Internationaler Klima-Gipfel

Lukratives Luftgeschäft

In Den Haag ging es am allerwenigsten um ein besseres Klima auf Erden. Stattdessen sollte der Startschuss für das internationale Klimageschäft gegeben werden.

Wenn man nicht wüsste, wer er ist, könnte man ihn für den Vorsitz des weltweiten »Climate Action Network« vorschlagen, stellte ein französischer NGO-Vertreter lakonisch fest. Noch nie war Jacques Chirac so ökologisch wie an diesem 20. November. Bei seiner Rede auf dem 6. Klimagipfel am Montag vergangener Woche griff der französische Präsident Forderungen auf, wie sie die Umweltschutzorganisationen zu jedem Klimagipfel in ihren Katalogen stehen haben.

Chirac musste das tun. Als Ratsvorsitzender der EU repräsentierte er in Den Haag eindeutig die »Guten« unter den 160 Staaten, die zusammengekommen waren, um über die Umsetzung des Protokolls von Kioto, des internationalen Klimavertrags, zu debattieren. Doch das Engagement des Ökologen für einen Tag brachte nichts. Keine Woche nach Chiracs Auftritt stand fest: Auch die 6. Internationale Klimakonferenz ist gescheitert. Wieder einmal konnte keine Einigung darüber erzielt werden, wie Klimaschutz international zu organisieren wäre.

Schuld sind - das ist sowohl den meisten offiziellen Teilnehmern als auch den vielen nach Den Haag angereisten Umweltschützern klar - die wirklich Bösen des internationalen Emissions-Geschehens: die Vereinigten Staaten von Amerika. Ihre stur klimafeindliche Haltung sei es, hieß es in vielen Pressemitteilungen nach dem Gipfel, die ein Abkommen unter den Staaten verhindert habe.

Das, worüber in Den Haag verhandelt wurde, hatte wenig mit dem erklärten Ziel von Welt-Klimakonferenzen zu tun: der Reduktion von Treibhaus-Gasen. Gestritten wurde in erster Linie über das Gegenteil: die Maßnahmen im internationalen Klimaschutz, die es ermöglichen, die gesteckten Ziele zu umgehen. Diese Schlupflöcher heißen »Clean Development Mechanism« (CDM), wenn sie in so genannten Entwicklungsländern durchgeführt, oder »Joint Implementation«, wenn sie in Industrieländern eingesetzt werden. Darüber hinaus liefert das internationale Klima-Abkommen die Möglichkeit, in das International Emissions Trading einzusteigen. Und dabei Kontingente für Treibhausgas-Emissionen zu kaufen und zu verkaufen.

Auf diesen Startschuss für das lukrative Klima-Geschäft warten nicht nur die USA. Der Chef der Klimakonferenz und niederländische Umweltminister, Jan Pronk, gab vor dem Gipfel die Richtung vor: »Auch Luft ist ein Wirtschaftsgut, mit dem gehandelt werden kann«, so der Sozialdemokrat. Längst hat auch die europäische Finanzwelt das Klimageschäft entdeckt. Und fürchtet, eventuell den Anschluss zu verpassen: »Deutschland hat versäumt, rechtzeitig den Handel mit den Rechten an Industrie-Emissionen zu fördern. Der Wirtschaft entsteht ein Wettbewerbsnachteil«, titelte die Financial Times Deutschland Anfang November.

Viele Industriestaaten mit hohem CO2-Ausstoß haben nur so eine Chance, ihr nationales Reduktionziel zu erreichen. Dass der Klimaschutz hier zur reinen Rechenaufgabe wird, wissen auch die »Guten« des Geschäfts. Kommt der Handel mit der heißen Luft erst einmal so richtig in Gang, dürfte weltweit kontinuierlich mehr CO2 ausgestoßen werden - und das, ohne gegen das anvisierte internationale Abkommen zu verstoßen. Der Umweltverband Friends of the Earth hat ausgerechnet, dass bei laxer Auslegung der Kyoto-Regeln die Treibhausgas-Emissionen um 20 Prozent steigen könnten.

