Dienstleistung in der New Economy

Punks machen Putz

Ohne New Economy geht in Berlins neuer Mitte gar nichts mehr. Das machen sich auch einige Punks zunutze. Ihre Dienstleistungsphilosophie: »Wir brauchen Geld.«

In Berlins neuer Mitte jagt eine Innovation die nächste. Kürzlich präsentierte eine Boutique am Potsdamer Platz sonnendurchlässige Badeanzüge, selbstcremende Strumpfhosen und keimtötende Socken. Nicht nur die wundersame Warenwelt in der Hauptstadt wird immer bunter: Das hartnäckige Gerücht, Berlin sei eine Dienstleistungswüste, stimmt schon lange nicht mehr. Wer möchte, kann sich sogar einen Friseur ins Haus bestellen.

Was aber wäre die neue Mitte ohne die New Economy? Eigeninitiative, Kreativität und Selbstbewusstsein sind hier gefragt, betonen Politiker und Wirtschaftsmenschen immer wieder. Erfinde dir deinen Job selbst, lautet die Devise der neuen Selbständigkeit. Julian, Piotr und Lena* sind daher Trendsetter im modernen Zeitalter. Trotz ihres Outfits - denn sie sind Punks. Den ganzen Sommer hindurch putzen sie und ein paar Dutzend Kolleginnen und Kollegen die Windschutzscheiben von Autos. Ihr Arbeitsort sind einige stark frequentierte Ampelkreuzungen in Berlins Innenstadtbezirken. Julian, Piotr und Lena schaffen damit eine ganz neue Branche im Berliner Wirtschaftsleben.

Die Autoscheiben glänzen nach ihrer fürsorglichen Behandlung genauso sauber wie die Fenster der neuen SPD-Zentrale nahe dem Halleschen Tor. Hier - im Schatten der Neuen Mitte - treffen sich die meisten der putzenden Punks. Sie kommen aus Polen, Weißrussland und der Slowakischen Republik. Ein paar Deutsche sind auch dabei, aber nur im Sommer, wenn es nicht so kalt ist.

Bereits während der letzten drei Sommer haben die Scheibenputzer an verschiedenen Kreuzungen gearbeitet. Jetzt wollen ein paar von ihnen auch den Winter über weitermachen. Dabei treibt sie nicht nur die Überzeugung an, Nützliches zu tun. »Wir brauchen Geld«, reduzieren Julian, Piotr und Lena die Dienstleistungsphilosophie auf die Basics menschlicher Bedürfnisse im Kapitalismus. »Ich bin Automechaniker, aber in Polen finde ich keinen Job«, erzählt der 20jährige Julian. Er kommt aus einer Kleinstadt nicht weit der Grenze zu Deutschland. »Dort gibt es absolut nichts zu tun für mich«, meint er. »Außerdem ist es langweilig.«

Die Arbeit an der Kreuzung Linden- und Gitschiner Straße findet Julian hingegen nicht schlecht: »Hier verdiene ich fünfzig oder sechzig Mark in sechs Stunden.« Dazu kommen oft noch Zigaretten, die ebenfalls als Zahlungsmittel akzeptiert werden. Das ist tatsächlich kein übler Stundenlohn im neuen Berlin. Bäckereifachverkäuferinnen am Potsdamer Platz verdienen nicht viel mehr.

Julian, Piotr und Lena haben einen recht lauschigen Arbeitsplatz gefunden. Auf der Gitschiner Straße herrscht den ganzen Tag über reger Verkehr. Jedesmal, wenn die Ampel auf Rot springt, bleiben mindestens fünf Autos stehen. Da die U-Bahn hier auf einer Stelzenkonstruktion direkt über dem Mittelstreifen der vierspurigen Straße entlangfährt, ist der Platz sogar regengeschützt. Beste Ausgangsbedingungen also für die Scheibenwischer.

