Verlorene Sieger

Der Partido dos Trabalhadores hat seinen Sieg bei den brasilianischen Kommunalwahlen teuer erkauft.

Vor wenigen Jahren noch ein politischer Außenseiter, ist er heute der große Sieger: Brasiliens Partido dos Trabalhadores (Partei der Arbeiter, PT). Nachdem seine Kandidaten im ersten Durchgang der Kommunalwahlen bereits zwölf Millionen Stimmen (14,3 Prozent) erhalten hatten, gewann der PT vor zwei Wochen auch noch sämtliche Stichwahlen, in denen seine Bürgermeisterkandidaten angetreten waren. Im Vergleich zur Wahl von 1996 konnte er seine Stimmenzahl sogar verdoppeln.

16 der 62 Großstädte des Landes werden nach dem 1. Januar von PT-Bürgermeistern regiert. Bislang waren es nur fünf. Insgesamt wird die Partei die Bürgermeister von 187 Städten im ganzen Land stellen. Das bedeutet, dass sie über ein Haushaltsvolumen von 20 Milliarden brasilianischen Reais (zwölf Milliarden Euro) verfügen kann - und mehr Macht in den Großstädten hat als jede andere Partei.

Zwanzig Jahre nach der Parteigründung können sich die PT-Kader nun endgültig den »vier Großen« im Lande zugehörig fühlen. In dieser Zeit hat sich die brasilianische Gesellschaft verändert, und auch der PT hat sich verändert - leider viel stärker als die Gesellschaft. In seinem Gründungsdokument hatte er sich noch als »programmatische Partei« definiert, deren Ziel es sei, »das Ausbeutungsverhältnis zwischen den Menschen zu beenden«. Von europäischen Kaderparteien unterschied er sich durch die Forderungen nach Arbeiter-Selbstorganisation und direkter Demokratie. Als Katalysator für die verschiedenen sozialen Bewegungen im Land wollte der PT sein Augenmerk nicht nur auf die parlamentarische Praxis richten: Die Teilnahme an Wahlen sollte sich dem Ziel unterordnen, »die ausgebeuteten Massen und ihre Kämpfe zu organisieren«.

Davon will der PT heute nichts mehr wissen. Wahlsiege sind zum Selbstzweck geworden. Diesen neuen Pragmatismus belohnt die Wählerschaft mit massenhaftem Zulauf. Dabei profitiert der PT davon, dass er allein schon aufgrund seiner bisherigen Bedeutungslosigkeit kaum in die allgegenwärtigen Strukturen von Nepotismus und Korruption verstrickt ist. In São Paulo wirkte die Kandidatur der aus dem Großbürgertum stammenden Psychoanalytikerin und Sexologin Marta Suplicy wie ein Fanal für die Rückkehr der Ethik in die Politik und gegen den totalen Zerfall des öffentlichen Lebens. Die größte Stadt des Landes wurde in den vergangenen acht Jahren von einer Clique von Stadträten beherrscht, die sich um den Chef der extremen Rechten, Paulo Maluf, versammelten und die Beute unter sich aufteilten.

Marta, wie alle sie nennen, war vor zwei Jahren in der Wahl zum Gouverneur des Bundesstaates São Paulo nur knapp unterlegen, woraufhin sie sofort zu einer der wichtigsten Figuren des PT wurde. Sie ist in ganz Brasilien bekannt, seitdem sie vor zwanzig Jahren auf TV Globo, dem größten Fernsehsender des Landes, eine Frauensendung leitete, in der vor allem das Sexualleben ihrer Zuschauerinnen diskutiert wurde. Für die Konservativen war das ein Skandal. In den letzten Jahren fiel Marta als Abgeordnete im brasilianischen Kongress durch ihren Einsatz für Minderheiten und Menschenrechte auf. Unter anderem setzte sie sich für ein Gesetz ein, das die Strafen für geringe Vergehen senkte, sowie für das Gesetz über Lebensgemeinschaften, das erstmals eine Verbindung von Lesben und Schwulen gestattete.

Aber ihr größter Trumpf war ihr Image als »moderne«, »emanzipierte« Frau, das dazu führte, dass sie unter Jugendlichen zu einer Art Idol wurde und die Bewunderung auch unpolitischer Menschen auf sich zog. In einer Gesellschaft, in der Politik immer weniger die Diskussion von Programmen und immer mehr die Erzeugung von Projektionen in den Massenmedien bedeutet, war Martas Image geeignet, Prozentpunkte einzubringen.

Denn das Image ist es, was zählt. Wie alle anderen Parteien ist der PT zur Geisel der Marktforscher geworden, die eine Schlüsselrolle nicht mehr nur in den Wahlkampagnen, sondern auch bei inhaltlichen Festlegungen der Parteien spielen. Nichts wird mehr gesagt oder diskutiert, ohne dass zuvor eine Umfrage stattgefunden hätte, um festzustellen, was die Wählerschaft hören will.

Die Hauptprogrammpunkte des PT sind heute die Grundrente - eine Idee des US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlers Milton Friedman, der revolutionärer Umtriebe gewiss unverdächtig ist - und einige Varianten davon, wie die so genannte Schultüte. Damit sollen Kinder in der Schule gehalten werden, die ansonsten arbeiten oder ihren Eltern helfen müssten. Oder das Programm »Nochmal anfangen«, das zur Neuqualifizierung von über Vierzigjährigen mit dem Ziel der »Anpassung an die veränderten Anforderungen des Arbeitsmarktes« dienen soll. Mit solchen Vorhaben wird die Partei das Land kaum grundlegend verändern.

Nach und nach verabschiedet sich der PT auch von dem, was ihn während seiner frühen Jahre vielleicht am meisten auszeichnete: vom Kampf an der Seite der sozialen Bewegungen, für die er so etwas wie einen Offenen Kanal darstellte, in dem sie sich mitteilen konnten. Heute spricht der PT seine einstige Mobilisierungsbasis nur noch als Adressaten einer »Einbeziehung der Bevölkerung« und eines »Dialogs mit der Gesellschaft« an. Der Bewegung der Obdachlosen in São Paulo etwa ließ er bestellen, sie möge einen Waffenstillstand schließen und aufhören, verlassene Grundstücke zu besetzen, denn ein solcher Verstoß gegen die Ordnung könne sich nicht auszahlen.

Der PT hat sich in den letzten Jahren zu einer sozialdemokratischen Partei entwickelt, die der Meinung ist, der Kapitalismus sei schließlich doch nicht ganz so schlecht. Bei guter Führung wird der PT in einem so genügsamen Land wie Brasilien seine zivilisatorische Mission fortsetzen können. In der Krisenverwaltung könnte er sich als effizienter erweisen als Brasiliens etablierte bürgerliche Parteien. Das ist der Grund, warum der PT zum Wahlsieger wurde. Zum Verlierer wurde der größte Teil der brasilianischen Bevölkerung.

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