Schilys neue Antiterrormaßnahmen

Das kleine Horrorpaket

Die Bundesregierung bereitet mit ihren neuen Antiterrormaßnahmen den umfassenden Abbau liberaler Grundrechte vor.

Wir sind auf dem Weg in den Überwachungsstaat.« Dieser Kommentar zu den Antiterrorpaketen von Innenminister Otto Schily stammt nicht etwa von Bürgerrechtlern oder anderen üblichen Verdächtigen, sondern aus dem Sachverständigenrat, der am vergangenen Freitag im Innenausschuss des Bundestages angehört wurde.

Durch Schilys so genannte Antiterrormaßnahmen werde »der Ausnahmezustand zur Norm erhoben«, schrieb etwa der Berliner Professor für Staats- und Verwaltungsrecht Martin Kutscha in einer Stellungnahme. »Ohne Rücksicht auf das Übermaßverbot wird in dem Gesetzentwurf vorgeschlagen, was technisch möglich erscheint, anstatt zu prüfen, was geeignet und erforderlich ist.« Der Verfassungsschutz und der Bundesnachrichtendienst würden »eine Kompetenzfülle erhalten«, die sie in die Nähe der Geheimdienste totalitärer Staaten rücke.

In der Presse wird das Thema - verdrängt durch den Afghanistankrieg und die Stammzellenforschung - meist auf den hinteren Seiten diskutiert, und von einer beachtlichen Gegenbewegung kann keine Rede sein. In Zeiten, in denen die meisten bei »Big Brother« nicht mehr an George Orwell, sondern an RTL denken, schwindet auch das Interesse an Themen wie Datenschutz oder Schutz der Privatsphäre.

Bislang sah es danach aus, als verlagere sich das Problem. Nicht länger der Staat und seine Behörden schienen die Privatsphäre und die Freiheitsrechte seiner Bürger zu gefährden, sondern multinationale Konzerne, die sich mit Hilfe von Online-Banking, E-Commerce und der stetigen Perfektionierung von Kundenprofilen den gläsernen Konsumenten basteln.

Doch spätestens seit den Anschlägen vom 11. September hat der Staat die Initiative wieder übernommen. Die Schläfer in den Fachabteilungen des Bundesinnenministeriums sind aufgewacht und haben ihre Giftschränke geöffnet. Am 20. Dezember soll Schilys Terrorbekämpfungsgesetz endgültig verabschiedet werden. Wenn der Großteil der geplanten Maßnahmen durchkommt, und davon kann ausgegangen werden, wird er vor allem für den Bundesnachrichtendienst (BND) und den Verfassungsschutz eine immense Befugniserweiterung mit sich bringen. Sie werden demnächst das Recht auf Dateneinsicht bei allen Banken, bei Fluggesellschaften, bei der Post und bei Telekommunikationsunternehmen erhalten, unter weitgehendem Ausschluss der parlamentarischen Kontrolle.

Lediglich zweimal Jahr soll das Innenministerium dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKG) des Bundestags Bericht über die Zusammenarbeit der Geheimdienste mit Banken und Fluglinien erstatten. Die Datensammlung bei der Post und der Telekom soll eine vom PKG eingesetzte vierköpfige so genannte G-10-Kommission überwachen. Sie trifft sich einmal im Monat für vier Stunden. Kaum anzunehmen, dass in dieser kurzen Zeit die Sammelwut des BND und des Verfassungsschutzes auch nur annähernd kontrolliert werden könnte.

Auch wer glaubt, die Zeit der Berufsverbote sei längst vorbei, wird eines Besseren belehrt. Bewerber für Stellen in »lebens- oder verteidigungswichtigen Einrichtungen« sollen in Zukunft besonders unter die Lupe genommen werden. Und auch ihre Lebenspartner können sich auf staatliche Durchleuchtung gefasst machen. Liegt beim Verfassungsschutz gegen einen von beiden ein Verdacht vor, dann wird es wohl nichts mit dem neuen Job als Postbote, Netzwerkbetreuer oder Radiomoderator.

