Asyldiskussion und die PDS

Bleiberecht für Ossis

Über die Begrenzung der Zuwanderung sind sich Regierung und Opposition einig. Auch die PDS koppelt nun den Erhalt des Asylrechts an die Quote.

Wer sich auf das Spiel der parlamentarischen Demokratie in Deutschland einlässt, der muss sich an die Spielregeln halten. Und die wichtigste Regel lautet: Wer mitspielt, muss auch gewinnen wollen. Die Grünen verweigerten sich zwar in ihren Anfangsjahren, aber es dauerte nicht lange, da traten jene Parteimitglieder, die das Parlament nur als Bühne für außerparlamentarische Kämpfe nutzen wollten, aus. Oder sie wurden von den Realos vor die Tür gesetzt. Die PDS hielt sich mit solchen Scheingefechten erst gar nicht lange auf und stürzte sich - kaum angekommen in der parlamentarischen Demokratie - umso schneller in den Kampf um Wählergunst und Regierungsposten.

Um bei dem Spiel überhaupt eine Chance zu haben, müssen sich Parteien nach diversen Parametern richten. Der wichtigste Parameter ist - frei nach Marx - die ökonomische Basis der Gesellschaft, also die kapitalistische Organisation der Produktionsweise: Einige wenige Privatpersonen, Konzerne und Kapitalgesellschaften kontrollieren die Produktionsmittel - um Profit abzuschöpfen, der bekanntlich bei der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft entsteht. Weil ihr das in den deutschen Staatsgrenzen vorhandene Menschenmaterial zu schlecht ausgebildet bzw. zu teuer ist, setzt die Wirtschaft respektive das Kapital spätestens seit Beginn der sechziger Jahre auf Arbeitskräfte aus dem Ausland. Deshalb - und weil man beim Export ein gutes Image braucht - ist die Industrie nicht nur an Zuwanderung interessiert, sondern auch daran, dass die ausländischen Arbeitskräfte hier nicht gleich wieder verjagt oder totgeschlagen werden.

Der zweite entscheidende Parameter ist das deutsche Wahlvolk, das leider nicht mit der Bevölkerung identisch ist. Neun Prozent der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland haben - weil nicht im Besitz eines deutschen Passes - bei der Besetzung von Parlamenten und Regierungsposten keine Stimme. Von den übrigen 91 Prozent besitzt etwa ein Sechstel ein geschlossenes rechtsradikales Weltbild. Der Rest findet Hitler zwar nicht so gut, glaubt aber mehrheitlich daran, dass in Deutschland zu viele Ausländer wohnen. Fast alle wünschen sich, dass die Zuwanderung, wenn schon unbedingt nötig, dann bitte durch eine Quotenregelung geregelt werden sollte.

Wer also in Deutschland an die Macht gewählt werden bzw. an der Macht bleiben will, der muss sich mit seiner Ausländerpolitik an diese beiden Vorgaben halten. Entsprechend gering sind die Unterschiede zwischen den bundesdeutschen Parteien - auch wenn es in manchen Dingen durchaus aufs Detail ankommt.

In der Union hat man sich auf Druck der Wirtschaft inzwischen darauf geeinigt, dass Deutschland - besser gesagt: die deutsche Wirtschaft - Zuwanderung braucht. Allerdings wollen weder Edmund Stoiber noch Angela Merkel bei kommenden Wahlkämpfen auf das Mobilisierungspotenzial rassistischer Parolen verzichten. Deshalb haben sie, wie schon Anfang der neunziger Jahre, das Asylrecht ins Visier genommen - mit denselben Argumenten wie damals.

Als sich die Union vor zehn Jahren mit Unterstützung von FDP und SPD an die Abschaffung des Grundgesetzartikels 16 machte, ging es ihr zunächst darum, das individuelle Grundrecht auf Asyl durch ein »abstraktes Grundrecht« zu ersetzen. Die Flüchtlinge sollten so von einem individuellen rechtsstaatlichen Verfahren ausgeschlossen und ihr Schicksal sollte so weit wie möglich in die Hand der Verwaltung gelegt werden. Genau dasselbe bezwecken die Unionsparteien heute mit ihrer Forderung nach einer Abschaffung des Asylgrundrechts zugunsten einer so genannten institutionellen Garantie. Diese »würde eine Überprüfung der Verwaltungsentscheidungen durch besondere Beschwerdeausschüsse statt durch die mit Asylverfahren überlasteten Verwaltungsgerichte ermöglichen«, wie der Bundestagsabgeordnete und CDU-Rechtsaußen Wolfgang Bosbach in einem Strategiepapier der Unionsfraktion schrieb.

