Vorläufiges Ende des »Ex«

Noch einmal feiern

Gefährliche Orte CXXI: Das »Ex«. Am 24. Dezember steigt hier die vorerst letzte traditionelle Weihnachtsparty. Nie mehr dünner Espresso, warmes Bier, verschämtes Im-Stehen-Pinkeln und ellenlange Diskussionen? Ein Nachruf

Wat machst'n an Heilichabend?« Für die Berliner aus der linken Politszene und all jene Zugereisten, die nicht über die Feiertage zu ihren Eltern nach Süddeutschland fahren, ist diese Frage absolut dämlich. Und überflüssig. Denn seit mindestens einem Jahrzehnt gibt es nur ein Event, das am Heiligen Abend in Frage kommt: die Weihnachtsparty im »Ex«, der Westberliner Szenekneipe schlechthin.

Selbst diejenigen, die längst vor den unendlichen und immer wiederkehrenden Diskussionen um Themen wie Militanz am 1. Mai, den Alkohol- oder Tierkonsum in linken Kneipen, autonomes Selbstverständnis, Vergewaltigungsdefinitionen (wo nix zu diskutieren ist), das Unverständnis vermeintlicher »Normalbürger« oder das Desinteresse der Jugendlichen an »emanzipatorischer Politik« geflohen sind, finden sich hier ein. Mindestens dieses eine Mal im Jahr kommen alle wieder. Kurz vor Mitternacht am 24. Dezember, wenn alle Weihnachtsgeschenke an die Gören in den Kreuzberger und Friedrichshainer Wohn-, Haus- und sonstigen Lebensprojekten verteilt sind und der Anstandsbesuch bei den eventuell in Berlin oder im Umland lebenden Eltern vollbracht ist.

Wenn es nichts mehr zu verlieren gibt, außer ein paar Gramm des gerade gefutterten Weihnachtsschmauses auf der Tanzfläche. Steigt die traditionelle Party »Nightmare on Ex'mas«, herrscht Anwesenheitspflicht. Da werden sogar die erbitterten Feindschaften vergessen, die so manchem nicht nur ein paar Haare oder Nerven, sondern auch den Spaß am linksradikalen Leben gekostet haben. Zwar ziehen sich zunächst die »Ihr-wollt-doch-nur-alle-vereinnahmen«- oder »Kriegt-ihr-erstmal-was-auf-Reihe«-Fraktionen in ihre finsteren Ecken zurück. Aber das nützt ihnen sowieso nichts, weil es viel zu laut ist, um sich zu unterhalten. Also tanzen irgendwann - wenn die Nacht am tiefsten und der Tag am nächsten ist - Kreuzberger Altautonome mit AABlern, Friedrichshainer Ex-Hausbesetzer mit hippen Cultural-Studies-Sex'n-Gender-Theoretikern auf Rage Against the Machine und Beastie Boys, NDW und Drum'n'Bass, oder was auch immer laufen mag. Zum Beispiel passend zum Anlass: »We are family.«

Aber diese besondere, durchaus sympathische Weihnachtsstimmung wird nur noch ein einziges Mal geboten. Danach ist Schluss. Ende Januar macht nach Lage der Dinge das linksradikale Zentrum der Stadt, das »Ex« im Mehringhof, dicht. Der Laden, in dem seit mehr als 20 Jahren bestimmt Tausende Veranstaltungen abgehalten und fast ebenso viele Theorie-Ansätze erst diskutiert und dann wieder verworfen wurden, rechnet sich einfach nicht.

Das liegt weniger am Umsatz - die 320 Quadratmeter große Kneipe ist zumeist gut gefüllt, und die Preise entsprechen durchaus dem Berliner Durchschnitt -, sondern an der unübersichtlichen Struktur. Jeder und jede verlässt sich irgendwie auf jeden und jede. Seitdem das damalige Kneipenkollektiv 1998 mangels finanzieller Perspektive aufgegeben hat, wird das »Ex« von diversen Szenegruppen in multipler Verantwortung betrieben. Dabei hätte das Modell »Viele Leute engagieren sich ein bisschen« sogar funktionieren können - wenn genug mitgemacht hätten, sagt ein Aktivist. Auch das andere Modell »wenige Leute engagieren sich stark« hätte klappen können - aber wer will sich schon für nichts den Arsch aufreißen?

Die Hobbykneipiers haben aber nicht nur ein strukturelles, sondern auch ein finanzielles Problem. Vor allem bei den Einnahmen tat sich ganz überraschend so manches Loch auf, weil Tresenkräfte nicht nur sich, sondern auch Freunde und Genossen versorgt haben, ohne dass etwas in die Kasse kam. Für die umsonst arbeitenden Leute am Tresen sicherlich ein verdienter Ausgleich für so manche Stunde, die sie im verqualmten Raum bei schlechter Musik verbringen müssen.

