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Der viel gepriesenen US-Ökonomie geht die Luft aus. Die schlechten Aussichten der New Economy beschleunigen die Rezession.

Das gab es noch nie. Am 3. Januar 2001 sieht sich Alan Greenspan, Chef der amerikanischen Zentralbank, genötigt, vier Wochen vor dem regulären Sitzungstermin die Zinssätze für Tagesgeld um 0,5 Prozent zu senken. Innerhalb von 48 Stunden folgt der zweite Einsatz Greenspans zur Rettung der US-Konjunktur und der schlingernden Aktienmärkte. Noch einmal wird der Leitzins nach unten korrigiert.

Dem Chefanalysten der Deutschen Bank, Norbert Walter, ansonsten bekannt als notorischer Gesundbeter, schwant angesichts so viel hektischer Betriebsamkeit nichts Gutes. Auf n-tv munkelt er davon, Greenspan habe mit seinem Nachschlag wohl auf brandneue, noch nicht an die Öffentlichkeit gebrachte Hiobsbotschaften aus den heimischen Chefetagen reagiert.

Schon die offiziellen Eckdaten sind eindeutig. Nach zehnjährigem Dauerboom geht der überall als Vorbild gepriesenen US-Wunderökonomie die Luft aus. Im letzten Jahr lag das US-Wirtschaftswachstum bei exakt fünf Prozent. Mittlerweile sank es um mehr als die Hälfte. Gewinnwarnungen allerorten, die Lagerbestände türmen sich. Insbesondere in der US-Automobilindustrie sind bereits erste Entlassungen angekündigt. So will General Motors 15 000 Stellen streichen. Nach Jahren sprunghaft steigender Kurse hat der Dow Jones über das Jahr 2000 gerechnet 6,2 Prozent seines Wertes eingebüßt.

Nicht wenige Kommentatoren werten diese Entwicklung als eine Art Normalisierung. Auch im Mutterland der New Economy schießen die Bäume nicht mehr in den Himmel, so der Tenor. Tritt die US-Ökonomie - und mit ihr die gesamte Weltwirtschaft - nach einer Überhitzungsphase tatsächlich nur in einen Konsolidierungsprozess ein?

Wenn die angeblich so dynamische US-Wirtschaft im Vergleich zum angeblich verkrusteten Europa zur Jahreswende kein besonders gutes Bild mehr abgibt, so hat das vornehmlich einen Grund. Der USA droht eine schwere Rezession, weil der Internet-Kapitalismus ins Trudeln geraten ist. Mit einigen Monaten Verzögerung schlägt die anhaltende Baisse auf den Neuen Märkten auf die Realwirtschaft durch.

Diese Entwicklung muss zunächst einmal das Land am stärksten treffen, das wie kein anderes auf die scheinbar unbegrenzte Wachstumsdynamik der so genannten Zukunftstechnologien gesetzt hat. Im ersten Quartal 2000 erreichte die Börsenkapitalisierung des Nasdaq, der US-Börse für neue Technologie-Unternehmen, bereits 60 Prozent des amerikanischen Bruttosozialprodukts. Da ist es kein Pappenstiel, wenn der Index, über das Jahr gerechnet, 40 Prozent einbüßte und sich 2,4 Billionen Dollar - das entspricht immerhin dem kompletten deutschen Bruttosozialprodukt - in Nichts auflöste.

Die relativen Verluste an den Neuen Märkten in Europa und Japan fielen nicht weniger dramatisch aus. Der Nemax etwa, das deutsche Pendant zum Nasdaq, stürzte von seinem Höchststand von 9 632 Punkten im März vorigen Jahres auf unter 2 800 Punkte, und das Ende der Talfahrt ist auch hier nicht abzusehen. Die Aktien des ostdeutschen Hoffnungsträgers Intershop beispielsweise, im März für satte 140 Euro gehandelt, sind mittlerweile für acht Euro zu haben.

Auch hierzulande verschwinden die ersten Anbieter von der Bildfläche. LetsBuyit.com hat am vergangenen Freitag sein Internetportal geschlossen. Nachdem die Aktie am 4. Januar noch einmal mehr als ein Viertel ihres Werts verloren hatte, ließ die Firmenleitung offenbar alle Hoffnungen fahren.

Am letzten Börsentag der ersten Januarwoche haben auch andere noch einmal heftige Schläge einstecken müssen. Consors, eine der führenden Firmen am Neuen Markt, verlor am letzten Freitag rund 18 Prozent und der Nemax insgesamt sechs Prozent. Vor ein paar Jahren hätte man bei solchen Nachrichten wohl noch das Wort Crash in den Mund genommen.

Der große Einbruch war überfällig. In der New Economy wird Geld durch umfängliche Geldvernichtung verdient. Sie beruht auf dem sturen Glauben, dass Firmen, die heute in möglichst großem Stil Kapital verbrennen, sich damit den Zugang zu den Superprofiten sichern können. Diese werde man demnächst mit Internet, Handys der nächsten Generation und dem genetischen Erbe erwirtschaften können. Wehe, wenn für zu viele Firmen diese Perspektive in weite Ferne rückt oder sich als Fata Morgana erweist.

