Polizeiärztlicher Dienst und Abschiebungen

Dienst nach Vorschrift

Von Traumatisierungen hat der Polizeiärztliche Dienst keine Ahnung. Er handelt nach der Maxime: Nur ein abschiebetauglicher Flüchtling ist ein guter Flüchtling.

Traumatisierungen als Schutz vor Abschiebung - in Deutschland gibt es das kaum. In Berlin haben es traumatisierte Flüchtlinge besonders schwer, ein Bleiberecht zu erhalten. Sie müssen ihre Erlebnisse der Polizei beweisen und sich vom Polizeiärztlichen Dienst (PÄD) untersuchen lassen.

Seit Anfang der siebziger Jahre ist die Stelle für alle ärztlichen Tätigkeiten zuständig, die bei der Ausländerbehörde so anfallen: die ärztliche Minimalversorgung in den Abschiebeknästen gewährleisten, mittels Gebissuntersuchungen das Alter jugendlicher Flüchtlinge feststellen, Abschüblinge »reisefähig« machen und eben beurteilen, ob eine Traumatisierung gegen eine Abschiebung spricht.

Die besondere Spezialität des Polizeiärztlichen Dienstes ist der Befund: »abschiebetauglich«. Im April 1999 verfügte beispielsweise die Innenverwaltung, alle 800 BosnierInnen, denen ÄrztInnen bereits eine Traumatisierung attestiert hatten, müssten nochmals dem PÄD vorgeführt werden. Das geschah machmal in Handschellen, oft ohne geeignete DolmetscherInnen. Unter solchen Umständen sollten sie dann über ihre Erfahrungen berichten.

Zwar hatte das Verwaltungsgericht im Dezember letzten Jahres entschieden, dass die generelle Überprüfung der ärztlichen Gutachten verfassungswidrig sei. Auch Hartwig Berger, migrationspolitischer Sprecher der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, sieht darin eine generelle Misstrauenserklärung gegenüber den Ärzten und nennt das Vorgehen »abstrus und menschenunwürdig«. Doch die vom CDU-Senator Eckart Werthebach geführte Innenverwaltung sieht das nicht so eng. Das Urteil betreffe nur einen Einzelfall, der Polizeiärztliche Dienst untersucht also munter weiter.

Fast ausnahmslos bescheinigte er den Flüchtlingen entweder, sie hätten überhaupt keine traumatischen Störungen, oder sie könnten auch in ihrem Herkunftsland behandelt werden. Diese Stellungnahmen widersprachen den Befunden unabhängiger ÄrztInnen so sehr, dass das Landesverwaltungsgericht Berlin in über 70 Fällen neue Gutachten in Auftrag gab. Meistens widerlegten sie die polizeiliche Diagnose.

Für Verwaltungsgericht, Ärztekammer und Flüchtlingsrat ist klar: Den PÄD-BeamtInnen fehlt die fachliche Kompetenz. Denn für die Feststellung posttraumatischer Belastungsstörungen muss nicht nur Erfahrung mit Traumatisierten vorhanden sein, sondern auch mit der spezifischen Situation von Flüchtlingen, so Angelika Birck, Psychologin beim Behandlungszentrum für Folteropfer (BZFO). Birck veröffentlichte im Januar eine Studie, in der sie bei 26 Personen die polizeiärztlichen Atteste mit den Stellungnahmen niedergelassener ÄrztInnen verglich. Ihr Ergebnis: Der PÄD bezieht sich nicht auf diagnostische Klassifikationskriterien, die Argumentationen sind in der Regel »widersprüchlich, nicht nachvollziehbar und unverständlich«. Die Argumentationsstruktur diene nur einem übergeordneten Zweck: der Abschiebung.

