Übergangsregierung in Peru

Requiem für Fujimori

Nach der Flucht des peruanischen Präsidenten wurde eine Übergangsregierung gebildet, die sogleich 15 Generäle entlassen hat.

Alberto Fujimori spielte gern den starken Mann. »Ich laufe nicht davon, ich fliehe nicht wie andere«, stellte er Ende Oktober klar, als sein Vizepräsident Francisco Tudela den Rücktritt einreichte. Nicht einmal 30 Tage später floh er heimlich aus dem Land und verzichtete im fernen Tokio auf sein Amt. Er scheint seit seiner Kindheit japanischer Staatsbürger zu sein und behält sich vor, auf unabsehbare Zeit im Land seiner Vorfahren zu bleiben. Aus Japan ausgewiesen werden kann er nicht: Es existiert kein Auslieferungsabkommen zwischen Tokio und Lima und somit keine Verpflichtung für den japanischen Staat, Fujimori zurück nach Peru zu schicken.

Als der peruanische Kongress über Fujimoris Absetzung zu befinden hatte, war der Mann, der Peru über zehn Jahre autoritär regiert hatte, für die Mehrheit der Abgeordneten nur noch ein »flüchtender Feigling«. Sein Regierungsbündnis Perú 2000 zerplatzte nach der Flucht des Präsidenten wie eine überreife Frucht: Acht Abgeordnete traten auf der Stelle aus, der Rest steht vor der Spaltung. Der Kongress lehnte in einer historischen Abstimmung den Rücktritt Fujimoris ab und erklärte die Präsidentschaft wegen »permanenter moralischer Unfähigkeit« des Amtsinhabers für vakant. Damit kann der Flüchtling für den Zeitraum von zehn Jahren kein politisches Amt mehr ausüben. Der Druck auf die Regierung war so groß, dass neben Francisco Tudela auch der zweite Vizepräsident Ricardo Márquez auf die Nachfolge Fujimoris verzichtete. Als Totengesang stimmten die siegreichen Abgeordneten ein Lied von der Straße an: »Sie ist gestürzt, sie ist gestürzt; die Diktatur, sie ist gestürzt!« Auf den Plätzen Limas und verschiedener Provinzstädte wurde ausgelassen gefeiert und getanzt.

Fujimoris Nachfolger wurde verfassungsgemäß der amtierende Parlamentspräsident Valentín Paniagua von der oppositionellen Acción Popular (AP). Der 64jährige Verfassungsrechtler gilt als aufrechter Streiter einer parlamentarischen Demokratie. Deswegen einigte sich die Opposition schnell auf ihn, als sie in der Woche zuvor dank des stetigen Zerfalls des Regierungsbündnisses erstmals über eine Mehrheit im Kongress verfügte und so einen neuen Parlamentspräsidenten bestimmen konnte. Paniagua ist die Regierungsarbeit vertraut: Unter dem rechtspopulistischen Präsidenten Fernando Belaunde (AP) war er von 1965 bis 1968 und von 1980 bis 1985 Minister für Justiz und für Erziehung.

Zum Ministerpräsidenten der Übergangsregierung ernannte Paniagua einen Mann, der auch außerhalb der Grenzen Perus bekannt ist: den ehemaligen Uno-Generalsekretär Javier Pérez de Cuellar, der bei den Präsidentschaftswahlen 1995 gegen Fujimori antrat und dabei eine Niederlage einstecken musste. Die Aufgabe der Übergangsregierung wird es sein, zum ersten Mal seit 1990 am 8. April 2001 wieder korrekte Wahlen in Peru zu organisieren und den von Vladimiro Montesinos, dem ehemaligen Leiter des Geheimdienstes Sin, aufgebauten Repressionsapparat zu entflechten.

Zudem steht die Entfernung der korrupten Handlanger des Regimes aus der Justiz an. Hunderte von politischen Gefangenen, die nicht am bewaffneten Kampf teilgenommen haben, sitzen noch im Gefängnis. Tausende von Verfahren gegen Militante der Guerilla-Organisationen Sendero Luminoso und MRTA entsprachen nicht den internationalen Rechtsnormen. Als erste Amtshandlung feuerte die Übergangsregierung am Samstag den Armeechef und 14 weitere Generäle. 13 von ihnen schlossen ihre Ausbildung an der peruanischen Militärschule von Chorrillos zusammen mit Montesinos in der Klasse von 1966 ab.

