Centro Sociale II

Schaukämpfe in Schutzanzügen

Die Centri Sociali mobilisieren regelmäßig zu Großdemonstrationen - was sie nicht von fragwürdigen Bündnissen abhält.

Die Centri Sociali haben in gewisser Hinsicht die Gewerkschaften abgelöst. Lange galten die Arbeitnehmerverbände vor allem den der Parteiform verpflichteten Linken in Italien als Transmissionsriemen für ihre Klassenpolitik. Heute sehen dagegen die italienischen postautonomen Bewegungslinken in den Centri Sociali das geeignete Auffangbecken, aus dem sie neue Kräfte für ihre zwischen Konflikt und Vermittlung changierende Politik schöpfen können.

Dabei gibt es die Centri schon seit Mitte der siebziger Jahre: Alte Fabriken und andere leer stehende Gebäude, die vorläufig nicht mehr verwertbar sind, werden übernommen und umgestaltet zu unabhängigen Politik- und Kulturzentren. Die Centri Sociali setzen somit in veränderter Form eine alte Idee aus der Frühzeit der Arbeiterbewegung fort. Mühelos ließe sich sogar ein Bogen spannen, der die anarchosyndikalistischen Gesellschaften zur gegenseitigen Hilfe, die kommunistischen Volkshäuser und - mit Einschränkungen - sogar das faschistisch kontrollierte Nationale Feierabendwerk (Opera Nazionale Dopolavoro) mit den heutigen Centri Sociali verbindet. Allen gemeinsam ist der Versuch, den Mangel im sozialen und kulturellen Bereich zu überwinden und eine wirkliche Souveränität in der Freizeit zu erlangen. Das ist an sich schon antagonistisch, umso mehr in einer Zeit, in der die kommerzielle Nutzung der Freizeit immer perfekter organisiert wird. Zudem schafft die Selbstverwaltung Räume, in denen sich neue soziale Verhaltensweisen herausbilden können, die der staatlich geförderten Sozialisation entgegenwirken.

So ist es kein Wunder, dass die Centri Sociali ständig um ihre Existenz kämpfen müssen. Räumungen drohen auch den etablierteren Zentren. So wurde zuletzt das seit fünf Jahren besetzte Teatro Polivalente Occupato in Bologna gewaltsam geschlossen - immerhin das einzige Kulturprojekt aus Italien, das beim letztjährigen Weimarer Goethespektakel vertreten war. Die Centri Sociali wehren sich gegen die Repressionen, indem sie sich überregional vernetzen. Auf diese Weise konnten schon mehrfach Neubesetzungen in kürzester Zeit organisiert werden. So existiert das Mailänder Leoncavallo trotz verschiedener Räumungen schon seit den siebziger Jahren an wechselnden Orten.

Über die Jahre haben die einzelnen Centri Sociali unterschiedliche Strategien entwickelt, etwa was verschiedene Bündnisse mit anderen politischen Gruppen betrifft. Angeführt vom Leoncavallo, haben sich in Mailand mehrere Zentren zur »Charta von Mailand« zusammengeschlossen. Ebenso wie die Gruppe der Centri Sociali im Nordosten, wozu etwa das »Pedro« in Padua und das »Rivolta« in Mestre gehören, setzen sie auf eine Politik der institutionellen Vermittlung. Wegen ihrer ständigen Präsenz auf der Straße, können sie sich dabei auf eine relativ starke Position verlassen. So drohte zunächst der selbst ernannte Sprecher der nördlichen Centri, Luca Casarini, auf die Räumung des TPO in Bologna mit Barrikaden und mit Gewalt zu reagieren. Doch nur, um kurz darauf seine Verhandlungsbereitschaft mit den dafür »sensiblen öffentlichen Stellen« zu signalisieren. Offenbar traut er sogar dem Polizeipräsidenten von Bologna diese Sensibilität zu.