Nur diejenigen Ausländer sollen einwandern dürfen, die der deutschen Wirtschaft nützen. Die, die da sind, sollen sich dann aber auch auf die Straße trauen können: »Wer ðdie BestenÐ ins Land holen will, muss ihnen auch ðbesteÐ Aufenthalts- und Arbeitsbedingungen bieten«, heißt es deshalb in dem Unionspapier. Das Ganze steht allerdings unter Vorbehalt, wie Bayerns Innenminister Günther Beckstein in den CSU-Thesen zur Zuwanderungspolitik klarstellt: »Grundlage für das Zusammenleben von Deutschen und Ausländern ist unser europäisch-abendländisches Wertefundament - in den Wurzeln Christentum, Aufklärung und Humanismus - als Leitkultur.«

Dem Vorsitzenden der CDU-Einwanderungskommission, Peter Müller, warf Beckstein in der Welt am Sonntag vor, von seiner ursprünglichen Absicht, das Asylrecht in eine institutionelle Garantie umzwandeln, abgewichen zu sein. Der saarländische Ministerpräsident schwanke in der Asylfrage »angesichts des rot-grünen Gegenwinds (...) wie Schilfrohr«.

Die rot-grüne Regierung wiederum schaffte es nach Übernahme der Amtsgeschäfte im Herbst 1998 nicht, ihre ohnehin nur noch rudimentär vorhandenen liberalen Ansätze in der Ausländerpolitik in die Tat umzusetzen. Die groß angekündigte Abschaffung des Blutprinzips im deutschen Staatsbürgerschaftsrecht blieb in Ansätzen stecken. Inzwischen haben SPD und Grüne sämtliche vor der Wahl angekündigten ausländerrechtlichen Projekte vertagt oder - wie bei der Aufhebung des Arbeitsverbotes für Asylbewerber - derart reduziert, dass sie nicht mehr als Fortschritt bezeichnet werden können.

Weil die Wirtschaft dennoch auf ihre Interessen pochte, zauberte Bundeskanzler Gerhard Schröder im Frühjahr schließlich die Green Card hervor, mit der die Wünsche der IT-Branche fürs Erste erfüllt werden sollten. Das geplante Zuwanderungsgesetz dürfte in dieselbe Richtung weisen - nur dass dann auch andere Wirtschaftszweige in den Genuss gut ausgebildeter ausländischer Arbeitskräfte kommen sollen. Was die Union »Ausländer, die uns nützen« nennt, heißt bei Rot-Grün lediglich anders. »Zugang für Menschen, die wir brauchen«, beschreibt Cornelie Sonntag-Wolgast, Staatssekretärin im Innenministerium, das Konzept. Einziger Unterschied zwischen Unions-Opposition und rot-grüner Regierung: Auf eine neue Asyldiskussion will sich die Mehrheit der grünen und der SPD-Politiker nach den Erfahrungen von 1993 nicht einlassen.

Bleiben schließlich noch die versprengten Patrioten aus der PDS - die der eigentlich an die SPD gerichteten Forderung des CDU-Generalsekretärs Laurenz Meyer, mehr Patriotismus zu zeigen, seit Wochen in vorauseilendem Gehorsam entsprechen. Der Liebeserklärung an Deutschland, die die Vorsitzende Gabriele Zimmer auf dem Parteitag in Cottbus ausstieß, folgten vor zwei Wochen die Zuwanderungsthesen ihrer Stellvertreterin Petra Pau. Der Plan stieß im Vorstand auf breite Zustimmung.

Nach zehn Jahren parlamentarischer Arbeit haben die demokratischen Sozialisten das Niveau der deutschen Debatte erreicht: In einer Forsa-Umfrage aus dem Sommer dieses Jahres waren 59 Prozent der PDS-Anhänger der Ansicht, es gebe zu viele Ausländer in Deutschland. 94 Prozent sprachen sich für ein Zuwanderungsgesetz mit Quotenregelungen aus.

Auch Pau stellt Kategorien auf, wer kommen darf und wer nicht. Abgesehen von Asyl und Familiennachzug soll nur derjenige nach Deutschland einwandern dürfen, der eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nach ortsüblichen Tarifen nachweist oder ein Studium bzw. eine Ausbildung absolviert. Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch muss man da ausnahmsweise einmal Recht geben, wenn er sagt, dass die PDS angesichts jener Wähler, die »auch eine rechte Option« haben, »Verantwortung« trage, das Thema lange vor den Wahlen zu diskutieren. Denn im Vergleich zu den Ansichten der PDS-Wähler sind Paus Vorschläge geradezu fortschrittlich.