Abschiebegefängnis in Tschechien

Fit für Europa

Mit eigenen Abschiebeknästen gibt die Tschechische Republik dem Druck Deutschlands nach.

Die junge Frau aus Kiew sieht neben dem schwarz gekleideten Wachmann sehr klein aus. Sie ist erschöpft, ihre dunklen langen Haare sind verklebt. Nur einmal in der Woche sei es ihnen erlaubt, für fünf Minuten zu duschen, erzählt sie. Sie und die drei anderen Frauen, mit denen sie eine Zelle teilt, warten seit fünf Wochen auf ihre Entlassung aus Balkova, dem ersten Abschiebegefängnis der Tschechischen Republik.

Sie sei schon auf der deutschen Seite gewesen, berichtet die junge Frau. Gerade als sie in Leipzig in den Zug nach Berlin steigen wollte, wurde sie vom Bundesgrenzschutz (BGS) verhaftet. Die Beamten hatten in ihrem Gepäck ein Straßenbahnticket aus Prag gefunden und daraus geschlossen, dass sie illegal über die tschechische Grenze gekommen sei. Am nächsten Tag wurde sie »zurückgeschoben«.

Auf dem langen Gefängnisflur versammeln sich immer mehr Häftlinge, die sich wütend über ihre Situation beschweren. Die Anspannung ist groß. Einige halten sich im Hintergrund und blicken eher apathisch. Sie haben es aufgegeben, sich zu beschweren und zu fragen, warum sie hier eingesperrt werden. Vergebens hat die junge Frau aus Kiew darum gebeten, telefonieren zu dürfen.

Bis zur deutschen Grenze sind es nur 40 Kilometer. Früher habe die Anlage als Polizeischule gedient, erzählt Major Hubka, der Direktor von Balkova. Im November 1998 wurde hier das Abschiebegefängnis eröffnet, in dem heute bis zu 300 Inhaftierte untergebracht sind. Über 60 Prozent sind Migranten und Flüchtlinge, die vom BGS direkt hinter der Grenze aufgegriffen und mit Hilfe des 1994 in Kraft getretenen Rücknahmeabkommens abgeschoben wurden. Ungefähr die Hälfte der Insassen stammt aus Ost- und Südosteuropa. Die anderen Flüchtlinge kommen aus Afghanistan und dem Iran, aus Vietnam und Sri Lanka.

Leutnant Pavel Chuboda von der Ausländerpolizei bestätigt, das tschechische Abschiebegefängnis sei unter Druck aus Deutschland errichtet worden. 1998 wurden auf deutscher Seite nach Angaben des BGS über 19 000 heimliche Grenzgänger festgenommen, in Tschechien kam es zu 25 000 weiteren Verhaftungen. In Deutschland, aber auch in Österreich, forderte man eine härtere Gangart der tschechischen Behörden gegenüber den zurückgeschobenen Migranten. Solange der tschechische Grenzschutz keine Gefängnisse hatte, wurden die Zurückgeschobenen nach ein bis zwei Tagen Haft wieder entlassen. Viele versuchten erneut, heimlich die Grenze zu überqueren.

Die Häftlinge in Balkova haben jeden Tag eine halbe Stunde Hofgang, erklärt der Direktor. Den Rest des Tages verbringen sie jeweils zu viert in den Zellen. Im offenen Bereich, der Frauen und Familien mit Kindern vorbehalten ist, könnten sich die Inhaftierten tagsüber auch auf dem Flur aufhalten, nur in der Nacht seien dort die Zellen verschlossen, erklärt Hubka. Bis zu 180 Tagen können die Migranten ohne Papiere nach dem neuen Ausländergesetz in Haft genommen werden.