Tatsächlich können die Centri Sociali im Norden Tausende von Demonstranten mobilisieren, sei es gegen die OSZE, die WTO oder auch um die Schließung der berüchtigten Auffanglager für Migranten in Turin oder Rom durchzusetzen. Bei solchen Anlässen stellt die Staatseisenbahn sogar eigens Sonderzüge bereit, in denen die Demonstranten gratis zum Einsatzort fahren.

Die nördlichen Centri haben eine eigene Demonstrationsuniform entwickelt: die so genannten tute bianche, weiße Schutzanzüge, die an die Blaumänner auf den Umzügen der Metallarbeiter erinnern, die früher jede neue Tarifrunde einleiteten. Teilweise wird den tute bianche vorgeworfen, als eine Art Alternativpolizei zu agieren. In symbolischen Schaukämpfen mit der echten Polizei würden sie lediglich die längst an höherem Ort ausgehandelten Kompromisse spektakulär aufbereiten. Alle anderen Demonstrationsteilnehmer verkämen dabei zur Manövriermasse.

Dieser Vorwurf ist durchaus berechtigt: Schließlich verhandeln die politischen Führer dieser Centri Sociali oft mit genau den Kräften in Regierung und Kommunalverwaltung, die für die Maßnahmen zumindest mitverantwortlich sind, gegen die sich die Aktionen der Centri richten. Solche postautonomen Zusammenhänge haben auch in Padua äußerst bizarre und widersprüchliche Züge angenommen. Um institutionelle Deckung zu erlangen, dockten die dortigen Zentren zunächst bei Massimo Cacciaris föderalistisch-regionalistischem Movimento del Nord Est unter dem Leitmotiv »Liberare e Federare« an.

Letztes Jahr wechselten dann fast 140 Leute aus der Szene zu den Grünen. Diese waren allerdings bereits an der Regierung beteiligt und führten gerade den »humanitären« Krieg im Kosovo, gegen den vor allem auch die Centri Sociali in ganz Italien demonstrierten. Als mit der Ernennung der grünen Politikerin Grazia Francescato zur Staatssekretärin in der Mittelinks-Regierung der Spielraum für die Bewegungslinken noch enger wurde, liefen Teile der Centri-Szene zur Rifondazione Comunista über.

Die Rifondazione steht derzeit vor der Frage, ob sie sich zu einer Partei der sozialen Opposition erweitern soll, indem sie sich den sozialen Bewegungen öffnet, oder ob sie sich stattdessen in einem größeren linken Wahlbündnis unter Einbeziehung des verbliebenen sozialen Flügels der linken Regierungsparteien und der Gewerkschaftslinken auflösen soll.

Das Leoncavallo und die Zeitschrift Derive Approdi führen mit den Kommunisten eine Debatte um Existenzgeld und neue Repräsentationsformen der virtuellen Arbeit. Dabei handelt es sich um den vorerst theoretischen Versuch, die prekäre Arbeit der Migranten und der Telearbeiter mit Hilfe der neuen Technologien zu organisieren. Diese neue Autonomia läuft allerdings Gefahr, auf ihrer Suche nach Repräsentation und Verhandlungsmacht zu einer sozialdemokratischen Ergänzung neoliberaler linker Regierungspolitik zu verkommen.

So gibt es in der italienischen Centri-Szene einerseits den Willen, auch im großen Stil, über die Besetzungen hinaus, Politik zu machen.Im Leoncavallo wird dies als »ziviler Ungehorsam« bezeichnet, »verstanden als Behauptung des Rechts auf die Konstruktion von Orten politischer Entscheidungen, die im Gegensatz zu denjenigen der ðHerren der WeltÐ stehen«. Daneben gibt es aber noch immer genügend besetzte Häuser und Centri Sociali in Italien, die für sich selbst und ihre Kultur der Verweigerung stehen wollen und auf jede Art der Vermittlung verzichten. Auf eine gute Presse kann diese punkige, anarchistische Version des Widerstands, vor allem in Zeiten einer linken Regierung, allerdings nicht hoffen.