In früheren Phasen des kasinokapitalistischen Booms haben Skeptiker immer auf die groteske Überbewertung der Aktien hingewiesen. Ein Indikator dabei war das Kurs-Gewinn-Verhältnis. Das hatte sich im Vergleich zum fordistischen Niveau bei sämtlichen Bluechips im Laufe der achtziger und frühen neunziger Jahre vervielfacht.

Angesichts der New Economy, der neuen Stufe der Entkopplung von fiktiver und realökonomischer Verwertung, wirken solche Warnungen im Nachhinein fast rührend. Kaum einer der Hoffnungsträger des Neuen Markts hat je schwarze Zahlen geschrieben. Ihre Glaubwürdigkeit wird am Verhältnis von Börsenkapitalisierung und Umsatz gemessen, also daran, ob die spekulativen Gelder überhaupt in den Ausbau des Geschäfts geflossen sind oder anderweitig verknuspert werden. Bei Firmen wie Aixtron oder Qiagen, die im letzten halben Jahr mit leichteren Blessuren davonkamen, liegt der Börsenwert immer noch beim Zwanzigfachen des Jahresumsatzes.

Tatsächlich hat die glorreiche New Economy wenig zur offiziellen »Wertschöpfung« und noch weniger zur Beschäftigung beigetragen. Dennoch lässt sich der Kursverfall des letzten Dreivierteljahres keineswegs als bloßes Anlegerproblem behandeln. Die zweite Stufe der Kapitalisierung von Zukunftserwartungen ist indirekt durchaus für die exorbitanten Wachstumsraten der US-Konjunktur verantwortlich und sie hat die Weltwirtschaft insgesamt auf Touren gehalten.

Die enormen Zuwächse bei den Aktienkursen ermöglichten es einerseits den Anlegern, ihren privaten Konsum zu steigern. Die von den New-Economy-Firmen getätigten Investitionen brachten anderseits auch und vor allem den traditionellen Industrien Aufträge. Die quasi aus dem Nichts geschaffene, auf bloße Erwartungen gegründete Aufwärts-Dynamik droht jedoch bei dauerhaft sinkenden Kursen mit derselben Geschwindigkeit wieder abzustürzen.

Dass die Kapitalisierung von ungedeckten Zukunftsträumen einen geographischen Namen hat, nämlich Amerika, verleiht dem Ganzen noch zusätzliche Brisanz. Seit den Reaganomics funktionieren die USA als gigantischer Geldkapitalmagnet. Der New-Economy-Schub hat den Wirkungsgrad dieser Kapitalansaug- und -vernichtungsmaschine aber erheblich gesteigert. Die Dynamik fiktiver Kapitalschöpfung an den US-Börsen war in den letzten Jahren so stark, dass dank der Besteuerung von Börsenprofiten und spekulativ induzierten Unternehmensgewinnen das gigantische US-Haushaltsdefizit völlig verschwand und seit 1997 Überschüsse anfielen.

Dieser Erfolg wurde allerdings mit einem exponentiellen Wachstum des Leistungsbilanzdefizits bezahlt. Das kletterte von 51 Milliarden Dollar 1992 auf über 230 Milliarden 1998 und dürfte 2000 fast eine halbe Billion erreichen. Würde der Zufluss frischen Kapitals in die USA versiegen, die amerikanische Wirtschaft müsste unweigerlich ins Bodenlose stürzen. Nicht nur die Gesamtschuldenlasten der Unternehmen und Privaten von zwölf Billionen Dollar sind dabei ein Problem, sondern vor allem auch die extrem hohe Außenverschuldung.

Diese Ausgangslage macht die Aufgabe, vor der die US-Geldpolitik heute steht, nicht gerade einfach. Per Zinssenkung muss sie zusätzliche Liquidität schaffen, um das Kursniveau zu stabilisieren und den konjunkturellen Abschwung zu bremsen. Nur wenn die in die US-Wirtschaft gesetzten Hoffnungen irgendwie fortgeschrieben werden können, wird es gelingen, weiterhin genug anlagewilliges Kapital in die Staaten zu locken.

Gleichzeitg muss der Zinsabstand gegenüber der Konkurrenz gewahrt bleiben, um eine Umkehr der Kapitalströme zu vermeiden. Schon wegen ihrer Eigeninteressen dürften die europäischen Kollegen sich im Notfall dazu bewegen lassen, zinspolitisch nachzuziehen. Asien und Europa sind von der amerikanischen Geldvernichtung so abhängig wie die heimische traditionelle Wirtschaft. Die Möglichkeiten, mit geldpolitischen Instrumenten die Profitabilität der New Economy zu simulieren, dürften sich jedoch als begrenzt erweisen.