Tony Bunyan von Statewatch über Abhörsysteme in der EU

»Enfopol ist das europäische FBI«

Die Europäische Union will ein System zur umfassenden Kommunikationsüberwachung einrichten. Der Plan basiert auf den Forderungen einer Arbeitsgruppe für polizeiliche Kooperation namens Enfopol. Als Vorbild könnte Echelon dienen, das weltumspannende Netz von boden- und satellitengestützten Abhörstationen der USA. Die Organisation Statewatch, ein in zwölf europäischen Ländern existierendes Netzwerk von Anwälten und Aktivisten, kritisiert seit Jahren diese Bestrebungen. Für die Recherche zu Enfopol erhielt Statewatch 1999 den Privacy International Award. Tony Bunyan koordiniert die Arbeit von Statewatch.

Echelon, das US-amerikanische Kommunikationsüberwachungssystem, soll Berichten zufolge zwischen 80 und 100 Prozent der gesamten Fernkommunikation erfassen. Greifen Sie da nicht ein bisschen hoch, wenn Sie den EU-Staaten vorwerfen, ihre Arbeitsgruppe für polizeiliche Zusammenarbeit, Enfopol, sei für den Erhalt der Privatsphäre noch gefährlicher?

Ich denke, man muss zwischen dem Echelonsystem und Enfopol unterscheiden. Echelon ist hauptsächlich ein Projekt der militärischen Geheimdienste. Die nationalen Sicherheitsdienste - die Central Intelligence Agency in den USA, die Government Communications Headquarters und der Secret Intelligence Sevice in Großbritannien - benutzen es seit den frühen achtziger Jahren. Aber nicht nur die Militärs arbeiten damit, sondern auch die Wirtschaft.

Enfopol dagegen ist das, was wir das FBI der Europäischen Union nennen könnten. Die EU hat es zusammen mit dem US-amerikanischen Federal Bureau of Investigation zwischen 1993 und 1996 aus der Taufe gehoben. Die Pläne dazu wurden vom International Law Enforcement Telecommunication Seminar entwickelt. Enfopol ist auch der Name aller Dokumente, die von der Arbeitsgruppe erstellt werden. Es ist keine Behörde, sondern bezeichnet die polizeiliche Kooperation innerhalb der EU. Alle Beteiligten an Enfopol sind gleichzeitig Mitglieder von anderen internationalen Gremien, wie der G 8. Vieles, was nun in der EU passiert, wurde in einer G 8-Arbeitsgruppe zu hochtechnisierten Verbrechen geplant. Es soll ein System geschaffen werden, um jegliche Form der Kommunikation im Dienste der Strafverfolgungsbehörden überwachen zu können.

Im konkreten Fall könnte es zur weitgreifenden Überwachung eingesetzt werden, etwa bei Demonstrationen, zu der Personen aus verschiedenen Ländern anreisen. Man könnte zurückverfolgen, welche Leute kommen, wie viele, wer die so genannten Rädelsführer sind usw.

Die Polizei kümmert sich im Allgemeinen um Verbrechensbekämpfung, während Geheimdienste systematisch Menschen ausspionieren. Besteht diese Trennung in der Realität überhaupt noch?

Die Polizei beschäftigt sich mit Verbrechen und die Geheimdienste beschäftigen sich hauptsächlich mit, na ja, mit allem. Von Spionage über Sabotage bis zu »subversiven« Personen. Aber alle internen Geheimdienste der EU mussten sich nach dem Kalten Krieg nach neuen Aufgabengebieten umschauen. In zunehmendem Maße bewegen sich die Geheimdienste in die Bereiche der Polizeiarbeit hinein. Besonders in den Fällen des organisierten Verbrechens und bei Drogendelikten. Die Argumentation für die Übernahme der Polizeiarbeit lautet: Wir haben die Experten für Überwachung, die Experten zum Abhören der Telefone etc.

Was behindert gegenwärtig noch die Einrichtung von Enfopol?

