Scharping verärgert die Grünen

Wir dürfen nicht wegsehen

Da ist er aber immer noch. Wer geglaubt hat, die Zeit der Scharpingiaden sei vorbei, der muss sich getäuscht sehen. Unser Verteidigungsminister ist noch immer im Amt und waltet desselben. Zwar stand Rudolf Scharping vor den Terror-Anschlägen in den USA wegen einiger privater und offizieller Pannen vor dem Rücktritt. Aber peinliche Urlaubsfotos, Flüge zwischen Mazedonien und Mallorca und der Verrat militärischer Geheimnisse vor versammelter Presse sind längst Schnee von gestern, Skandale aus einem vergangenen Jahrtausend.

Scharping ist Verteidigungsminister, ein Krieg steht kurz bevor, einen Einsatz in Mazedonien darf er anführen, also beste Bedingungen für den »Trottel als Kriegsgott« (konkret). Endlich ist er wieder wer, eine wichtige Person im Zentrum des Weltgeschehens, und alle hören ihm zu. Er darf vor den Kameras mit seinen Armen rudern und verkrampfte Gesten zu falschen Aussagen machen. Er ist in seinem Element.

Blöd daran ist nur, dass der Krieg nicht beginnen will. Je länger es dauert, um so mehr könnte über seine Person geredet werden und weniger über den Verteidigungsminister in ihm. Die Schwierigkeiten haben auch schon wieder angefangen. So erklärte Scharping am vergangenen Mittwoch, die Nato werde »sehr wahrscheinlich« den Bündnisfall ausrufen, der die Partner zu militärischem Beistand verpflichtet, wenn einer der ihren von außen angegriffen wird. Dafür, dass der Terror-Angriff von außen kam, gebe es »sehr beweiskräftige Indizien«, versicherte Scharping mit der Miene eines Insiders.

Wenig später aber hieß es aus der Versammlung der Nato-Verteidigungsminister in Brüssel, die USA verzichteten zunächst auf den Beistand der Nato. Ein Nato-Sprecher dementierte Scharpings Prophezeiungen und sprach von »fehlgeleiteten« Informationen.

Nun gut, für Scharping war das nicht wirklich ein Gau, mit solchen Pannen hat er schon während des Kosovo-Krieges zu leben gelernt. Schon damals hatte er sich über den schlechten Informationsfluss zwischen den Amerikanern und den Europäern in der Nato beklagt. Also kein ernsthaftes Problem, zumal die Nichtausrufung des Bündnisfalls für die meisten Beobachter relativ überraschend kam.

Aber Scharping wäre nicht Scharping, wenn er nur in einem Fettnäpfchen herum stapfte. Da stand natürlich noch ein anderes bereit, in das er zielsicher hineintrat. Scharping legte dem nach der Hamburg-Wahl sowieso schon arg gebeutelten grünen Regierungspartner eine mittlere Handgranate ins Beratungszimmer. Während die Grünen sich verzweifelt um den Fortbestand der Koalition mühten, vor allem für den Fall, dass die Partei einem Nato-Militäreinsatz gegen den Terror zustimmen müsste, fing der Verteidigungsminister zu spekulieren an. Scharping sagte in der vergangenen Woche, zwar müsse jeder Bundeswehreinsatz vom Parlament genehmigt werden, dies könne aber auch erst nach Beginn des Einsatzes geschehen.

Ein Scharping-Volltreffer. Denn welchen Wert soll eine parlamentarische Abstimmung haben, die erst stattfindet, wenn der Einsatz längst angelaufen ist? Das wäre, als würde man ein Essen salzen, nachdem man es gegessen hat oder als schriebe man einen Brief, nachdem man ihn zur Post gebracht hat. In Scharpings Demokratiemodell würde demnächst vor einem Urnengang zuerst der Wahlleiter das amtliche Endergebnis der Wahl verkünden.

Die Grünen jedenfalls empörten sich. Ihre Fraktionsvorsitzende Kerstin Müller nannte Scharpings Äußerungen »nicht verantwortlich und sehr ärgerlich«. Dabei macht doch gerade seine ulkige Logik Scharping so sympathisch, vor allem in Kriegszeiten. Wir schrieb er so treffend 1999 in sein Kosovo-Tagebuch: »Ermutigend: Alle wollen weiter mit mir arbeiten.« Na denn.