Linkes Verständnis für den Terror

RAF und al-Qaida

Seitdem die RAF sich aufgelöst hat, bereitet weit und breit keine mit Paragraf 129a zu ahndende Organisation mehr den »Charaktermasken des Kapitals« (Marx) in Deutschland schlaflose Nächte. Ein Verlust, der alleine deshalb schon bedauerlich ist, weil es von Interesse wäre, ob Attac sich auch ohne ihn zu der Erklärung hinreißen lassen würde, dass eine »wirksame Bekämpfung von Terrorismus letztlich nur möglich (ist), wenn auch die gesellschaftlichen und politischen Probleme gelöst werden, die ihm zu Grunde liegen«.

Sicher ist, dass Hanna Ackermann vom Duisburger Friedensforum vor zwanzig Jahren mindestens mit dem Vorwurf der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung hätte rechnen müssen. »Der Terrorismus«, erklärt sie in einem für die Friedensbewegung repräsentativen Aufruf, »ist eine internationale Erscheinung, gesät auf dem Boden der Unterdrückung, Ungerechtigkeit und (des) sozialen Elends in vielen Regionen der Welt. (Er) ist das Ergebnis der Politik der reichen Staaten.«

Das seit dem 11. September modisch gewordene Verständnis heischende Gebaren einiger friedensbewegter Deutscher gegenüber dem Terrorismus ist doppelt ekelerregend. Nicht nur, weil es sich bei den Tätern keineswegs um Sozialrevolutionäre, sondern um antisemitische Killerkommandos handelt, sondern auch, weil diese Szene ihre Gewaltlosigkeit auf der Totalkapitulation der Linken 1977 vor dem »staatlichen Gewaltmonopol« gründete. Wer es damals nur wagte, mit der simplen Erkenntnis aufzuwarten, dass die Terroristen nicht vom Himmel gefallen, sondern Produkt der BRD-Gesellschaft seien, wurde umgehend zum Staatsfeind. Peter Brückners Schicksal vor Augen (Jungle World 06/01) erklärte stellvertretend für viele die Zeitung für eine neue Linke: »Geopfert werden müssen alle offenen und versteckten Sympathisanten der Terroristen. (...) Die systematische politische Isolierung der Terroristen ist erforderlich und möglich.«

Hier zeigte sich jene links-deutsche Traditionslinie, die einst der SPD-Politiker Gustav Scheidemann begründete, als er voller Genugtuung den Mord an Rosa Luxemburg mit den Worten kommentierte, diese sei »nun selbst Opfer ihrer eigenen blutigen Terrortaktik geworden«. Anders als bei sozialrevolutionärer Gewalt nämlich erkennt diese Tradition bei den Taten faschistischer Mörderbanden als Motivation fehlgeleitete soziale Unzufriedenheit.

Und so wie verständnisvolle Alternative neonazistische Pogrome mit der untragbaren Zunahme illegaler Asylbewerber und mangelnder Jugendfürsorge erklärten, entdecken prominente Teile der Friedensbewegung jetzt in Ussama bin Laden ihren Robin Hood. Al-Qaida ging es nämlich in New York keinesfalls um einen Massenmord, denn wäre es ihre Absicht gewesen, »in erster Linie Menschen zu treffen, hätten sie andere Ziele wählen können. Ziele der Terrorangriffe (...) waren die Symbole der wirtschaftlichen und militärischen Macht der USA« (Duisburger Friedensforum).

Früher lehnten diese Friedensfreunde es kategorisch ab, die Erklärungen der Stadtguerilla auch nur zu lesen, geschweige denn sie ernst zu nehmen. Wer auf die Tatsache hinwies, dass die herrschenden Verhältnisse nur mittels revolutionärer Gewalt zu verändern seien, wurde auf die Vorzüge »gewaltfreier Trainingskollektive, gewaltfreier Kontaktstellen und gewaltfreier Konfliktforschung« (Petra Kelly) verwiesen. Solange sich das hiesige »Schweinesystem« (RAF) bedroht fühlte, fanden sich unzählige gewaltfreier Barden, die ihm ungefragt in Essays und Songtexten attestierten, dass vornehmlich Gewalt und Terrorismus die Schaffung einer besseren, friedlicheren Welt verhinderten. Seit dieser nicht mehr auf eine »Assoziation freier Produzenten« und Abschaffung von Herrschaft überhaupt zielt, sondern auf die der USA und Israels, wird ihm dagegen unverhohlenes Verständnis entgegengebracht. Endlich kann die friedensbewegte Linke ohne Angst vor staatlicher Verfolgung nachholen, was sie 1977 so schmählich versäumt hat: sich mit der Programmatik des Terrorismus zu solidarisieren.