Während die einen vor allem darüber diskutieren wollen, zu welchem Preis eine Tonne CO2 auf dem Emissions-Markt gehandelt werden soll, steht den anderen das Wasser längst bis zum Hals. »Es gibt keinen Platz, wohin die Einwohner unserer Insel flüchten können«, verkündete Teleke Peleti Lauti, Umweltminister der Inselgruppe Tuvalu, in Den Haag. Da die Inseln kaum über dem Meeresspiegel liegen, droht ihnen wegen allgemeiner Klimaerwärmung unmittelbar der Untergang. Schon jetzt sucht die Regierung nach Rückzugsmöglichkeiten für die Bewohner außerhalb des eigenen Territoriums.

Dass solche Länder des Südens meist zu den kleinen Klimasündern gehören, ist bekannt. Das interessierte aber in Den Haag genauso wenig wie auf den vorangegangenen Klimakonferenzen. Statt nationaler Kontingente fordern die NGOs aus dem Süden deshalb eine Pro-Kopf-Berechnung der Emissionsmengen. In diesem Fall würden die Industriestaaten schlecht aussehen: Obwohl ihr Anteil an der Weltbevölkerung nur ein Fünftel beträgt, produzieren sie ein Drittel der klimaschädlichen Gase.

Die zu reduzieren ist schwer, deshalb suchen vor allem die großen CO2-Ausstoßer wie die USA nach Möglichkeiten, anderswo Gutes fürs Weltklima zu tun: Aufforstungsprojekte, in denen schnellwachsende Bäume als Kohlenstoffspeicher dienen sollen, sollen nach dem jüngsten Vertrags-Vorschlag in der nationalen Klimabilanz eines Staates positiv verbucht werden - auch, wenn lediglich Urwälder abgeholzt und dann durch Baum-Plantagen ersetzt werden. Wald ist Wald, und weil er Kohlendioxid absorbiert, gilt er als Beitrag zur Senkung der Treibhausgas-Mengen. Abgesehen davon, dass eine willkürliche Verteilung solcher CO2-Abzugshauben rund um den Erdball nur bedingt sinnvoll ist, geht diese Rechnung aus einen weiteren Grund nicht auf: Angesichts der weiter anwachsenden Gas-Mengen sagen Wissenschaftler mittlerweile voraus, dass alle Wälder der Welt nur bis 2050 Kohlendioxid aufnehmen werden. Danach werden sie selbst das Gas ausstoßen.

In Den Haag war man sich bis zum Schluss noch nicht einmal einig darüber, was denn nun als richtiger Wald gilt - etwa mindestens 25 Zentimeter hohe Gewächse oder aber auch lose Baumgruppen. Es war dies nur eines der unzähligen technischen Detailprobleme, die nicht gelöst werden konnten. Über das Kleingedruckte muss demnach in Folge-Konferenzen weiterdebattiert werden.

»Der vorliegende Text ist ein Kniefall vor den amerikanischen Wirtschaftsinteressen«, kommentiert Greenpeace den Gipfel in Den Haag. Zweifellos spielen die USA, die mächtigste Ökonomie, eine Schlüsselrolle beim globalen Klimaschutz. Als größter Verursacher von Treibhausgasen haben sie am meisten zu verlieren - und im internationalen Handel mit heißer Luft am meisten zu gewinnen. Nicht umsonst nahmen rund 120 Delegierte aus den USA, so viele wie nie zuvor, am Gipfel in Den Haag teil.

Neben diesem sturen Verhandlungsriesen war es ein Leichtes für die EU, die Rolle der guten Klimaschützer mit besten Absichten zu spielen. »Jeder US-Amerikaner emittiert dreimal so viele Treibhausgase wie ein Franzose«, hatte der Staatsökologe Jacques Chirac empört festgestellt. Was er nicht verrät: Frankreich hat - wie die meisten EU-Länder - seinen CO2-Ausstoß in den letzten zehn Jahren um fast zehn Prozent gesteigert. Und bisher haben nur 29 Staaten das Kyoto-Protokoll ratifiziert - darunter befindet sich kein einziges Industrieland.

Nicht erwähnt hatte Chirac in seiner engagierten Rede auch ein Streitthema der internationalen Klimaschutzgemeinde: die Atomenergie. Da diese Energiequelle keine klimaschädlichen Treibhausgase produziert, wollen Länder wie Kanada oder Australien sie als ausgleichende Maßnahme im Vertrag aufgeführt haben. Solche Emissionsgutschriften könnten auch Frankreich als traditionellen Atomstaat interessieren. Da dürfte es später im real existierenden Klimageschäft kaum noch eine Rolle spielen, dass die EU sich gegen diese Klausel ausgesprochen hatte.