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Auch am 1. Mai geht die Arbeit für die Zeitung einfach weiter. Auf dem Mariannenplatz in Berlin-Kreuzberg muss der Stand aufgebaut, Flyer für die Suptropen-Release Party am Mittwochabend im Maria müssen verteilt, mit netten LeserInnen will gesprochen und garstigen Kritikern soll verständnisvoll zugehört werden. Da bleibt nicht mehr viel Zeit für Analysen.

Manche Kollegen haben es da einfacher. Sie mischen sich einfach unter die Leute, messen den Puls der Zeit und gelangen so zu wegweisenden Erkenntnissen. So hat ein Jung-Schriftsteller unter der Zeit-Rubrik »Dichter dran« eine »massenhafte Sinnleere« vorm 1. Mai konstatiert.

Als Beweis dienen ihm Bier trinkende Autonome. Die hat er in »einschlägigen Szenekneipen« beobachtet, die »taz und JungleWorld«, geschrieben wie DaimlerChrysler, abonniert haben. Wieso, könnte man nun fragen, braucht man »massenhaft Sinn«, wenn man nur dicht sein will? Zumal gerade die Autonomen darauf angewiesen sind, vorher zu trinken, denn am 1. Mai werden sie wohl kaum Zeit dafür finden. Schließlich gab sich Berlins Innensenator Werthebach dieses Jahr alle erdenkliche Mühe, um für Abwechslung zu sorgen - indem er Nazis und 9 000 Polizisten eingeladen hat.

Wesentlich tiefgründiger geht es da schon im Fachorgan des bürgerlichen Kulturpessimismus zu. Die FAZ hat sich genau umgehört und viel gelesen. Der 1. Mai werde etwa in der Jungle World »als bloßer Event für erlebnishungrige Jugendliche« kritisiert, weiß man dort zu berichten. Schön, dass man auch mal erfährt, was man selbst so denkt. Merkwürdig nur, dass wir doch eben erst erfahren haben, jugendliche Autonome hungerten wegen der massenhaften Leere nach Erlebnissen.

So bleibt uns auch dieses Jahr nichts übrig, als den Sinn wieder in Kreuzberg zu suchen. Werthebach macht's möglich. Und die beste Analyse hat nicht die Zeit oder die FAZ, sondern die B.Z. geliefert: »Heißer 1. Mai - Bloß ab ins Grüne.«