Präsident Paniagua hat zudem angekündigt, die staatliche Kontrolle der Medien zu beenden. Unter anderem sollen die Unternehmer Baruch Ivcher und Genaro Delgado Parker, beide in die USA exiliert, ihre Fernsehkanäle zurückerhalten, die ihnen die Montesinos-Justiz entzogen hatte. Von beiden sind keine Wunderdinge zu erwarten: Sie unterstützten Fujimoris Putsch von 1992 - bei dem er Panzer auffahren und den Kongress schließen ließ - und gingen erst in dessen zweiter Amtsperiode auf Distanz zum Regime. Dennoch dürfte die Rückkehr von Ivcher und Delgado bewirken, dass es auch wieder kritischere Fernsehsendungen geben wird.

Weder Paniagua noch Pérez de Cuellar wollen bei den kommenden Wahlen kandidieren. Als deren Gewinner fühlt sich offenbar schon Alejandro Toledo, der im letzten halben Jahr einen erfolgreichen Widerstand gegen das untergehende Regime organisierte und gegenwärtig gern ausländischen Staatspräsidenten die Hand drückt. Doch Toledo dürfte es schwer haben, sich unter der neuen Regierung zu profilieren. Der Ausgang der Wahl ist völlig offen.

Die strafrechtliche Verfolgung der beiden wichtigsten Protagonisten des Montesinos-Fujimori-Regimes läuft derweil langsam an. Gegen Montesinos, der vor allem durch Erpressung von Schutzgeldern im Drogenhandel Hunderte Millionen US-Dollar auf seinen Konten angehäuft hat, ist inzwischen ein internationaler Haftbefehl erlassen worden. Wegen Mordes, Folter, illegalen Drogen- und Waffenhandels, Geldwäsche und Veruntreuung von staatlichen Geldern. Montesinos' Aufenthaltsort bleibt allerdings unbekannt. Gerüchten zufolge könnte er sich in Paraguay, Bolivien, Russland oder in Peru selbst aufhalten. Auch dass er bereits tot ist, wird nicht ausgeschlossen.

Gegen Fujimori nahm die Staatsanwaltschaft bereits in zwei Fällen Ermittlungen auf. Erstens will sie untersuchen, ob die Behauptung zutrifft, Fujimori habe im Wahlkampf 1990 eine Spende von einer Million US-Dollar vom Drogenkartell in Medellin erhalten. Im zweiten Fall wird ermittelt, weil der Präsident eine Wohnung des bereits abgetauchten Montesinos durchsuchen und dessen Hab und Gut beschlagnahmen ließ - ohne richterlichen Durchsuchungsbefehl und ohne Staatsanwalt. Damit demonstrierte Fujimori öffentlich, worum es ihm bei der angeblichen Jagd auf seinen Partner tatsächlich ging: um die Vernichtung von Beweisen.

In dieser Situation trat Fujimori die Flucht an und begab sich unbemerkt - mit 30 Kisten im Gepäck - auf den Weg zum Flughafen. Bevor er sich in Japan niederließ, schaute er noch bei der Konferenz der Apec (Asean-Pacific Economic Cooperation) im Sultanat Brunei vorbei und transferierte der peruanischen Zeitung Liberación zufolge bei einem Zwischenstopp in Singapur 18 Millionen US-Dollar auf Konten bei japanischen Banken.

»Ehrlichkeit, Technologie, Arbeit« - so lautete die Botschaft, die Alberto Fujimori im Jahre 1990 den Präsidentensessel sicherte. Zehn Jahre später ist die Arbeitslosenquote in Peru höher denn je. Der Mann, den viele seiner Landsleute einst für »den besten peruanischen Präsidenten aller Zeiten« hielten, institutionalisierte die Lüge und stand dem wohl korruptesten Regime der peruanischen Geschichte vor.