Deutsche Untersuchungen argentinischer Verbrechen

Von nix gewusst

Das Bundesjustizministerium will helfen, Verbrechen der argentinischen Militärdiktatur aufzuklären. Um die deutsche Rolle geht es dabei vorerst nicht.

Auf einmal tut sich was. »Ich teile Ihre Forderung nach Wahrheit und Gerechtigkeit.« Mit dem Brustton rechtsstaatlicher Überzeugung versicherte Bundesjustizministerin Hertha Däubler-Gmelin (SPD) vor einigen Tagen, sie unterstütze die Aufklärung der Morde an linken Oppositionellen deutscher Staatsbürgerschaft in Argentinien zwischen 1976 und 1983 aus vollem Herzen.

Angehörige der Opfer der argentinischen Militärdiktatur konnten es kaum glauben. »Nach 25 Jahren in der Wüste sehe ich eine Oase«, sagte die 78jährige Ellen Marx. Die in Berlin geborene Jüdin floh 1939 nach Argentinien. Dort lebt sie bis heute. Ihre Tochter Nora, eine linke Gewerkschafterin, wurde im August 1976 in der Hauptstadt Buenos Aires von Militärs entführt. Bis heute weiß Frau Marx nicht, was mit der damals 28jährigen geschah. Sie zählt zu den 30 000 Menschen, die die Militärs nach dem Putsch vom 24. März 1976 ermordeten oder »verschwinden« ließen.

Auch die Angehörigen von Elisabeth Käsemann schöpfen Hoffnung. Die in Gelsenkirchen geborene Aktivistin war im Mai 1977 in Buenos Aires ermordet worden, nachdem sie mehr als acht Wochen lang von den Militärs in Folterlagern gequält worden war. Sie hatte sich Ende der sechziger Jahre in Berlin in der Apo engagiert, 1968 ging sie nach Lateinamerika, um dort in linken Basisgruppen zu arbeiten. Nach dem Putsch der Generäle in Argentinien arbeitete sie in einer Passfälscherwerkstatt, um gefährdete Oppositionelle außer Landes zu bringen.

Obwohl Zeugen inzwischen schlüssig belegt haben, welche Militärs für die Ermordung Käsemanns verantwortlich sind, bleiben diese straflos, ebenso wie die Mörder von Nora Marx und den meisten der anderen Opfer. Weil Amnestiegesetze eine Strafverfolgung weitgehend verhindern, haben neben den Angehörigen Käsemanns und Marx' neun weitere Verwandte ermordeter deutscher Staatsangehöriger in den letzten zwei Jahren Strafanzeigen in Deutschland eingereicht. Denn nach Paragraf 7 des Strafgesetzbuches können Täter belangt werden, die im Ausland Straftaten gegen deutsche Staatsbürger begangen haben. Der Bundesgerichtshof hat die Fälle bereits akzeptiert, sie aber an die Staatsanwaltschaft Nürnberg weitergeleitet. Hundert weitere Fälle sind bekannt und warten noch auf ihre Rekonstruktion.

»Uns geht es um die Aufarbeitung der Diktaturverbrechen«, erklärt Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck aus Berlin, der Ellen Marx vor Gericht vertritt. »Keineswegs wollen wir eine Privilegierung deutscher Opfer«, baut er möglichen Bedenken vor. »In diesen Fällen haben wir eben die Möglichkeit über den Umweg der deutschen Strafjustiz an die Täter in Argentinien zu kommen.«

Ganz so einfach scheint das aber nicht zu sein. Das Erstaunen der Angehörigen über die Unterstützung der Justizministerin hat Gründe, denn bisher taten sich die deutschen Stellen eher durch das Gegenteil hervor. Im März letzten Jahres schlitterte Staatsanwalt Walther Granpair, der mit den Fällen betraut ist, haarscharf an einem Skandal vorbei. Ohne überhaupt ermittelt zu haben, wollte er das Verfahren von Marx sowie dreier weiterer jüdisch-deutscher Opfer einstellen. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg sei dafür »nicht zuständig«, weil nicht geklärt sei, ob die Opfer deutsche Staatsangehörige gewesen seien.

Noch im Nationalsozialismus war Ellen Marx 1941 die Staatsbürgerschaft entzogen worden. Zwar ließ sie sich 1964 wieder einbürgern, ihre Tochter Nora und deren jüdischer Vater aber hatten da bereits die argentinische Staatsbürgerschaft angenommen. Erst nach internationalen Protesten konnte die Nürnberger Staatsanwaltschaft letztes Jahr überzeugt werden, das Verfahren weiter zu führen. Denn hätten die Nationalsozialisten Ellen Marx nicht unrechtmäßig ausgebürgert, wäre Nora deutsche Staatsbürgerin, argumentiert Anwalt Kaleck.

Auch die Familie Käsemann hat die deutschen Behörden nicht in guter Erinnerung. So antwortete die deutsche Botschaft in Buenos Aires drei Wochen nach Elisabeths Entführung 1977 auf eine Anfrage ihres Vaters, dass »eine Dame Käsemann« »nicht bekannt« sei - und das, obwohl sie kurz zuvor einen Pass beantragt hatte. Als Ernst Käsemann Hinweise erhielt, seine Tochter sei im Campo Palermo gefoltert worden, und diese Hinweise ans Auswärtige Amt weiterleitete, lautete die Antwort: »Ein Lager dieses Namens ist uns nicht bekannt.« Selbst auf das Angebot der Militärs, sie zwei Monate nach ihrer Entführung gegen Kaution freizulassen, reagierten die Mitarbeiter des deutschen Botschafters Jörg Kastl nicht.

Wie weit die Zusammenarbeit der deutschen Botschaft mit den Militärs wohl ging, macht der Fall von Major Peirano deutlich. Unter diesem Namen arbeitete ein Offizier des argentinischen militärischen Geheimdienstes in der deutschen Botschaft und kümmerte sich um die Familienangehörigen verschwundener deutschen Staatsbürger. Seinen Posten nutzte er, um den Freunden und Bekannten der Opfer Fragen zu stellen, wahrscheinlich, um Informationen an das Militär weiterzugeben. Als Esteban Cuya, Koordinator der Koalition gegen Straflosigkeit, 1998 Beamte des Auswärtigen Amtes auf die Rolle von Major Peirano ansprach, bestritten sie, über seine Existenz informiert zu sein. Erst ein Jahr später räumte das Ministerium die Zusammenarbeit ein, die aber lediglich dazu gedient habe, den Angehörigen zu helfen, wie ein Sprecher letzte Woche sagte.

Die wahre Identität des Majors legt andere Schlüsse nahe. Denn nach Recherchen der argentinischen Zeitung Página 12 handelt es sich bei ihm um Carlos Antonio Españadero, der mit dem Bataillon 601 in Verbindung stand, das auf zersetzende Operationen wie die Infiltration von Widerstandsgruppen spezialisiert war.

Im Exil schrieb der argentinische Schriftsteller Osvaldo Bayer schon 1982: »Unter den westlichen Ländern war und ist die Bundesrepublik Deutschland der beste Freund und Helfer der Militärdiktatur.« Ob das Anliegen der Justizministerin Däubler-Gmelin, für »Wahrheit und Gerechtigkeit« zu sorgen, auch die Aufarbeitung der Vergangenheit umfasst, muss sich erst noch zeigen.