Ex-Grüner will Italien regieren

Il Clinton italiano

Es sah so aus, als hätte Silvio Berlusconi die Wahlen 2001 bereits gewonnen. Doch jetzt hat sich Francesco Rutelli, der karrieristische Bürgermeister von Rom, ins Gespräch gebracht.

Die italienischen Zeitungen schwärmen davon, wie gut er aussieht. Besonders beeindruckend seien seine Augen. Wie aufmerksame Biografen berichten, wechseln sie je nach Tag und Laune die Farbe: von Hellgrün bis Dunkelgrau mit gelben Sprenkeln.

Und nicht nur die Augen von Francesco Rutelli verändern sich den äußeren Umständen entsprechend. Der Bürgermeister von Rom hat auch als Politiker schon einige Kehrtwendungen vollzogen - mit Erfolg: Nun hat der 46jährige beste Chancen, als Kandidat der regierenden Mitte-Links-Koalition bei den Parlamentswahlen im nächsten Frühjahr anzutreten.

Letzte Woche erklärte sich Rutelli auch öffentlich bereit, für das Amt des Premierministers anzutreten. Noch will sich niemand in der Regierung festlegen, wen die Koalition für die Wahlen aufstellen wird. Erst im Oktober soll über den Kandidaten entschieden werden. Doch schon jetzt wird Rutelli als die neue Gallionsfigur der Ölbaum-Koalition gehandelt.

Bei einer von der Wochenzeitschrift L'Espresso in Auftrag gegebenen Umfrage erhielt Rutelli Anfang September das beste Ergebnis: Von allen derzeit in Frage kommenden Kandidaten für die Mitte-Links-Koalition ist der römische Bürgermeister der einzige, dem die Befragten genauso viele Stimmen geben würden wie dem rechten Oppositionsführer Silvio Berlusconi.

Der Rücktritt von Massimo D'Alema als Premierminister im April hatte die Regierung erheblich erschüttert. Pessimismus machte sich breit. Man rechnete fest damit, für Berlusconi das Feld räumen zu müssen. Derzeit kann Berlusconi bei Umfragen mit rund 36 Prozent der Wählerstimmen rechnen. Doch die Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen. Was ihm diese Mehrheit verschafft, ist auch die Tatsache, dass sich die regierende Mitte-Links-Koalition noch nicht auf einen Kandidaten einigen konnte, Berlusconi also bisher ohne Gegner da stand.

Mit Francesco Rutelli kommt neuer Schwung in die müde Koalition - ein fragiles Konstrukt aus acht kleinen und Kleinstparteien. Er wäre der ideale Gegenkandidat zu Berlusconi. Ebenso wie der Oppositionsführer ist Rutelli sehr medienwirksam: Er sieht gut aus, wirkt jugendlich und ist in der Lage, sich zu inszenieren. Kritiker aus den Reihen der Linksdemokraten lästern bereits, die beiden seien sich derart ähnlich, dass Berlusconi vorzuziehen sei - der habe mehr Substanz.

In Italien wird Rutelli auch mit dem US-amerikanischen Präsidenten William Clinton verglichen: Wie Clinton soll er die Stimmen der weiblichen und der jungen Wählerschaft gewinnen. Rutelli hat zudem den großen Vorteil, frei von Altlasten zu sein: Er ist weder ein Ex-Kommunist wie Walter Veltroni, der Vorsitzende der Linksdemokraten, kein Ex-Craxianer wie Premier Giuliano Amato, noch ein Ex-Christdemokrat wie Romano Prodi.

So könnte Rutelli unter anderem Antonio Di Pietro für die Koalition zurückgewinnen. Der ehemalige Tangentopoli-Staatsanwalt hatte vor ein paar Wochen erklärt, dass er mit Amato als Kandidaten für das Amt des Premierministers aus der Koalition aussteigen würde - ein erheblicher Verlust für den Ölbaum. Auch die Rifondazione comunista könnte sich eher mit Rutelli als mit Amato abfinden - als dem kleineren Übel. Denn der Gegensatz Amato-Rutelli entspricht auch den beiden Flügeln in der Koalition, die zwischen dem gewerkschaftsnahen Parteivorsitzenden Veltroni und wirtschaftsliberaler Bereitschaft zu Zugeständnissen an die konservativen Koalitionspartner laviert. Doch Rutelli ist keineswegs ein Bürgerschreck. Zu den römischen Bürgermeisterwahlen war er noch als Grüner angetreten. Inzwischen ist er zu den Demokraten, einem Überbleibsel der aufgelösten Democrazia cristiana, übergelaufen. Auch die Volkspartei PPI, ebenfalls ehemalige Christdemokraten, scheint ihm gegenüber nicht abgeneigt zu sein: Rutelli ist der einzige, der eine neue Aufbruchstimmung erzeugen kann.

