtschaftsfreundlichkeit der Regierung unter Beweis gestellt, sondern auch die ohnehin reichlich angeschlagene CDU ins Schleudern gebracht. Welche Argumente sollten der CDU noch einfallen, wo Schröder sich auf ihre ureigenste heilige Rhetorik, den Standort Deutschland, berief? Und so dauerte es eine Weile, bis die Reihen der CDU geordnet und die Partei in der Sache wieder satisfaktionsfähig war.

Ungefähr 20 Tage brauchten die Konservativen für ihre ideologische Aufholjagd. Dann hatte sie eine neue Rhetorik gefunden: Green Card geht irgendwie okay, aber nur wenn es ein Einwanderungsgesetz gibt, besser gesagt: ein Zuwanderungsbegrenzungsgesetz. Wenn die Green Card den Auftakt zu einem Import von High-Tech-Humankapital setze, solle auf der anderen Seite endlich das individuelle Recht auf Asyl aus der Verfassung verschwinden. Artikel 16a könnte flott in eine allgemeine institutionelle Garantie umformuliert werden: »Deutschland gewährt Asyl. Näheres regelt ein Bundesgesetz.« O-Ton Wolfgang Bosbach, CDU-Vize-Fraktionschef.

Die SPD aber will auf alle Fälle eine Diskussion über Asylrecht und Einwanderungsgesetz vermeiden, weil sie nicht sicher ist, ob sie im dann kommenden rassistischen Diskurs konkurrenzfähig genug ist. Deshalb vermeldet sie stereotyp: Die Zeit für ein Einwanderungsgesetz sei nicht reif.

Bis der Union der Salto mortale von einer totalen Ablehnung eines Einwanderungsgesetz zu seiner Forderung gelang, konnte man sich zum Beispiel im ZDF den zaghaften Einwand Angela Merkels, es sei doch merkwürdig, wenn die Bundesregierung einerseits politisch Verfolgten die Tür weise und andererseits IT-Privilegierte noch mehr privilegiere, auf der Zunge zergehen lassen. Auch Jürgen Rüttgers' »Kinder statt Inder« wirkte angesichts der Tatsache, dass der CDU der neoliberale Standort-Diskurs von der SPD geklaut worden war, eher hilflos. Völlig klar, dass die Ausbildungsmisere nicht der seit Herbst 1998 amtierenden rot-grünen Regierung angelastet werden kann. Zum Glück verkümmerte Rüttgers' Initiative schon im Ansatz. Hatte mit ihr doch eine Mobilisierung wie bei der CDU-Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft gedroht.

Aber es kam noch besser: Das Abziehen von Eliten aus der Dritten Welt sei unmoralisch. Damit zog Rüttgers im Universum der unglaubwürdigsten Bekenntnisse mit der stellvertretenden Vorsitzenden des DGB, Ursula Engelen-Kefer, gleich. Die prangerte nämlich auch den Brain Drain an, den eine Green Card für High-Tech-ImmigrantInnen aus der so genannten Dritten Welt befördere.

Überhaupt besitzen die Gewerkschaften keine guten Karten im Green-Card-Poker. Haben sie sich doch im Namen der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft in einer globalisierten Ökonomie auf allerlei schlechte Kompromisse - Verringerung des Lohnniveaus, Abbau sozialstaatlicher Garantien etc. - eingelassen, die sie ihren Mitgliedern mit einem Argument weiterverkauften, das dem Ende des Fordismus weit abgeschlagen hinterherhinkt: Der Opfer-bringen-lohnt-sich-Schlager verspricht, dass langfristig Arbeitsplätze für Deutsche herausspringen würden.

Dabei ist es nicht erstaunlich, dass die Gewerkschaften gegen Migration sind, vor allem in einer Situation, in der mehrere Millionen Arbeitslose die Verhandlungsposition der Arbeitnehmerinteressen erheblich schwächen. Weil die Gewerkschaften im national verfassten Wohlfahrtsstaat nur die korporatistisch-ökonomischen Interessen ihrer inländischen Klientel vertreten, ergibt sich daraus kaum Solidarität mit irgendwelchen anderen Menschen. In der Hochphase der bundesdeutschen Vollbeschäftigung stieß die Anwerbung von so genannten GastarbeiterInnen auf keinen großen Widerspruch der Gewerkschaften. Den deutschen ArbeitnehmerInnen eröffneten sich in dieser Phase berufliche Aufstiegsmöglichkeiten. Die bad jobs wurden von den MigrantInnen übernommen.

