Abschiebungen in Wiesbaden

Multiple Deportationen

Der Fall der Familie Akyüz zeigt die minutiöse Systematik, mit der kommunale Behörden und Justiz Abschiebungen von Folteropfern vornehmen.

Seit diesem Monat ist die Welt wieder in Ordnung für Wiesbadens Oberbürgermeister Hildebrand Diehl (CDU). Da hat er nämlich Strafanzeige gegen den Kabarettisten Dieter Hildebrandt gestellt. Dieser soll bereits im April in der ARD-Satiresendung »Scheibenwischer« Mitarbeiter der Wiesbadener Ausländerbehörde »beleidigt« haben.

Hildebrandt hatte sich mit der drohenden Abschiebung der kurdischen Familie Akyüz in die Türkei befasst. Dabei kommentierte er die »große Heldentat« der Ausländerbehörde mit der Frage, ob »diese Damen und Herren vielleicht nachträglich noch in die SS eintreten« wollten.

Für Diehl stellte das eine »persönliche Ehrverletzung« der BeamtInnen dar, die weder durch die Freiheit von Kunst oder Satire noch durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sei. Da sich die MitarbeiterInnen der Ausländerbehörde nicht selber verteidigen könnten, müsse er als ihr oberster Dienstvorgesetzter das tun. Viele Menschen in Mainz und Wiesbaden sind da durchaus anderer Meinung und haben sich in einem Bündnis, das von Kirchenkreisen über den Flüchtlingsrat Wiesbaden bis zu antirassistischen Gruppen reicht, zur Unterstützung der Familie Akyüz zusammengeschlossen, die sich seit dem 23. Mai ins Kirchenasyl in die Evangelische Studentengemeinde Mainz geflüchtet hat.

Uwe Remus, der Anwalt der Familie, betonte, dass der Fall nur »einer von Tausenden« sei, »einzig durch die gute Solidaritätsarbeit« bekannt geworden, die den »enormen Abschiebewille der Ausländerbehörde« der Öffentlichkeit vermittelt habe. Wichtig sei deshalb die jüngst erklärte Bereitschaft von drei weiteren Gemeinden in der Region, Kirchenasyl zu gewähren.

Die Odyssee von Flucht und Verfolgung der Familie Akyüz begann Anfang der neunziger Jahre in ihrem Dorf Sivrice in der Südost-Türkei nahe der syrischen Grenze. Türkische Militärs wollte Abdulcabbar Akyüz zwingen, als so genannter Dorfschützer für die Armee zu arbeiten. Nach seiner Weigerung wurde er als »PKK-Unterstützer« mehrfach verhaftet und gefoltert, bevor ihm die Flucht nach Deutschland gelang.

Im Juni 1993 stellte er einen Asylantrag, der als »offensichtlich unbegründet« abgelehnt wurde. Wegen des seit 1994 zeitweise geltenden Abschiebestopps für KurdInnen aus der Türkei konnte er zunächst bleiben. Nach der Flucht des Vaters war die übrige Familie ins Visier des türkischen Militärs geraten. Wiederholt gab es Drohungen und Schläge. Sowohl Emine Akyüz als auch ihr damals 16jähriger ältester Sohn Süleyman wurden mehrmals in die Polizeiwache verschleppt und vergewaltigt. Zwei Gutachten des Frankfurter Psychosozialen Zentrums für Opfer von Folter und organisierter Gewalt bestätigen das. Auch für Abdulcabbar Akyüz gibt es ein Vorgutachten, das von schwerer Traumatisierung berichtet. Der Familie gelang im Sommer 1995 die Flucht nach Deutschland. Ihr Asylantrag wurde vom Verwaltungsgericht Wiesbaden 1997 abgelehnt, worauf sie Asylfolgeanträge stellte.

Nach Ende des Abschiebestopps in die Türkei wurde Abdulcabbar Akyüz im Juli 1998 erstmals abgeschoben. Schon am Flughafen in Istanbul wurde er als »armenischer Terrorist« verhaftet und mit Elektroschocks gefoltert. Nach weiteren Verhaftungen und Folterungen in Sivrice floh er 1999 erneut. Aber erst Anfang 2000 gelang ihm mit Hilfe organisierter Fluchthelfer die Wiedereinreise über Italien nach Deutschland. Der von seinem damaligen Anwalt gestellte Asylfolgeantrag wurde nicht anerkannt, da ihn der Flüchtling nach herrschender Gesetzeslage persönlich stellen muss.

Noch bevor Abdulcabbar Akyüz das tun konnte, wurde er Ende Januar verhaftet. Als sich in der Abschiebehaft akute Herzprobleme einstellten, wurde er in die Krankenstation der JVA Höchst verlegt und nach seiner Genesung - trotz des laufenden Verfahrens - am 17. Februar abgeschoben. In Istanbul empfing ihn eine »Antiterroreinheit«, deren Mitglieder ihn erneut folterten. Nach seiner Freilassung widerfuhr ihm das Gleiche in Sivrice und der Kreisstadt Midyat. Seitdem hält er sich in der Region versteckt.

Trotz der neu vorgebrachten Verfolgungsgründe lehnte das Verwaltungsgericht Wiesbaden im April einen Eilantrag ab, der aufschiebende Wirkung für die Abschiebung der Familie Akyüz gehabt hätte. Der zuständige Richter verweigerte die Befragung der Asylsuchenden und die Miteinbeziehung der genannten Gutachten. Die Angaben, in der Türkei Opfer von Folter und sexueller Gewalt geworden zu sein, seien »verbraucht«, da sie erst kürzlich vorgebracht wurden. Dabei ist es Stand der Traumaforschung, dass Folteropfer nicht von Beginn an über ihre Erlebnisse sprechen.

Die von Remus eingereichte Verfassungsbeschwerde wurde am 31. Mai abgelehnt. Über die am 16. Juni beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereichte Beschwerde ist noch nicht entschieden. Der parallel eingereichte Eilantrag wurde jedoch mit Bescheid vom 28. Juni zurückgewiesen. Remus selbst räumt der Menschenrechtsbeschwerde nur geringe Erfolgschancen ein. Das Solidaritätsbündnis versucht dennoch, auf ein Bleiberecht aus humanitären Gründen zu drängen. Die Kirchengemeinden haben, bis zur Ausschöpfung aller Rechtswege, das Kirchenasyl garantiert. Oberbürgermeister Hildebrand Diehl und der Leiter der Ausländerbehörde, Winfried Tischel, geben sich aber schon siegessicher: Alle Gerichte hätten im Sinne der Ausländerbehörde entschieden. Ein Ermessensspielraum bestehe nicht.