Im Streit um den geeigneten Kandidaten für den Olivenbaum geht es ausschließlich um die Personen. Es buhlen um die Kandidatur ein wirtschaftsorientierter Technokrat und ein karrieristischer Schönling; die Diskussion um ein neues politisches Programm für die breite Koalition wird vermieden.

Als Rutelli vor sechs Jahren Bürgermeister in Rom wurde, waren die Hoffnungen groß: ein junger, fortschrittlicher Grüner als erster Bürger der italienischen Hauptstadt. Immerhin hatte Rutelli in den achtziger Jahren der Radikalen Partei angehört und sich als libertär und liberal bezeichnet. Er beteiligte sich an Hungerstreiks und pazifistischen Demos gegen die Kirche und das Wettrüsten im Kalten Krieg.

Doch im Campidoglio, dem Sitz der römischen Stadtverwaltung, erwies sich der Grüne bald als Realpolitiker, der vor allem seine eigene Karriere nicht aus den Augen verliert und damit beschäftigt ist, Zugeständnisse in alle Richtungen zu machen. »Piacione« wurde sein Spitzname: Einer, der es allen recht macht. Endgültig verspielte er es sich bei der italienischen Linken - nicht nur in der Hauptstadt -, als er im Juni der internationalen Gay Parade den bereits im vergangenen Jahr versprochenen Ehrenschutz der Stadt Rom kurzfristig wieder entzog. Offenbar stand für ihn dabei sein gutes Verhältnis zum Vatikan im Vordergrund.

»Den da wählen, einen Messdiener des Papstes? Nie im Leben«, drückte Sandro Masini, Mitglied der Linksdemokraten in Viterbo, gegenüber L'Espresso die Stimmung vieler beim linken Flügel der Partei aus. Um sich die Sympathien der Kirchenmänner zu sichern, hatte sich der ehemals anti-klerikale Aktivist vor fünf Jahren sogar dazu entschieden, seine Ehe von der Kirche segnen zu lassen - fast fünfzehn Jahre nach der standesamtlichen Heirat.

Rutelli zielt vor allem auf die Stimmen aus der Mitte ab. Dabei ist diese Mitte in Italien ein sehr dehnbarer Begriff. So glaubt der Premier in spe, »wir können gewinnen, wenn wir die Mitte erobern, die Stimmen, die heute noch an Forza Italia gehen.«

Bisher ist es erst einem gelungen, Berlusconi in einem Wahlkampf zu schlagen: 1996 konnte Romano Prodi eine breite Koalition hinter sich bündeln, die die Mehrheit der Stimmen erlangte.

Heute ist Prodi EU-Kommissionspräsident. Doch noch immer macht er seinen Einfluss auf den Ölbaum geltend. Und so vermuten derzeit viele Beobachter, Prodi und das ihm ergebene Netzwerk, zu dem auch Walter Veltroni gehört, könnte hinter der Ernennung des Kronprinzen stehen. So ist es vielleicht auch kein Zufall, dass Ende August, als Rutellis Kandidaturbestrebungen bekannt wurden, Giuliano Amato sich beeilte zu versichern, dass er seit dreißig Jahren mit Prodi befreundet sei.

Ob sich Amato so leicht gegen Rutelli austauschen lassen wird, ist fraglich. Auf dem Koalitionstreffen in Telese am Wochenende sagte der Premier mit Blick auf seinen Rivalen: »Ich bin keine Hollywood-Diva und bin nicht beleidigt, wenn ich nicht für einen Film genommen werde. Es muss aber darum gehen, wieder an Boden zu gewinnen.« Zugleich deutete sich bereits ein möglicher Deal an: Amato räumt das Feld und erhält dafür freie Bahn, um für die verbleibende Zeit seine technokratischen Regierungsziele ungehindert durchzusetzen und dann in die Geschichtsbücher einzugehen, wie bereits 1992.