Der Punkt ist, dass wir in der Europäischen Union eine Datenschutzdirektive und noch ein weiteres Gesetz zum Datenschutz im Telekommunikationsbereich haben. Der große Angriff auf beide Gesetze kommt von den Strafverfolgungsbehörden über den Rat der Europäischen Union. Sie behaupten, die gültigen Gesetze hinderten sie daran, ihre Arbeit zu tun. Momentan dürfen alle übertragenen Kommunikationsdaten, sei es nun über Fax, E-Mail, Telefon und Internet, nur für die Zwecke des Benutzers gespeichert werden. Also um Rechnungen zu erstellen und zu überprüfen. Danach müssen sie vernichtet werden. Sie können aus keinem anderen Grund eingesehen werden.

Und das soll sich mithilfe von Enfopol nun ändern?

Die Strafverfolgungsbehörden wollen nun Einsicht in die Daten bekommen. Dafür brauchen sie eine neue Grundlage. Zweitens fordern sie, dass die Daten nicht vernichtet werden dürfen, da sie Beweismaterialien enthalten könnten. Drittens wollen sie einen Zugriff darauf haben. Und viertens sollen die Daten für einen viel längeren Zeitraum überprüfbar werden. Im Augenblick sieht es so aus, dass die Network Service Provider die Informationen für drei bis maximal 30 Tage speichern. Das Ziel ist es, sie für zwölf Monate bis zu sieben Jahren zu speichern. Doch letztlich ist es egal, um wie viel dieser Zeitraum erweitert wird. Die Daten sind ja erstmal da, und sie haben die Möglichkeiten, sie zu durchforsten.

Wird Enfopol von bestimmten Nationen innerhalb der EU vorangetrieben und was für eine Rolle spielt Deutschland dabei?

Deutschland, Großbritannien und Frankreich haben Enfopol im letzten Herbst überhaupt erst wieder zum Thema gemacht. Die Entwicklung war für zwei Jahre nahezu gestoppt, da es großen Wirbel wegen Enfopol gab. Die deutsche Regierung spielt natürlich eine große Rolle dabei. Letztlich soll Enfopol alle EU-Länder abdecken, inklusive aller Bewerberstaaten für den EU-Beitritt. Es wird behauptet, dass es nicht funktioniert, wenn es nur in Deutschland eingeführt würde und etwa in Frankreich nicht.

Im Moment werden die Standards für die Europäische Union festgelegt. Das Ganze kann natürlich nicht über Nacht eingeführt werden, aber die technische Seite der Entwicklung wird bereits vorangetrieben. Das betrifft die Software und die Hardware, die sie benutzen. Was wir im Augenblick in der EU allerdings nicht haben, sind die Strukturen, dies legal zu tun.

Haben das Europäische Parlament und die Parlamente der einzelnen EU-Staaten überhaupt noch ein Wort mitzureden?

Es gibt eine Auseinandersetzung zwischen den Strafverfolgungsbehörden, die für den Rat der Europäischen Union arbeiten, und der Europäischen Kommission, die in diesem Zusammenhang auf der richtigen Seite steht. All die Datenschutzbeauftragten auf nationaler Ebene, welche im Rahmen der EU zusammenkommen, sowie die EU-Datenschutzbeauftragten widersetzen sich den Plänen der Strafverfolger. Darüberhinaus gibt es das Datenschutzgesetz der EU sowie entsprechende Gesetze in jedem einzelnen Mitgliedsstaat. In Großbritannien wirst du, falls du abgehört wirst, es niemals erfahren. Nicht einmal in einem Gerichtsverfahren wird man es erfahren. In anderen EU-Staaten würde man sagen, dass man das Recht hat zu wissen, dass man abgehört wird. Natürlich nicht während man überwacht wird, sondern gegebenenfalls später im Gerichtssaal.

Sie haben einmal gesagt, dass Europa die »bislang wichtigste Schlacht über bürgerliche Freiheitsrechte bevorsteht«. Ist diese Schlacht überhaupt noch zu gewinnen?

Das ist ein Kampf, der immer noch gewonnen werden kann. Es ist ein extrem breitgefächerter Konflikt. Sein Ausgang wird darüber entscheiden, was mit Europa geschieht und in welcher Demokratie wir in Zukunft leben werden. Der kritische Punkt ist: Wird es den Strafverfolgern erlaubt, die Gesetze zum Schutz der Privatsphäre und den Datenschutz komplett aus dem Fenster zu werfen? Wenn sie Zugriff auf die Daten jenseits der Rechnungserstellung erhalten, dann haben wir den Kampf verloren.