Neue Zeugenaussage im Fall Andrea Wolf

Mord bleibt Mord

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In Kriegen wird gelogen und vertuscht. Das gehört zum Handwerkszeug und ist sozusagen Ehrensache. Wer sich länger mit dem Krieg in Türkisch-Kurdistan beschäftigt, weiß, dass sich die beiden Kriegsparteien bei der Informationspolitik nichts nehmen. Was sich die türkischen Generäle aber bislang im Zusammenhang mit dem Tod der deutschen PKK-Guerillera Andrea Wolf erlauben, übertrifft das gewohnte Maß an Irreführung.

Am 28. Oktober 1998 meldete der kurdische Sender Med.TV, dass Wolf zusammen mit weiteren PKK-KämpferInnen bei einem Gefecht gefangen genommen, verhört und hingerichtet worden sei. Auf Nachfragen des Auswärtigen Amts reagierte man in Ankara empfindlich: Über den Verbleib der Deutschen sei nichts bekannt. Für die Staatsanwaltschaft in Frankfurt/Main, dem letzten Wohnsitz der 33jährigen, war der Anfangsverdacht immerhin so groß, dass sie ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt einleitete.

Doch Ankara hält über ein Jahr später noch immer an seinem Dementi fest. Bis heute und trotz gegenteiliger Erkenntnisse der Internationalen Untersuchungskommission (IUK), die seit einem Jahr im Auftrag der Mutter und von FreundInnen von Andrea Wolf recherchiert. Tatsächlich war das Gefecht am 23. Oktober 1998 in der Nähe von Beytüssebap wohl eines der schlimmsten in der Geschichte dieses Kriegs. Die Einheit, zu der auch Ronahi, wie sich Andrea Wolf in der PKK nannte, gehörte, war zwei Tage zuvor bei der Verlegung ihres Lagers mitten in eine Großoffensive der Armee geraten.

Beim Versuch, sich in der Gebirgsregion vor den heranrückenden Soldaten zu verstecken, werden die Guerilleros von einem Armeeposten entdeckt, eingekesselt und mit Kampfhubschraubern angegriffen. Innerhalb von zwei Stunden sind die meisten der 42 KämpferInnen tot, der Rest hat keine Munition mehr - auch Ronahi nicht. Zusammen mit einem Kämpfer namens Diyar wird sie festgenommen und verhört. »Ich hörte sie schreien wie jemand, dem man fürchterlich weh tut, den man foltert. (...) Dann fielen Schüsse. (...) Zuerst verstummte ihre Stimme, dann die von Diyar.« So schilderte jetzt eine Zeugin das Geschehen, das sie gemeinsam mit drei weiteren KämpferInnen in einem Erdloch versteckt mitgehört habe. Als die Vier aus ihrem Versteck gekrochen seien, hätten sie die Leiche von Andrea Wolf gefunden, die nur noch mit ihrer Unterwäsche bekleidet gewesen sei. »Ihr Hals war voller schwarzer Flecken, wie Würgespuren (...), ihr Körper war voller Spuren von Schlägen mit Gewehren«, berichtet die Zeugin. »Ihr ganzer Körper war voller Blut. Das Hemd, das sie trug, war schon ganz starr.«

Durch die präzisen Angaben, die die Zeugin gegenüber der IUK gemacht hat, ließen sich Tathergang und -ort genau rekonstruieren, die Grabstätte auffinden, sodass auch ein gerichtsmedizinischer Nachweis der Todesumstände möglich wäre. Doch die Generäle mauern weiter. Der Generalstab hat sich gegen die Darstellung inzwischen verwahrt, ohne allerdings Gründe zu nennen.

Aber auch in Berlin versteckt man sich weiter hinter den türkischen Dementis. Wegen ihres Engagements in der linksradikalen Szene war Andrea Wolf auch für die Bundesrepublik eine schwierige Bürgerin. Das darf aber nicht bedeuten, dass der Verstoß gegen internationales Recht stillschweigend hingenommen wird.

Die Autorin ist Mitglied der Internationalen Untersuchungskommission, die den Mord an Andrea Wolf aufklären will.