Kein Wunder. Schließlich ist der oberste Dienstherr der BeamtInnen des PÄD, Innensenator Werthebach, nicht gerade für den Ruf nach offenen Grenzen bekannt. Werthebach ließ sich von der Kritik am Einsatz des PÄD - übrigens eine Berliner Besonderheit - zunächst auch nicht erschüttern. Im Sommer letzten Jahres wurde ein Ermittlungserfahren gegen zwei niedergelassene ÄrztInnen eingeleitet, die Flüchtlingen eine Traumatisierung bescheinigt hatten. Sie sollen »Gefälligkeitsgutachten« ausgestellt haben. Nach Angaben von Eberhard Vorbrodt, dem Sprecher der Arbeitsgruppe Medizin beim Berliner Flüchtlingsrat, wurden außerdem über 600 Krankenakten beschlagnahmt und mehrere PatientInnen beschuldigt, sich den Aufenthalt unter Vorlage falscher Gesundheitszeugnisse zu »erschleichen«. Teilweise waren die Daten der untersuchten Flüchtlinge vom PÄD illegal an die Polizei weitergegeben worden.

Innensenator Werthebach will nun eine andere staatliche Stelle mit den Zweitgutachten beauftragen. Am Ergebnis wird sich dadurch sicher wenig ändern. Der PÄD darf weiterhin mitreden, denn er wird nur von der Aufgabe der Begutachtung traumatisierter Flüchtlinge entbunden, die »Betreuung« der Abschiebeknäste und die Untersuchung von Abschüblingen bleibt in seiner Kompetenz.

Mit dem Plan des CDU-Senators ist aber auch der Vorschlag der Ärztekammer abgelehnt, die Stellungnahmen an unabhängige ÄrztInnen zu übertragen. Eine entsprechende Liste hatte die Ärztevertretung bereits erstellt, schließlich bemüht man sich um eine gütliche Einigung mit der Innenverwaltung. So distanziert sich die Ärztekammer auch von einem Offenen Brief, der Mitte November einen Abschiebestopp für alle traumatisierten Flüchtlinge und die Beschränkung des PÄD auf seine ursprünglichen Aufgaben - die Begutachtung und Versorgung von PolizeibeamtInnen - forderte.

Neben dem Behandlungszentrum für Folteropfer und dem Bund Deutscher Psychologen hatte auch ein Vertreter der Ärztekammer diesen Brief unterzeichnet - sehr zum Ärger des Präsidenten der Kammer, Günther Jonitz. Dieser sieht in dem Text eine unnötige Politisierung »zur falschen Zeit, am faschen Ort«, die die »sachliche Diskussion« nicht voranbringe. Ein Einwand, den Angelika Birck vom BZFO nicht teilen kann: »Man kann doch politisch und sachlich sein. Schließlich ist jede Frage, in der es um Flüchtlinge geht, eine politische.«

Und wenn die traumatisierten Flüchtlinge nun von anderer - vermutlich kaum kompetenterer - Stelle begutachtet werden, so erwarten sie auch dort genug Schwierigkeiten. Nach dem Beschluss der Innenministerkonferenz sollen nämlich nur schwer traumatisierte BosnierInnen ein Bleiberecht erhalten. Eine Messung des Traumatisierungsgrads aber, so Birck, ist gar nicht möglich.

Eine weitere Einschränkung des sowieso nur für zwei Jahre ausgesprochenen Bleiberechts stellt gerade in Berlin ein großes Problem dar. Die Flüchtlinge müssen spätestens seit dem 1. Januar 2000 in psychotherapeutischer Behandlung sein. Diese spezielle Behandlung können aber nur wenige Stellen anbieten, die entsprechend überlaufen sind. Bis zu einem Jahr Wartezeit gibt es beim Behandlungszentrum für Folteropfer, erklärt Birck. »Und viele melden sich schon gar nicht mehr bei uns, weil sie gehört haben, wie lange es dauert.«

Diese Menschen werden es dann vielleicht wieder mit dem PÄD zu tun bekommen, wenn sie auf ihre Abschiebungstauglichkeit untersucht werden. Und da werden dann wieder die bekannten Maßstäbe angesetzt: »Ein paar Stunden Flug kann fast jeder Mensch überstehen«, sagt Psychologin Birck. »Entscheidend ist, ob die Leute auch das verkraften können, was sie bei der Ankunft erwartet.« Aber das hat beim Polizeiärztlichen Dienst noch nie jemanden interessiert.