In dem angekündigten Green-Card-Kompromiss funktioniert das nicht mehr. Der geht nämlich so: kurzfristig Wirtschaftsinteressen bedienen und die organisierte inländische Arbeitnehmerschaft mit dem Versprechen ruhig stellen, die vakanten Arbeitsplätze nur übergangsweise mit Indern, Russen oder Polen zu besetzen, bis deutsche Fachkräfte nachgesessen haben. Drei Jahre gibt ihnen Schröder dafür. Ende letzter Woche erklärte er, dass die erste Stufe der IT-Anwerbung bald gezündet werde: Zehn- von insgesamt zwanzigtausend Green Cards sollen für fünf Jahre an IT-ArbeiterInnen aus Nicht-EU-Ländern erteilt werden.

Deutschland als IT-Entwicklungsland, was für eine Schmach! So musste sich Ursula Engelen-Kefer als Antwort auf ihre Deutsche-Arbeitslose-zuerst!-Rhetorik vorrechnen lassen, dass Druckvorlagenhersteller und 50jährige Ingenieure zwar in der Arbeitslosenstatistik als EDV-Spezialisten auftauchten, auf dem globalisierten IT-Markt aber outmoded sind.

Die Unternehmer plädieren seit Jahren für eine möglichst freizügige Regelung. Sie wissen, dass eine schäbige Fünfjahres-Frist den einen oder anderen heiß begehrten Kandidaten lieber andernorts anheuern lässt. Angesichts der Misslichkeiten beim globalen Headhunting wurde in den vergangenen Jahren tüchtig improvisiert: Firmen gründeten eigene Visaabteilungen, Leute machten sich in Sachen Visa- und Arbeitserlaubnisbeschaffung selbstständig. Und auch die Einrichtung eines »Servicecenters« für EU-Bürger innerhalb der Frankfurter Ausländerbehörde ist ein Zeichen der Zeit. Am 3. März hat Joseph Fischer alle deutschen Vertretungen angewiesen, Visa großzügiger zu erteilen und ihr Berufsbild vom Bürokrat zum Dienstleister zu modernisieren.

Schließlich schafft der globale Wettbewerb immer wieder unvorhergesehenen Bedarf, der sich nicht im Voraus planen lässt. Deshalb ist die Industrie für eine flexible und positive institutionelle Regulierung der Arbeitsmigration.

Heißt das jetzt etwa, dass man sich auf deren Seite schlagen soll? Um was geht es überhaupt? Um eine neue Qualität in der Einwanderungsdiskussion wohl kaum. Der so genannte Vorstoß ist weder ein Fortschritt noch ein Rückschritt. Wie schon bei der Auseinandersetzung um die Doppelte Staatsbürgerschaft geht es nicht um die Rechte der Kanaken, sondern um die jeweils neu und anders definierten nationalen Interessen, in der wir nur eine abhängige Variable sind.

Irgendwie geht's immer nur um eins: Die Deutschen kommen allein nicht klar. Sie brauchen die MigrantInnen für oder gegen den sozialen Frieden, für oder gegen ihren Rassismus, für oder gegen ihre Standortsicherung. Deshalb ist da nichts zu holen, weil das Kontinuum der Verfügungsgewalt über die MigrantInnen weder in den tradierten noch in den modernistischen Entwürfen zur Regelung des »Drinnen und Draußen« gebrochen wird.

Solange politische Rechte und soziale Sicherheit an die nationalen wohlfahrtsstaatlichen Strukturen gebunden sind, wird Migrationspolitik immer

in der Produktion von Lumpen- und SpitzeneinwandererInnen bestehen. Deshalb hat der französische Theoretiker Yann Moulier Boutang die Frage, warum Sans-papiers und Sans-travails zusammenarbeiten sollten, so beantwortet: »Der Zirkulation des Kapitals und der Waren kann eine einzige regulierende Grenze gesetzt werden, die nicht rein defensiv wäre, die selbstbestimmte Mobilität der Menschen.«

Deshalb brauchen wir auch kein Einwanderungkontrollgesetz, wie es in FDP-Sprak heißt, und auch keine flankierenden Integrationsmaßnahmen, sondern ein Recht auf Einwanderung. Als nackte Selbstverständlichkeit, dass jeder Mensch irgendwo leben können muss, existiert dieses Recht bereits und wird auch in Anspruch genommen. Fehlt nur noch, dass wir es zu einer materiellen Gewalt machen. Wir sind Kanaken, und wir sind überall zu Haus.