Wahlkampf in Italien

Viele bunte Christen

Egal, wem die Italiener bei den Parlamentswahlen ihre Stimme geben, die Nachfolger der Democrazia Cristiana werden in der Regierung vertreten sein.

Wer sich nur gelegentlich mit der italienischen Innenpolitik beschäftigt, wird sich vielleicht anlässlich der am 13. Mai stattfindenden Parlamentswahlen fragen, was aus der Democrazia Cristiana (DC) geworden ist, jener Partei, die am längsten ein westeuropäisches Land regiert hat. Von 1946 bis 1992 ging sie aus allen Wahlen mit einer relativen Mehrheit hervor und regierte stets mit kleineren Koalitionspartnern.

Außer Giovanni Spadolini und Bettino Craxi in den achtziger Jahren gehörten sämtliche Ministerpräsidenten der DC an, darunter Alcide de Gasperi, Amintore Fanfani, Aldo Moro, Giulio Andreotti, Francesco Cossiga und Ciriaco de Mita. Die Partei galt als »politischer Arm« des Vatikans. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit beschwor sie die »politische Einheit der Katholiken« und war den USA ein treuer Partner.

Die DC war die perfekte Volkspartei der fordistischen Epoche, sie stellte im Wesentlichen eine gewaltige Umverteilungs- und Konsensmaschine dar, die mit dem Lande selbst verschmolz. Das auf alle Gesellschaftsbereiche ausgedehnte Klientelsystem ebnete den Weg zum italienischen Wohlfahrtsstaat und stellte gleichzeitig sicher, dass alle wenigstens ein bisschen am italienischen Wirtschaftswunder teilhaben konnten.

Die immer in verschiedene Flügel gespaltene DC hatte jeder sozialen Schicht der Gesellschaft und jedem Landesteil etwas zu bieten. Das Spektrum der Anhängerschaft reichte von ehemaligen Faschisten bis zu radikaldemokratischen Linkskatholiken, von Teilen der sizilianischen Mafia bis zu prominenten Mafiagegnern.

Die Partei gerierte sich als Bollwerk gegen den Kommunismus, bezog aber in den siebziger Jahren die kommunistische PCI praktisch in die Regierung ein. In der Kultur- und Sittenpolitik allerdings blieb sie reaktionär und wurde von den gesellschaftlichen Ereignissen seit den sechziger Jahren überrollt. Das war einer der Gründe für die langsame, aber unaufhaltsame Erosion ihrer heterogenen Wählerschaft. Aber auch der wachsende Unmut der »starken Mächte« Italiens wegen der gigantischen Kosten der christdemokratischen Regierung, förderten den Verfall des DC-Apparates.

Solange jedoch die einzige Alternative in der Kommunistischen Partei (PCI) bestand, wurde die DC immer als das kleinere Übel vorgezogen. So lautet auch ein geflügeltes Wort in Italien: »Wir werden als Christdemokraten sterben.« Das sollte sich nach 1989 und der Umwandlung der PCI in die PDS ändern. Infolge der richterlichen Untersuchungen 1992 und 1993, die zu einer allgemeinen Parteienkrise führten, wurden fast alle hohen DC-Funktionäre der Korruption, einige der Zusammenarbeit mit der Mafia oder sogar des Mordes angeklagt.

In dieser Situation ergriff der linke DC-Flügel die Initiative. Unter der Leitung Mino Martinazzolis benannte sich die Partei 1993 in Partito Popolare (PP) um und entschied sich für ein Bündnis mit den Ex-Kommunisten. Der rechte DC-Flügel zog allerdings nicht mit, sondern gründete das Centro Cristiani Democratici (CCD) mit Pierferdinando Casini als Vorsitzendem und schloss sich mit Silvio Berlusconis Forza Italia, der Alleanza Nazionale und der Lega Nord zusammen. Dieses Bündnis übernahm 1994 die Regierung. Das Wähler- und Klientelpotenzial der alten DC war inzwischen sowieso mehrheitlich von den drei CCD-Bündnispartnern aufgesogen worden.

Die Partito Popolare verlor zusammen mit der Linken die Wahlen von 1994 und zählte im folgenden Jahr zu den Unterstützern der »technischen« Regierung Lamberto Dinis. Ihr neuer Vorsitzender, der Philosophieprofessor Rocco Buttiglione, versuchte allerdings eine Annäherung an die Rechten, die zu heftigen Spannungen und schließlich einer erneuten Spaltung führte. Buttiglione gründete die Cristiani Democratici Uniti (CDU), die zwar mit der CCD eine Föderation einging, aber aus Rivalitätsgründen nie mit ihr verschmolz. Der Rest der Partito Popolare - mit etwa acht Prozent der Wählerstimmen die größte dieser Kleinstparteien -, bildet seit den Wahlen von 1996 die zweitstärkste der Regierungsparteien.

Obwohl sich zu einzelnen Themen wie der katholischen Privatschule oder der Bioethik immer wieder Konvergenzen zwischen den ehemaligen Parteikollegen in den beiden Ausprägungen ergaben, scheiterten trotz des allgemeinen Restaurationsklimas alle Versuche, die DC wieder zu beleben oder auf andere Weise eine starke Mitte als Angelpunkt des politischen Systems zu gründen.

Auch die Versuche, den katholischen Flügel der Regierungskoalition durch die Einbindung der CCD zu stärken, blieben erfolglos. Allerdings traten einige Abgeordnete aus dieser Oppositionspartei aus, um zusammen mit mehreren parlamentarischen Vertretern der Regierungspartei PP unter der Leitung des immer noch äußerst aktiven ehemaligen Staatspräsidenten Francesco Cossiga die UDR zu bilden, die mit mehreren Ministern in die Regierung Massimo D'Alemas eintrat und jetzt als ein unsicherer Partner des linksliberalen Wahlbündnisses Ulivo (Olivenbaum) gilt. Zudem sind im Parlament noch mehrere Kleinstfraktionen christdemokratischen Ursprungs vertreten.

Schließlich gründete der ehemalige Vorsitzende des katholischen Gewerkschaftsverbandes CISL, Sergio D'Antoni, Anfang des Jahres noch die Democrazia Europea, der sich auch der ehemalige Vorsitzende der DC- und Regierungschef Giulio Andreotti anschloss und die sich noch nicht auf ein Wahlbündnis festgelegt hat.

Auf den Wahlzetteln werden also mindestens fünf Zerfallsprodukte der DC zu finden sein. Zwar kommen alle diese Parteien zusammen auf weit weniger Stimmen als die alte DC. Aber egal, welche Koalition Italien in Zukunft regieren wird, die Christdemokraten sind das Zünglein an der Waage. Die Italiener haben also weiterhin gute Chancen, als Christdemokraten zu sterben.