Ganz anders sieht es in Cerveny Ujezd aus, 20 Kilometer südlich von Teplice. Hier befindet sich eines der beiden tschechischen Erstaufnahmelager für Flüchtlinge. Der Familie Nazaki aus dem Iran ist in einem der fünfstöckigen Blocks eine Wohnung mit zwei Zimmern zugeteilt worden. Sieben Wochen, so berichtet der Vater der Familie, war er mit seiner Frau und den drei Kindern in Balkova eingesperrt. Auch sie hatten zuvor versucht, nach Deutschland durchzukommen. Kommerzielle Fluchthelfer hatten die Familie in einer Nacht im Dezember über die Grenze geführt. Doch noch im Grenzgebiet wurden sie vom BGS verhaftet. Herr Nazaki wird sichtlich erregt, wenn er über die 48 Stunden berichtet, die die Familie in BGS-Haft verbracht hat. Seine Erklärung, dass er nicht in den Iran zurückkehren könne, habe niemanden interessiert. Man habe ihm gesagt, dass er in Deutschland keinen Asylantrag stellen könne. Dies sei nur noch in Tschechien oder einem anderen Land möglich.

Herr Nazaki sucht Quittungen hervor, die ihm ein BGS-Beamter kurz vor der Rückschiebung ausgehändigt hat. Er bewahrt sie säuberlich gefaltet in einer Plastikfolie auf. Von »Sicherheitsleistungen« und »Polizeikosten« ist darin die Rede. Der BGS hat für den zweitägigen Aufenthalt und für die Rückführung der fünfköpfigen Familie insgesamt 2 600 Mark einbehalten.

In Tschechien landeten die Nazakis in Balkova. Es dauerte eine Weile, bis die Familie begriff, dass man sie in ein Gefängnis gesperrt hatte. Niemand habe mit ihnen gesprochen, tagelang seien sie in einer Zelle eingeschlossen gewesen mit lediglich zehn Minuten Hofgang pro Tag. Besonders für die beiden jüngsten Kinder ein unhaltbarer Zustand.

Aus Verzweiflung begann Herr Nazaki nach drei Wochen einen Hungerstreik und forderte die Überstellung in ein Flüchtlingslager. Er hatte Erfolg: Drei Wochen später wurde die Familie in das Erstaufnahmelager Cerveny Ujezd überstellt. Zwar sind auch hier die Lebensbedingungen prekär: Ende Juli brach eine Hepatitis-Epidemie aus, das Lager wurde vollständig abgeriegelt (Jungle World, 33/00). Doch immerhin versprach eine englisch sprechende Frau, sich um den Asylantrag der Familie zu kümmern.

Der Direktor von Balkova bestreitet solche Darstellungen. Wer in Balkova Asyl beantragen wolle, werde entlassen. Nur hin und wieder komme es zu zeitlichen Verzögerungen. Schließlich müsse zuerst das Innenministerium informiert und der Transfer ins Erstaufnahmelager organisiert werden.

Dagegen berichten viele der Flüchtlinge in Cerveny Ujezd, dass es ihnen in Balkova nur durch massive Proteste gelungen sei, einen Asylantrag zu stellen. Auch die in Balkova arbeitende Psychologin Marie Hnatkova bestätigt dies: Viele der in Balkova Inhaftierten seien verzweifelt. Vor allem für Familien mit Kleinkindern sei der Gefängnisaufenthalt eine unerträgliche Belastung. Auch sie spricht von Hungerstreiks bis hin zu Selbstmordversuchen in dem Gefängnis.

Mit der Einrichtung von Balkova bemüht sich Tschechien, seine Funktion als Pufferstaat am Rande der EU zu erfüllen. Flüchtlinge und Migranten werden schon vor der Grenze zu Deutschland und Österreich abgefangen, bereits Abgeschobene aus den Grenzgebieten herausgeschafft und in die Slowakei weiter geschoben. In Kürze sollen vier neue Abschiebegefängnisse eröffnet werden.

Der jungen Frau aus Kiew sieht man die Wut und Empörung an. Sie wartet nun darauf, über die Slowakei in die Ukraine abgeschoben zu werden. Dann muss sie sich einen neuen Weg überlegen, um nach Deutschland zu kommen.