Rassismus in Esquilino

Spaghetti mit Stäbchen

Esquilino ist mit Abstand der interessanteste Stadtteil von Rom. Einige italienische Bewohner würden lieber unter sich bleiben.

Die Sprachen lassen sich gar nicht zählen, wenn man über den Platz läuft. Kinder aus aller Welt spielen auf der Piazza Vittorio, die umgeben von Arkaden in der römischen Altstadt liegt: Afrikanische, asiatische, osteuropäische und natürlich auch italienische bambini toben über das Viereck, junge Frauen verbringen in der Sonne ihre freien Nachmittage. In den verschiedensten Sprachen unterhalten sich junge Paare; an den Ecken treffen sich die Hundehalter, alte Leute verweilen zum Plaudern.

Man könnte es das multikulturellste Viertel von Rom nennen: den Stadtteil Esquilino mit seinen Geschäften voller exotischer Lebensmittel, Holzschnitzereien, orientalischer Gewürze und Medizin. Steine und Stoffe schmücken die Regale und Vitrinen ebenso wie Nippes und Porzellan, gute Stücke und billiger Schund stehen hier direkt nebeneinander. Doch das Wort »multikulturell« klingt zu friedlich, zu harmonisch, als dass es das prekäre Gleichgewicht zwischen alteingessenen Italienern und Immigranten, die zum Teil auch schon seit Jahrzehnten in dem Quartier leben, beschreiben könnte.

Denn trotz der regelmäßigen Nachbarschaftsfeste gibt es unterschwellige Konflikte, die zwar meistens nicht offen zu Tage treten, aber doch immer präsent sind. Und manchmal lautstark artikuliert werden: Drei Kundgebungen gegen die Zuwanderer organisierten Anwohner allein im vergangenen Jahr. Den hübschen Platz verschandelten an diesen Tagen Transparente, die mehr Ordnung forderten, mehr Polizei und mehr Sauberkeit. Offen wurde ein rigideres Vorgehen gegen die »gelbe Gefahr« verlangt. Der Zuzug chinesischer Händler hatte ein Bündnis von rechten Parteien auf den Plan gerufen - die postfaschistische Alleanza nazionale (AN), die christdemokratische Splitterpartei CCD und Teile der rechtsmilitanten Forza Nuova beteiligten sich aktiv an den Protesten.

Dabei war Esquilino schon immer ein Stadtteil, in dem Immigranten lebten. In den sechziger Jahren waren es vor allem Chinesen, die in das Viertel zogen und Ledergeschäfte sowie Lederwerkstätten in den Kellergeschossen der Mietshäuser aufmachten. Selbst italienische Hausfrauen fanden in den kleinen Manufakturbetrieben ein Auskommen - wenn auch in schlecht bezahlter Heimarbeit.

In den achtziger Jahren kamen dann Einwanderer aus Eritrea und Pakistan, aus Indien, Nigeria, dem Senegal und Äthiopien hinzu. Doch vielen Italienern in den großen Mietshäusern passte der Wandel nicht, ein rassistisches Klima bildete sich heraus.

Viele hier beschwören eine chinesische Mafia herauf, während andere - ältere Ladenbesitzer etwa, die zumeist Textilien verkauften - unverhohlen die saftigen Ablösesummen vorziehen und ihre schlecht laufenden Geschäfte an die Zugezogenen verkaufen. Kleinbürgerliche List paart sich so mit einem nur selten anzutreffenden und zudem schwach ausgeprägten Gefühl der Verbundenheit.

Diese Haltung mag an der Geschichte des Stadtteils liegen. Esquilino entstand vor etwas mehr als hundert Jahren, als Rom zur italienischen Hauptstadt erklärt wurde. In die hastig errichteten Mietshäuser zogen Einwanderer aus dem Norden, vor allem piemontesische Angestellte und andere Kleinbürger. Während des Zweiten Weltkrieges befand sich auf der Piazza Vittorio der größte Schwarzmarkt Roms, eine Tradition, die bis heute weiterbesteht: Noch immer gibt es hier einen riesigen Markt, der die Preise niedrig hält - und sogar den Supermärkten Konkurrenz macht.