Welche Berufsgruppen es treffen wird, ist zwar noch nicht ganz ausgemacht, im Gespräch sind aber bereits die Angestellten sowohl von Energie- und Wasserversorgungsunternehmen, Krankenhäusern und Pharmafirmen, als auch jene von Telekom- und Postdiensten, Banken und Rundfunk.

Weitere Punkte in Schilys Horrorpaket: Das Bundeskriminalamt soll auch gegen unverdächtige Personen ermitteln dürfen, biometrische Daten sollen in Ausweisen vermerkt werden, und die Sozialbehörden müssen ihre Information für die Rasterfahndung herausrücken.

Zudem wird der Etat für die Innere Sicherheit erheblich aufgestockt, um fast 1,2 Milliarden Mark. Mit 242 Millionen Mark will Schily eine BGS-Spezialeinheit zur Flugbegleitung, so genannte Sky-Marshals, aufbauen. Das BKA erhält 244 neue Stellen, unter anderem für den Personenschutz. Und der Verfassungsschutz bekommt 19 Millionen Mark zusätzlich, um verstärkt den »Staats- und Ausländerextremismus« zu überwachen.

Zu spüren bekommen werden die Antiterrormaßnahmen zuerst Migranten und Flüchtlinge. Ihre biometrischen Daten sollen ab sofort erfasst werden. Ausländerämter und das Bundesamt für die Anerkennung von Flüchtlingen müssen persönliche Daten an den Verfassungsschutz weiterleiten, wenn auch nur entfernt die Möglichkeit besteht, der Geheimdienst könne damit etwas anfangen.

Hinzu kommt, dass alle »extremistischen« Ausländer mit der Ausweisung rechnen müssen. Und als Extremist gilt, wer sich an politischen Gewalttätigkeiten beteiligt hat, mit Gewalt droht oder wer eine Organisation unterstützt, die den internationalen Terrorismus fördert. Kurden, die sich politisch betätigen, dürften demnach in Zukunft wohl grundsätzlich ausgewiesen werden, denn der Nachweis, dass sie irgendwie die PKK unterstützen, wird leicht zu führen sein.

An keiner Stelle des Gesetzes werde der Begriff des Terrorismus überhaupt definiert, kritisiert der Anwalt und Fachmann für Ausländerrecht, Reinhard Marx. Angesichts des »unreflektierten Begriffs der terroristischen Vereinigung und deren Unterstützung« gerieten selbst hier geborene Menschen mit ausländischem Pass in die Gefahr, ausgewiesen zu werden, sobald sie sich politisch betätigen. Selbst der Deutsche Richterbund hält es für bedenklich, dass der Verfassungsschutz immer mehr Kompetenzen erhält, ohne dabei einer »justiziellen Kontrolle« zu unterliegen.

Einigen Bundesländern ist Schilys Paket aber immer noch nicht groß genug. Sie wollen noch mehr geheimdienstliche Befugnisse und noch weniger parlamentarische Kontrolle. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber verlangt, dass Ausländer schon dann ausgewiesen werden, wenn lediglich der Verdacht besteht, sie könnten terroristische Vereinigungen unterstützen.

Stoibers rechte Hand, Bayerns Innenminister Günther Beckstein, will außerdem erreichen, dass die Auskunftspflicht der Banken und Fluggesellschaften gegenüber den Geheimdiensten nicht nur auf das Bundesamt für Verfassungsschutz beschränkt bleibt, sondern auch auf die Landesämter ausgedehnt wird. Und Baden-Württembergs Ministerpräsident Erwin Teufel forderte am vergangenen Freitag im Bundestag sogar die Wiedereinführung der Kronzeugenregelung.

Bei Schily finden die Rechtsausleger der Union offene Ohren. Auch er befürwortet die Ausweisung von Ausländern schon im Verdachtsfall. Dass die Kronzeugenregelung nicht schon jetzt ein Teil des Terrorbekämpfungsgesetzes ist, sei ausschließlich »manchen Bedenkenträgern bei unserem Koalitionspartner« anzulasten, so der Innenminister. Angesichts der Standhaftigkeit der Grünen dürfte sich dieses Problem schon bald erledigt haben.