Aber für den Szene-Laden offenbar zuviel des Goodwill. Immerhin muss das Unternehmen knapp 4 000 Mark Miete monatlich erwirtschaften, weil die Quadratmeterpreise im linken Projekte-Zentrum, das auch wie ein stinknormaler Gewerbehof funktioniert. Selbstbestimmung im Kapitalismus - das ist eben doch nicht so leicht zu verwirklichen, wie es sich so mancher erträumt.

Mit dem »Ex« verschwindet aber nicht nur eine der letzte Nischen der von den achtziger Jahren geprägten Autonomen - es verschwindet auch ihr Serviceverständnis: Die Klos sind so uneinladend, dass nur Suizidgefährdete der permanent vorgetragenen Aufforderung zum Im-Sitzen-Pissen folgen. Und wer einen Espresso bestellt, bekommt für zwei Mark eine dünne Brühe, die zwar einem Kardiologen schmecken dürfte, aber einen Italiener mindestens 20 Mal das Wort »cazzo« benutzen lässt. Das Bier ist oft warm - zumindest auf den Parties. Und wer eine Boulette haben will, kriegt einen undefinierbaren Burger aus zermatschtem Gemüse - mit Sicherheit aus kontrolliertem biologischen Anbau. Wer einmal etwas anderes bestellt als ein Beck's oder einen Milchkaffee, sollte Zeit mitbringen und zweitens gut aufpassen. Denn mitunter kann man bei der Nachbestellung seines ausgefallenen Lieblingsgetränkes - ob nun Sekt, Tee, Kiba oder Grapefruitsaft - den ehrenamtlichen Tresenkräften Tipps geben, wo sie suchen müssen und was der ausgefallene Spaß kostet.

Und wer seinen Ärger über ein Plenum, den Service oder sonstwas mit einem Whiskey runterspülen will, sollte das lieber woanders tun. Im »Ex« muss man schon mal froh sei, wenn für vier Mark 50 der Boden des Glases benetzt ist. Das »Ex« ist halt mehr ein Austellungsraum für die aktuellsten politischen Plakate, Flugblätter und Szeneblättchen denn eine klassische Kneipe, in der man sich bloß wohlfühlt. »Wir wollen eben den Hardalk-Konsum nicht fördern«, heißt es.

Ein paar Kilometer weiter wird der Kneipenalltag etwas gelassener gesehen. Der »Bierhimmel« in der Oranienstraße tritt den Beweis an, dass guter Geschmack und relativ günstige Preise einander nicht ausschließen. Für fünf Mark schenkt hier der Barkeeper das Whiskey-Glas schon mal randvoll, der cremige 15-Sekunden-Espresso kostet nur schlappe »Einsfuffzich«. Und im angenehm hellen Licht kann man Zeitungen oder Flugis lesen, ohne mit Achtziger-Jahre-Punkrock bedröhnt zu werden.

Natürlich wäre der »Bierhimmel«, selbst wenn es die Besitzer wollten, viel zu klein für Szene-Veranstaltungen oder gar »Vollversammlungen«. Diese erfüllen nicht nur - wenn es gut läuft - ihren Politzweck, sondern garantieren zumeist einen gewissen Fun-Faktor. Und deshalb wäre es schon schade, wenn sich bis zum 31. Januar kein »neues, gastronomieerfahrenes (Kneipe und Küche) Kollektiv (nichthierarchische Gruppe)« findet, das derzeit fieberhaft vom Mehringhof gesucht wird, um den Fortbestand des Szenetreffpunkts zu sichern. Dann würden sich hier nicht mehr Nachwuchslinke im Teenie-Alter mit Dosenbier und Döner vom benachbarten Imbiss einfinden, und kein Altautonomer könnte Termine, die kaum noch jemanden interessieren, an die große Info-Tafel neben dem Tresen malen.

Schwierig aber wird es, die Bedingungen des Mehringhofes zu erfüllen. Das noch nicht gefundene neue Kollektiv soll »sich als Teil der linken Infrastruktur begreifen und auch ein finanziell tragfähiges Konzept vorlegen«. Wie schön wäre doch eine linksradikale Sushi-Bar. Fisch für alle! Das wäre nicht nur gesund, sondern würde auch die anstrengenden Diskussionen mit den noch anstrengenderen Vegan-Fanatikern beenden. Außerdem entspräche das durchaus einem traditionellen Vokü-Motto: Ohne Mampf kein Kampf!