Sehr zum Missfallen einiger Anwohner. Immer wieder regen sich Italiener über die hygienischen Bedingungen an den Ständen auf. »Das ist die Schuld der Immigranten, die ihre Sitten mit hierher gebracht haben«, sagt eine Zeitungsverkäuferin. »Die schlachten direkt auf dem Markttisch große Fische. Das Blut spritzt überall hin. Und überall lassen sie die Haut und die Innereien liegen.« Hamed dagegen meint: »Wir verhalten uns nicht anders als die anderen.« Und ein Inder, der einen alten Marktstand übernommen hat und jetzt bunte, duftende Gewürze verkauft, stellt klar: »Wenn die Leute von der Hygiene-Aufsicht kommen, hagelt es auch Strafen für die italienischen Händler. Bei uns Ausländern schauen sie nur genauer hin.«

»Und die Chinesen? Wie kommt es, dass es auf einmal Hunderte von chinesischen Geschäften hier gibt?« Cecilia gibt einem Rassismus Ausdruck, den viele hier teilen. »Wer kauft den ganzen alten Ladenbesitzern denn die Geschäfte ab? Vielleicht will jemand uns alle von hier vertreiben, um eine römische Chinatown zu schaffen?«

Die Angeklagten versuchten vor einigen Monaten selbst, eine Antwort auf diese Frage zu geben: Zur Abwechslung waren es nicht die Rechten, sondern römische Chinesen, die im Mai dieses Jahres in Esquilino auf die Straße gingen und Transparente hochhielten mit Aufschriften wie: »Wir arbeiten, ist das ein Verbrechen?«

Ob Aktionen wie diese dem Rassismus im Viertel etwas entgegensetzen können, ist fraglich. Das bezeugen auch die Wahlergebnisse der letzten Jahre: Die rechten Parteien haben langsam, aber stetig Stimmen hinzugewonnen in Esquilino. Die Jugendorganisation der AN in Colle Oppio - einem Teil von Esquilino - hat die Stimmung aufgenommen: In ihrem Hauptquartier agitiert sie auf Versammlungen seit Jahren gegen Obdachlose und Immigranten. Dazu passt, dass in den Achtzigern eine Gruppe Jugendlicher einen Obdachlosen anzündete, der in einem Gebüsch schlief.

Neben den Rassisten gibt es aber auch in Esquilino Gruppen, die den Dialog suchen und versuchen, statt gegen die ausländischen Bewohner etwas gegen den Verfall des Stadtteils zu unternehmen. Rund 20 Bürgerinitiativen setzen sich für die verschiedensten Anliegen ein - und manchmal gelingt es den Gruppen sogar, zusammenzuarbeiten. »Wenn sich ein Stadtteil derartig im Umbruch befindet«, sagt Giulio Russo, der Leiter des Hauses für soziale Rechte, das seit Jahren in Esquilino aktiv ist, »dann ist Unterstützung nötig. Man muss zwischen den Kulturen vermitteln, gegen das Misstrauen vorgehen und die Leute auf das Zusammenleben vorbereiten. Im Gegensatz zu ähnlichen Stadtteilen in Paris, London oder Berlin gab es in Esquilino in den letzten zehn Jahren keine institutionelle Stütze für die Italiener und die Ausländer, die hier leben. In Anbetracht der Spannungen, die immer stärker werden, reicht die interkulturelle Arbeit einer Initiative wie der unseren ebenso wenig aus wie der Populismus.«

Einen wichtigen Teil der interkulturellen Vermittlung leisten auch die Schulen; erst hier beginnen viele Immigranten-Kinder, Italienisch zu lernen. Seit einigen Jahren bieten die Schulen auch Sprachkurse für Erwachsene: »Bei dieser Arbeit haben wir viel über die Lebensgeschichten der Leute erfahren, die sich entschieden haben, hier zu leben. Das versuchen wir an die Schüler weiterzugeben«, erzählt eine Lehrerin. Die Mazzini-Mittelschule nahm die Sprachkurse bereits vor zehn Jahren in ihr Angebot auf, als immer mehr chinesische Kinder die Schule besuchten. Seitdem sind viele andere Schulen dem Beispiel gefolgt.

Doch nicht nur die Entwicklung an den Schulen lässt Hoffnung für den Stadtteil aufkommen. Esquilino liegt im Herzen des Pomerium, der sakralen Stadtgrenze des antiken Rom. Das Wissen über den vorhandenen Reichtum an Geschichte und Kunst könnte mittelfristig auch das Selbstbewusstsein seiner Einwohner heben. »Wir müssen eine Debatte entwickeln, der es gelingt, das Wissen aus der Vergangenheit und der Gegenwart dieses Stadtteils zu sammeln und weiter zu entwickeln«, heißt es etwa in einem Bericht aus der Werkstatt Esquilino, eines Verbandes, dem sich auch Intellektuelle wie Nanni Balestrini, Sandro Veronesi und Giulio Salierno angeschlossen haben. »Die Stadt Rom stellt sich mit Verspätung der Entwicklung zu einer modernen Metropole. In Esquilino ist dieser Prozess am weitesten fortgeschritten. Wir wollen darauf positiv reagieren und Esquilino in eine avantgardistische soziale Werkstatt verwandeln.«

Ella Baffoni gehört zur Chefredaktion der Tageszeitung il manifesto.