Eurpastrategien der extremen Rechten

Europa den Deutschen

Auch einige Neonazis setzen inzwischen auf offene Grenzen - in einem vereinten Europa.

Die Vorstellung von offenen Grenzen im Osten treibt einigen Neonazis inzwischen nicht mehr den Angstschweiß auf die Stirn. Es hat sich herumgesprochen, dass sich so durchaus Erfolge bei der Rückgewinnung der ehemaligen deutschen Ostgebiete erzielen lassen könnten. Unter der Überschrift »Königsberg: Eröffnen sich neue Perspektiven?« sah die eigentlich anti-europäisch eingestellte National-Zeitung am 20. April »Chancen durch die Ost-Erweiterung der EU«.

Schon im März hatte das Blatt des DVU-Eigentümers Gerhard Frey geschrieben, es könnten sich »für Deutschland neue Chancen eröffnen, auch im Rahmen der EU politische, wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen zu diesem alten deutschen Land stärker zu knüpfen«. Daran ist kaum zu zweifeln, denn angesichts der ökonomischen Stärke Deutschlands ist mit deutscher Dominanz in der russischen Exklave zu rechnen, sobald die EU engere Kontakte knüpft. Kein Wort mehr in der National-Zeitung vom »Anschluss« des Gebietes an Deutschland. Wozu auch? Womöglich kann die Kontrolle über frühere Ostgebiete auch mit der EU erreicht werden.

Der 1988 verstorbene CSU-Politiker Franz Josef Strauß hatte bereits seit den fünfziger Jahren ein Konzept zur Durchsetzung deutscher Interessen entwickelt, das auf die europäische Einigung spekulierte. Mitte der sechziger Jahre wurde er zum wohl prominentesten Vertreter der »Europäisierung der deutschen Frage«. Die Wiederherstellung eines einheitlichen deutschen Nationalstaates allein durch politischen oder militärischen Druck sei nicht möglich, stellte er damals fest.

Allein eine geeinte westeuropäische Wirtschaft wäre in der Lage, die realsozialistischen Ökonomien niederzukonkurrieren. Erst wenn der Warschauer Pakt unter dem wirtschaftlichen Druck des Westens zusammenbreche, sei die Vereinigung von BRD und DDR möglich, prophezeite der CDU-Politiker vor 40 Jahren.

Seinem europapolitischen Konzept folgten seit Ende der sechziger Jahre außer den Unionsparteien die strategisch flexibleren Teile der Vertriebenenverbände. Rudolf Wollner, damals Vizepräsident des Bundes der Vertriebenen (BdV), stellte fest: »Wenn wir den europäischen Zug nicht bald besteigen, dann wird er eben ohne uns abfahren.«

1969 organisierte er den ersten »Europa-Kongress« des BdV. Der Hintergedanke der so genannten Vertriebenen war es, die osteuropäischen Staaten in die europäische Einigung einzubeziehen. Dann würden die Grenzen zu den Herkunftsgebieten der Vertriebenen durchlässig werden und das »Recht auf Heimat« ließe sich durchsetzen.

Die Strategie der Europäisierung deutscher Interessen stieß jedoch in der extremen Rechten größtenteils auf Unverständnis. Die NPD hatte Ende der sechziger Jahre größere Wahlerfolge mit der Forderung, die DDR und die Herkunftsgebiete der Vertriebenen ohne den Umweg über ein geeintes Europa »heimzuholen«. Es bedurfte harter Anstrengungen nicht zuletzt von Franz Josef Strauß, um zu verhindern, dass diese die europäische Einigung torpedierende Partei dauerhaft Fuß fassen konnte.

Auch die Republikaner erzielten Ende der achtziger Jahre ihre ersten großen Wahlerfolge mit einem Programm, dessen anti-europäische Ausrichtung mit der Europäisierung deutscher Interessen nicht vereinbar war. Prompt kam Gegenwind aus den Reihen der CDU/CSU. Unionsnahe Organisationen wie die Paneuropa-Union oder das Studienzentrum Weikersheim analysierten die Europapolitik der Republikaner und kamen zu dem Schluss, dass ein »konsequenter Trennungsstrich« gezogen werden müsse.

Inzwischen ist nicht nur die Vereinigung Deutschlands zustande gekommen, sondern auch verschiedene Anliegen der Vertriebenen könnten sich mithilfe der europäischen Einigung realisieren lassen. Ein zentrales Ärgernis stellen für sie etwa die Benes-Dekrete dar, die die Umsiedlung der Deutschen aus der Tschechoslowakei regelten. Sollten sie annulliert werden, könnten Vertriebene mit moralischer und materieller »Wiedergutmachung« rechnen.

Die Angleichung tschechischen Rechts an EU-Recht gibt den Vertriebenen gute Möglichkeiten, die Benes-Dekrete anzugreifen. »Wo Unrecht fortbesteht, ist die Politik gefordert«, erklärte entsprechend Anfang April der bayerische Landtagspräsident und Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Johann Böhm, und meinte damit, im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen müssten die Benes-Dekrete beseitigt werden.

Ähnliche Auseinandersetzungen gibt es auch mit Polen. Um zu verhindern, dass Vertriebene nach dem EU-Beitritt Polens ihre früheren Ländereien zurückkaufen, versucht die Warschauer Regierung, für 18 Jahre den Landerwerb von AusländerInnen zu verbieten. Prag begnügt sich mit einer siebenjährigen Sperrfrist.

Dass Teile der deutschen Rechten dennoch weiterhin den Anschluss von Gebieten anderer Staaten fordern werden, bekräftigte im letzten November Walter Sattler, der Amberger Kreisvorsitzende der Oberschlesischen Landsmannschaft. Sein Verein werde die gegenwärtigen deutschen Ostgrenzen nie anerkennen, erklärte er und fügte hinzu, er halte die Umsiedlung der Deutschen aus dem Osten für den »größten Holocaust aller Zeiten, der durch nichts, aber auch gar nichts an Grausamkeit zu überbieten ist«.

Die National-Zeitung hat trotzdem ausnahmsweise einmal Recht: Die Erweiterung der EU nach Osten bietet der radikalen Rechten mehr Chancen, als sie bisher angenommen hat. Die Europäisierung deutscher Interessen stellt den Hebel bereit, nach der Vereinigung von BRD und DDR auch noch den freien Zugang zu den ehemals deutschen Ostgebieten durchzusetzen.