Entschädigung für russische Zwangsarbeiter

Viele Formulare

Weiterhin zögert die deutsche Wirtschaft mit der Forderung nach Rechtssicherheit die Zahlungen an ehemalige ZwangsarbeiterInnen hinaus. Doch es gibt noch andere Hindernisse: Erst seit März können in Russland die entsprechenden Anträge gestellt werden. Die russische Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft, die mit dem Entschädigungsverfahren beauftragt ist, muss nun etwa 400 000 Anträge prüfen. Bis heute ist sie jedoch nicht dazu in der Lage, weil kein Geld für die Beschaffung von Arbeitsmitteln und die Bezahlung von MitarbeiterInnen bereit steht.

Bereits Anfang der neunziger Jahre erhielten etwa 360 000 Personen kleine Beträge aus einem Fonds der Bundesregierung für »sozial bedürftige Opfer nationalsozialistischer Verfolgung«. Die damals erstellten Dossiers müssen jetzt ausschließlich deshalb ergänzt werden, weil die ehemaligen ZwangsarbeiterInnen eine »Verzichtserklärung« abgeben müssen, wie Wladimir Schnittke, Vorstandsmitglied der russischen Stiftung, erklärt. Sie müssen auf den neuen Formularen unterschreiben, dass sie keine weiteren Forderungen an deutsche Unternehmen stellen werden.

Für die erwarteten 40 000 neuen Antragsteller beginnt jetzt erst die aufwändige Suche nach den geforderten Beweisen. Doch sofern sie überhaupt jemals irgendwelche Papiere bekommen hatten, vernichteten viele der in Russland so genannten »Ostarbeiter« diese Dokumente vor ihrer Rückkehr in die UdSSR. »Bei uns galt, dass man keinesfalls in Gefangenschaft geraten sollte«, so Natalja Alekseewna, die die deutsche Besatzung in einem Versteck in Kislowodsk überlebte. Die Verschleppung galt als Gefangenschaft, und die Zurückkehrenden fürchteten, als »Kollaborateure« bestraft zu werden. Die Suche nach den geforderten Nachweisen ist entsprechend schwierig. Anfragen an deutsche Archive, Nachweise für den Zwangsaufenthalt in Deutschland zu suchen, wurden in der Vergangenheit teilweise erst nach Jahren beantwortet.

Die Bundesregierung und die deutsche Wirtschaft nennen als Grund für die Verzögerungen die Weigerung der New Yorker Richterin Shirley Wohl Kram, die Sammelklagen gegen deutsche Banken abzuweisen. Von der Entschädigungsdebatte ist in Russland so gut wie nichts bekannt. Die betroffenen Menschen verstehen daher nicht, warum die Auszahlung von der Entscheidung eines US-Gerichts abhängig sein soll, und auch die von deutscher Seite immer wieder vorgebrachten anti-amerikanischen und anti-jüdischen Angriffe treffen auf leicht mobilisierbare Ressentiments.

Die laufenden Klagen betreffen die Kompensation von Vermögensschäden. Hans-Joachim Vogel (SPD), der Vorsitzende des Vereins Gegen Vergessen - für Demokratie, hat nun vorgeschlagen, »für den Teilbereich Zwangsarbeit« die Rechtssicherheit festzustellen und die Unternehmen damit zur Freigabe des vorgesehenen Anteils zu verpflichten. Diese Lösung wurde ebenso abgelehnt wie ein Appell mehrerer osteuropäischer Partnerorganisationen, vorzeitig mit der Auszahlung der Gelder an alte und kranke ehemalige ZwangsarbeiterInnen zu beginnen.

Die Berufungsverhandlung gegen Krams Entscheidung findet am 15. Mai statt, der Regierungsbeauftragte Otto Graf Lambsdorff (FDP) teilte in der vorletzten Woche mit, dass daher mit der Feststellung der Rechtssicherheit durch den Bundestag »bedauerlicherweise« nicht mehr vor der Sommerpause zu rechnen sei. Frühestens im September könnte dann der Stiftungsfonds freigegeben werden.