»Die meisten Leute reagieren eigentlich ganz freundlich«, erzählen die drei. Julian hat heute sogar zwei CDs geschenkt bekommen. Hin und wieder müssen sie sich allerdings ärgern. Manche Autofahrer kurbeln einfach nicht die Scheibe runter, um zu bezahlen, sondern treten aufs Gaspedal, sobald die Ampel grün zeigt.

»Solche Arschlöcher gibt es immer wieder«, erzäht Julian. Manche AutofahrerInnen winken auch gleich ganz entsetzt ab oder rollen genervt mit den Augen, wenn Julian und seine Freunde die Putzutensilien schwenken. Selbst ein freundliches Grinsen kann sie nicht bewegen, einer Scheibenwäsche zuzustimmen.

Scheinbar haben einige der Autobesitzer auch mentale Probleme, sich in der Dienstleistungsgesellschaft einzufinden. So zum Beispiel ein älterer Herr in einem blauen Mittelklasse-Mercedes. Er klammert sich verkniffen ans Steuer, als die drei jungen Polen ihre Putzkellen wie Winkelemente lustig schwenken und während der Rotphase auf die Straße laufen. Dann lässt er kurz das Fenster herunter und wirft Julian mit Wucht ein Markstück fast an den Kopf. Das Bombardement mit Geld entspricht einer Haltung, die viele Autofahrer gestisch andeuten: »Ja, ich gebe dir Kohle, aber lass mich dafür bloß in Ruhe!« »Sie haben Angst vor uns«, kommentiert Julian die Szene. »Dabei wollen wir nur ihre Fenster putzen.«

Mit der Polizei hatten die drei bisher keinen Ärger. Zwar halten sie sich sicherheitshalber zurück, wenn ein Polizeiauto um die Ecke biegt. Aber bisher sind sie von den Ordnungshütern nicht belästigt worden. »Ich habe auch kein Problem mit der Aufenthaltsgenehmigung«, sagt Julian. Er gilt nämlich als Tourist.

Konkurrenzkämpfe um die lukrativsten Kreuzungen gibt es zwischen den vielen Punks angeblich nicht. »Wir verstehen uns mit den anderen ganz gut«, sagt Julian. Probleme hätten sie ein paar Mal nur mit den Punks von der Prinzenstraße ein paar hundert Meter weiter gehabt: »Die haben die Autofahrer hin und wieder angepöpelt. Das schadet uns.«

Der große Vorteil ihres innovativen Gewerbes: Man könne sich seine Kollegen frei aussuchen, so die drei übereinstimmend. »Wir sind einfach gute Freunde«, sagen sie. »Wir machen alles zusammen: Arbeiten, Partys, Wohnen.« Zurzeit kommen die drei in einem Obdachlosenheim unter. »Viele unserer Freunde haben aber eine eigene Wohnung oder pennen bei Freunden.«

Mit ein paar Büchsen Bier und ausreichend Zigaretten kann das Scheibenputzen manchmal fast zur Party werden. Insbesondere am Halleschen Tor ist Frohsinn angesagt. Im nasskalten Novemberwetter ist es allerdings zu ungemütlich, um neben der Arbeit zu relaxen. »Zur Zeit ziehen wir ein paar Stunden durch und hauen dann wieder ab, wenn es zu kalt und dunkel wird.«

Mit der Stadt Berlin und ihrer neuen Mitte haben sie sich also ganz gut arrangiert. »Hier ist auf jeden Fall ziemlich viel los«, findet Julian. »Es ist eine spannende Stadt. In der Kleinstadt in Polen, aus der ich komme, gibt es nur ein Kino. Kannst du dir das vorstellen?« Obwohl er irgendwie durchkommt, ist er nicht wirklich überzeugt von der deutschen Hauptstadt und den Möglichkeiten der neuen Dienstleistungsökonomie. Weiter im Westen ist es besser: Julian kennt zum Beispiel einen Freund in Köln, der dort gleich einen besser bezahlten Job gefunden hat. So toll ist Berlin also dann doch nicht: »Polen ist scheiße, Köln ist gut, Berlin so mittel.«

* Die Namen wurden von der Redaktion geändert.