Volkstrauertag auf Usedom

Tannenzweige von der NPD

Seit fünf Jahren marschieren am Volkstrauertag auf Usedom alte und neue Nazis auf, um der Toten zu gedenken. Auch letzten Sonntag wieder.

Es ist der dritte Sonntag im November. Volkstrauertag. Die Gedenkstätte Golm auf Usedom liegt still. Nur vereinzelte Kreuze am sanften Hang erinnern noch an die mehr als 23 000 Toten, die am 12. März 1945 Opfer eines Bombardements wurden. Die Stadt, die es damals traf, Swinemünde, liegt heute in Polen und heißt Swinoujscie. Durch die kahlen Zweige sind die Hochhäuser am Hafen zu sehen. Dazwischen ein schmaler Wassergraben: die deutsch-polnische Grenze. Einige hundert Leute, Angehörige der Opfer und Interessierte, die meisten Gesichter alt und stumm, gedenken hier der Toten. Ein Chor tritt auf.

Es ist der dritte Sonntag im November, »Heldengedenktag«. Ein Tag, den es seit 56 Jahren eigentlich nicht mehr gibt. Die Gedenkstätte Golm liegt still. Unter den 23 000 Toten sind auch ungefähr 3 000 Soldaten, die zwischen 1943 und 1945 umkamen. Die meisten von ihnen starben auf Lazarettschiffen vor Swinemünde oder bei Flugunfällen im nahegelegenen Fliegerhorst Garz. Am Golm selbst fiel nie ein Schuss. Zu dem Betonrondell mit der Aufschrift »Daß nie eine Mutter mehr ihren Sohn beweint« ziehen uniformierte Jugendliche. Sie tragen Bomberjacken und Springerstiefel, ihre Köpfe sind rasiert, Kränze halten sie in ihren Händen. Zwischen ihnen laufen alte Männer mit Orden an der Brust. Denn seit fünf Jahren ist der Golm nicht mehr nur eine Stätte stiller Erinnerung und Mahnung, sondern auch eine Stätte völkischen Heldenkults.

Angefangen hatte es kurz nach dem Mauerfall mit Hakenkreuz-Schmierereien. Ein Gorki-Zitat am Eingang der Gedenkstätte wurde zerstört, die Täter wurden nie gefasst. Dann kamen die ersten Nazis, um ihrer »ermordeten Landsleute und Volksgenossen« - wie es auf einem der Blumengebinde heißt - zu gedenken. Sie kamen, als die offizielle Trauerfeier vorüber war. Es waren nicht mehr als fünfundzwanzig.

In den vergangenen Jahren waren es 200 junge und alte Nazis, die am Volkstrauertag aufmarschierten, letzten Sonntag jedoch nur 50. Die meisten kommen aus der Gegend. Sie zeichnen ihre Kranzschleifen mit »Kameradschaftsbund Insel Usedom«, »Nationaler Widerstand Ueckermünde«, »National Germanische Bruderschaft« oder »Freie Nationalisten Usedom«. Auch Tannengrün der NPD liegt mit dabei. Ihre Widmungen lassen keine Zweifel an der rechten Gesinnung aufkommen: »Ein Volk, das solche Helden hat, ist zum Siege bestimmt«, heißt es auf einer weißen Schleife. Oder »Eure Ehre hieß Treue« und »Für Deutschland kämpften sie, für Deutschland starben sie«.

Eine rechte Gesinnung ist unter Jugendlichen in Mecklenburg-Vorpommern inzwischen normal. »Die Lage auf dem Gebiet Mecklenburg-Vorpommern wird nach wie vor geprägt durch eine starke und gewaltbereite Szene junger Menschen, der zahlreiche Skinheads angehören«, heißt es etwa im Extremismusbericht des Schweriner Innenministeriums von 1998. Der Verfassungsschutzbehörde des Landes sind 30 Kameradschaften namentlich bekannt. Rund 1 700 Personen werden dem rechtsextremistischen Lager zugerechnet. Die Dunkelziffer wird weit höher sein. Unterstützt wird die Szene vor allem aus Hamburg und Schleswig-Holstein. Gemeinsame Plattform ist der Landesverband Mecklenburg-Vorpommern des so genannten Bündnis Rechts, der sich im Dezember 1998 in Neustrelitz gründete. Zudem ist auch in Mecklenburg-Vorpommern eine immer größere Einbindung der gewalttätigen rechtsextremen Szene in die NPD zu beobachten. »Diese Entwicklung kann als sicheres Indiz für eine zunehmende Ideologisierung bzw. Politisierung dieser Szene gewertet werden«, heißt es weiter im VS-Bericht.

Die Kränze am Golm sprechen dieselbe Sprache. Auch dieses Jahr konnten die Neonazis ungehindert zu der Gedenkstätte laufen. Das Bundesgräbergesetz sieht vor, dass der Zugang zu Friedhöfen für jeden frei zu sein hat. Reinhard Wegner vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge und zuständig für den Golm, erklärt, rechtlich gebe es keine Handhabe. »Diese Jugendlichen aus dem rechten Spektrum verhalten sich ja nicht renitent. Sie legen lediglich Kränze nieder«, sagt Wegner. Die Polizei sei zwar immer vor Ort und beobachte und fotografiere das Geschehen. Axel Falkenberg zufolge, dem Pressesprecher der Polizeidirektion Anklam, kennt sie auch die meisten der dort aufmarschierenden Jugendlichen. Diese befänden sich unter Kontrolldruck, da sie von der Polizei immer wieder angehalten und durchsucht würden.

Doch zu strafrechtlichen Verstößen kam es am Golm nie. Keine Ausschreitungen, seit Jahren keine Schmierereien mehr. Nur Kränze.

Die werden später vom Verfassungsschutz auf verfassungsfeindliche Symbole untersucht. Wird man nicht fündig, bleiben sie liegen. »Diese rechten Gruppen kennen ihre Grenzen ganz genau. Sie wissen, in welchem Rahmen sie sich bewegen dürfen«, behauptet Falkenberg. Nach unterschiedlichen und unbestätigten Angaben sind in den letzten Jahren nur drei bis fünf Kränze und ein Gestell mit Blumen in Form eines verbotenen Symbols vom Verfassungsschutz entfernt worden.

Konzepte, wie diesem Treiben begegnet werden soll, existieren nicht. Das Innenministerium von Mecklenburg-Vorpommern erklärt den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge für zuständig, Maßnahmen zu ergreifen. Der Volksbund wiederum meint, ihm seien die Hände gebunden. »Solange diese Leute sich im Rahmen des Gesetzes bewegen, müssen wir sie auf die Gedenkstätte lassen«, sagt Wegner. Und ein Versuch von Anwohnern, wenigstens die Blumengebinde nach dem Volkstrauertag wegzuräumen, wurde vor zwei Jahren mit einer Anzeige im Amt Wolgast beantwortet. So beherrschten im vergangenen Jahr noch Monate später das Tannengrün der NPD und die welken Blumen der Kameradschaften das Bild des Friedhofs.