Bahlsen-Urteil und Entschädigungen

Zwangsarbeit rentiert sich

Vielleicht bekommt die deutsche Wirtschaft die Entschädigungsmilliarden ja doch noch zusammen - aus den Zinsen der eingezahlten Gelder.

Das Gezerre um die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter geht weiter. So wies das Landgericht Hannover am vergangenen Freitag 60 Klagen gegen den Kekshersteller Bahlsen ab - wegen Verjährung. Die osteuropäischen Kläger hatten Schadenersatz und Schmerzensgeld zwischen 10 000 und 50 000 Mark für die Ausbeutung durch den Konzern verlangt, insgesamt beliefen sich die Forderungen auf über eine Million Mark. Doch das Gericht argumentierte, drei Jahre nach Inkrafttreten des Zwei-Plus-Vier-Vertrages seien alle Ansprüche verfallen, schließlich hätten die beiden deutschen und die Außenminister der Alliierten 1990 eine endgültige Friedensregelung gefunden.

Damit ist die Firma Bahlsen fein raus. Zwar hat sich der Konzern mit einer Millionensumme am Entschädigungsfonds der deutschen Wirtschaft beteiligt. Doch bislang wurde noch kein Pfennig der Stiftung »Erinnerung, Verantwortung, Zukunft« an ehemalige Zwangsarbeiter ausgezahlt. Noch vor der Urteilsverkündung letzte Woche hatte ein Gerichtssprecher mitgeteilt, die Kammer werde darüber entscheiden, ob durch das Stiftungsgesetz individuelle Klagen gegen deutsche Unternehmen künftig ausgeschlossen seien. Diese Frage ließen die Richter in Hannover jedoch offen.

»Die drücken sich«, kommentierte der Kölner Anwalt Clemens Grebe das Urteil. Bislang sei gerichtlich nicht geklärt, ob nach dem Inkrafttreten des Gesetzes alle Ansprüche abgeschmettert werden könnten. Schließlich, so Grebe, werde »ein Großteil der Betroffenen ausgeschlossen« von den Leistungen des Fonds. Für Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft etwa sei gar keine Entschädigung vorgesehen. Darüber hinaus hätten viele vor Ablauf der Verjährungsfrist überhaupt nicht erfahren, dass sie Ansprüche geltend machen können.

Den an Bahlsen gescheiterten Klägern bleibt jetzt nur das Warten auf Leistungen aus dem Entschädigungsfonds. Doch wann die ersten Gelder ausgezahlt werden, ist weiterhin unklar. Mit den in Aussicht gestellten Almosen jedenfalls hat sich die Stiftung bereits das Problem der Sammelklagen ehemaliger Zwangsarbeiter vom Hals geschafft - zumindest in den USA: Ein Gericht in New Jersey wies im November 46 Klagen gegen deutsche Unternehmen zurück. Bundesrichter William Bossler erkannte in seinem Spruch das so genannte »statement of interest« an, mit dem Washington im Frühjahr versichert hatte, dass Klagen gegen deutsche Unternehmen nicht im Interesse der US-Regierung liegen. Sämtliche Ansprüche sollten an die deutsche Entschädigungsstiftung gerichtet werden.

Doch in Deutschland lässt man sich mit der Auszahlung Zeit. Zupass kommt der Stiftung dabei, dass die New Yorker Bundesrichter erst am 24. Januar über weiterhin anhängige Klagen gegen die Deutsche, die Dresdner und die Commerzbank entscheiden wollen. Bis dahin bleiben die deutschen Stifter hart: Die ehemaligen Zwangsarbeiter müssten sich bis ins neue Jahr gedulden.

Volker Beck, Bundestagsabgeordneter der Grünen, sieht das anders. Nach der Gerichtsentscheidung in New Jersey hätten deutsche Unternehmen kein Argument mehr, ihre Zahlungen mit dem Hinweis auf fehlende Rechtssicherheit zu verweigern: »Man muss die Unternehmen öffentlich an den Pranger stellen.«

Doch ohne die juristische Garantie, nicht mehr verklagt werden zu können, gibt es kein Geld. So lautet die schlichte Formel, die das Stiftungsgesetz vorschreibt und mit der die Opfer zu Bittstellern degradiert werden. »Die erstmalige Bereitstellung der Stiftungsmittel setzt (...) die Herstellung ausreichender Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen voraus«, heißt es in Paragraf 17. Davon aber, dass die Abweisung aller Klagen Voraussetzung für die Auszahlung sei, stehe im Gesetz nichts, kritisiert Rechtsanwalt Grebe. »Die denken nicht daran, das Unterschriebene einzuhalten.« Die weitere Verzögerung sei »beschämend, weil die zu Entschädigenden alte Leute sind. Wir erleben immer wieder, dass Mandanten sterben.«

Trotz des für die deutsche Seite überaus günstigen Verlaufs der Abweisung von Sammelklagen hat die Wirtschaftsstiftung große Probleme, das zugesagte Geld einzusammeln. Von den fünf Milliarden, die aufgebracht werden sollen, sind bis jetzt erst 3,3 Milliarden Mark eingezahlt - von insgesamt 4 792 Wirtschaftsunternehmen. Mittlerweile zweifelt selbst der Entschädigungsbeauftragte der Bundesregierung, Otto Graf Lambsdorff, ob die deutsche Wirtschaft die fehlenden 1,7 Milliarden Mark noch in den Fonds einzahlt. »Die Antwort der Wirtschaft, das Geld werde da sein, wenn es gebraucht werde, höre ich wohl«, so Lambsdorff, »allein der Glaube daran schwindet bei mir mehr und mehr.«

Um den Mangel zu beheben, forderte die Stiftung im Oktober gar, die Beiträge von Bundesbahn, Telekom und Post nicht den Regierungsmilliarden, sondern dem Wirtschaftsfonds zuzuschlagen, was Finanzminister Hans Eichel ablehnte. Dafür lenkte die Bundesregierung auf anderem Gebiet ein. Sie verzichtete auf die Beteiligung von Ländern und Kommunen, und rund 200 kommunale Unternehmen - so etwa die Stadtwerke Düsseldorf AG, die Mainova AG Frankfurt und die LBK Hamburg - konnten der Stiftungsinitiative der Wirtschaft beitreten. Doch damit nicht genug. Lambsdorff verwies darauf, dass drei Viertel des Gesamtbetrags von 10 Milliarden Mark ohnehin von der öffentlichen Hand gezahlt würden: »fünf Milliarden direkt und 2,5 Milliarden über die steuerliche Abzugsfähigkeit«.

Kein schlechter Schnitt. Zu guter Letzt kritisierte der Sprecher des Bundesverbands Information und Beratung für NS-Verfolgte, Lothar Evers, dass die Stiftungsinitiative für das bereits eingegangene Geld täglich etwa 400 000 Mark Zinsen kassiere, »während die Überlebenden immer weiter vertröstet werden und viele in der Zwischenzeit sterben«.